Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 1/19 | Geschrieben von Durba Zahan

Die Reise zur freien Meinung

Schreiben lag mir schon immer am Herzen, gerade beim Schreiben fühlte ich mich sehr geborgen. Ich wollte damit nicht die Welt verändern, offen gesagt war es meine Absicht, meine Gedanken mitzuteilen und eine konstruktive Diskussion anzuregen. Und ich wollte nicht, dass meine Denkanstöße aus einer religiösen Sicht bewertet oder gar verurteilt werden. Vor allem sollten in einem ‘säkularen’ Staat alle Menschen über das Recht verfügen, sich selbst ohne jegliche Furcht vor Repression auszudrücken. Ich habe mir nie erhofft, das Leben der Menschen mit meinen Texten zu verändern, allerdings änderten sie den Lauf meines Lebens.

Noch vor ein paar Jahren wusste ich wenig über das Leben anderer Blogger und Autoren, doch mein Leben wurde zweifellos durch das Schreiben geprägt. Ich hatte keine Vorstellung von dem fortwährenden Entsetzen, das meine Texte gerade mir zufügen sollten. Andere Autoren befanden sich in Lebensgefahr, nur weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen. Ihre Leichen wurden wie Abfall auf die Straße geworfen so, wie man mit streunenden Hunden umging. Ich habe selbst miterlebt, wie die sogenannte ‘säkulare’ und ‘freiheitliche’ Regierung der Volksrepublik Bangladesch diese sinnlosen Morde unterstützte.

In Bangladesch werden Atheisten und Oppositionelle nicht als Menschen angesehen. Selbst die Regierung hat weitgehend weggeschaut, als islamistische militante Gruppen die Ermordung nichtreligiöser Menschen betrieben. So liegt der Schluss nahe, dass auch die Regierung Atheisten keinen menschlichen Respekt erweist.
In einer ständigen Bedrohung zu leben, von Islamisten umgebracht zu werden, ist eins, doch wird es unerträg­lich, wenn zusätzlich die religiösen Hardliner – die Mehrheit der Bevöl­ke­rung Bangladeschs – offen ihre Unter­stützung der Mörder ausdrücken. Sind wir Atheisten keine Menschen? Warum sollten die Verbrechen, die an uns begangen werden, gerechtfertigt sein? Warum reicht es nicht aus, Mensch zu sein, um unsere Rechte wahrnehmen dürfen? Dann begriff ich: Rechte zu haben und auszuüben ist nicht mehr als eine Tagträumerei in einem Land, in dem der Satz: „Es gibt keinen Gott“ genügt, um an Leib und Leben bedroht zu sein.

Seit 2011 lernte ich etliche andere Blogger durch unsere gemeinsame Tätigkeit kennen. Ich war bis ins Mark erschüttert, als ich von den abscheulichen Verbrechen hörte, die gegen sie begangen wurden. Ich war am Boden zerstört, dennoch wollte ich meine Heimat zunächst nicht verlassen, um mich durch meine Flucht in Sicherheit zu bringen. Auch mein Vater, ebenfalls ein Blogger und säkularer Aktivist, entschied sich zum Bleiben. Er wurde im Juni 2018 von religiösen Extremisten ermordet. Er wurde erschossen, ein Schuss in die Brust und einer in den Kopf. Diese zwei Kugeln veränderten mein Leben für immer. Ich erkannte, die Fundamentalisten geben ihre Statements mit Waffen ab, nicht mit Worten. Um die Wahrheit zu sagen: Von der Regierung erwartete ich längst nichts mehr. Sie behaupten von sich selbst, säkular zu sein. Doch sind sie stets eifrig bemüht, ein inniges Verhältnis mit den Islamisten herzustellen. Kein Schritt wurde getan, um die Mörder meines Vaters vor Gericht zu stellen. Stattdessen ließ die Polizei die Hauptverdächtigen laufen.

Mein Vater war Atheist, und ich liebte die Art, wie er seine Artikel verfasste. Selbst als ich seine Leiche vor mir auf der Straße liegen sah, konnte ich nicht anders und mir wurde erstaunt bewusst, wie wichtig das Schreiben, das Ausdrücken seiner Gedanken tatsächlich ist! Darauf will ich später erneut zurückkommen.

Einige wenige Länder machten den bangladeschischen Bloggern Angebote, welche ihnen die eigene Regierung verweigerte. Zum einen das Recht, sich frei zu äußern und – am wichtigsten! – das Recht zu leben. Deutschland ist eines dieser Länder, welches den Bloggern eine rettende Hand gab. Gegenwärtig leben einige von ihnen in Deutschland und sind bereits als Flüchtlinge anerkannt. Wir sind dem deutschen Gesetzgeber und der öffentlichen Hand zu Dank verpflichtet – hier sind wir als Menschen geachtet und erhalten den erbetenen Schutz.

Der Internationale Bund der Konfes­sionslosen und Atheisten (IBKA) als meine gastgebende Organisation begrüßte uns sehr herzlich. Mein Ehemann und ich haben uns sehr häufig gefragt, was wohl als Nächstes passieren würde. Aber durch den IBKA wussten wir immer, dass wir Hilfe erhalten würden. Die Leute haben nicht einfach nur unsere Situation zur Kenntnis genommen, sie haben sie mit uns durchlebt. Der IBKA hat mir bewiesen, dass sich Menschen immer noch bedingungslos helfen, ohne dass sie eine wie auch immer geartete andere Absicht verfolgen. Von unserer Ankunft am Flughafen bis heute hat der IBKA uns begleitet und damit zweifellos meinem Mann und mir den Weg erleichtert.

Die respektvolle Zuneigung, die 
uns während des langwierigen Asyl­verfahrens entgegengebracht wurde, ist unvorstellbar! Nun verstehe ich, wie mitfühlend Menschen sein können. Die Mitarbeiter der deutschen Behörden waren zu mir immer freundlich und hilfsbereit. In einem für mich sehr emotionalen Moment meiner offiziellen Asylanhörung reichte mir der Entscheider1 ein Taschentuch. Ganz sicher werde ich diese nette Geste nie vergessen. Ein solch freundliches Verhalten entgegengebracht zu bekommen, nachdem ich meine Heimat aufgrund meiner entsetzlichen Erfahrungen verließ, bedeutet mir sehr viel. Die Übersetzerin in meiner Anhörung bestärkte mich, niemals das Schreiben zu lassen.

Nun komme ich auf die oben gestellte Frage zurück: Ist das Schreiben wichtig, selbst mit den beschriebenen schmerzlichen Folgen? Für mich auf jeden Fall! Es ist wichtig auszudrücken, was wir sagen wollen. Was ich schreibe, macht mich zu der Person, die ich bin. Ich bin überzeugt, selbst wenn ich gestorben wäre, ich würde keinen meiner Texte bereuen. Ich begrüße den Einfallsreichtum und Scharfsinn der Menschen, die mir halfen, meine Rechte ausüben zu können. Das Recht, welches mich vor aufgezwungener und massiver ideologischer Beeinflussung durch Religion schützt, das Recht, welches mir erlaubt, die Annahme eines Schöpfers zurückzuweisen, sowie das Recht, das mir ermöglicht, meine Gedanken ohne Angst vor Verfolgung oder Schlimmerem zu veröffentlichen.

Aus dem Englischen übersetzt von Rainer Ponitka.

Anmerkung

1 So die offizielle Bezeichnung der Personen, welche über Asylanträge entscheiden.