Blätterwald, Rubriken | Veröffentlicht in MIZ 1/17 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Blätterwald … Fundamentalismus / Protestantismus / Islamkritik / Wissenschaftscomic

Fundamentalismus

Bislang wird der religiöse Fundamen­talismus in erster Linie aus dem Blickwickel der Religions­soziologie diskutiert. Welche Rolle spielen religiöse Deutungsmuster für den Fundamentalismus? Welche Bedeutung haben die religiösen Schriften sowie die Verbote bzw. Gebote für den Fundamentalismus? Ist Gewalt ein Merkmal der Religion? Der Diplom-Psychologe Friedrich Steinfeld nähert sich dem religiösen Fundamentalismus aus einer gänzlich anderen, doch durchaus bereichernden Richtung. Er macht gleich zu Beginn seines Buches deutlich, dass eine der wesentlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Fundamentalismus nicht oder nur unzureichend gestellt wird, nämlich „unter welchen gesellschaftlichen (...) Bedingungen die aggressive Seite (...) offen ausbricht, politische Relevanz erhält und selbst zur materiellen Gewalt wird“. Steinfeld diskutiert in seinem Buch die ökonomischen und sozialen Konflikte, die dem wachsenden Zuspruch für die Fundamentalismen zugrunde liegen. Er weist in seinem Buch nach, dass mit dem Anwachsen sozialer Verwerfungen und der damit einhergehenden sozialen Ungleichheit die Suche nach Identität wächst. Die Globalisierungsverlierer, und dazu zählt Steinfeld den Hartz IV-Empfänger ebenso wie die Menschen der globalen Peripherie, sehnen sich nach einer Alternative zum kapitalistischen System der Ausbeutung. Man muss und sollte dem Autor nicht in all seinen Ausführungen zustimmen, vor allem wenn es, wie im letzten Kapitel, um die Frage der Bündnisfähigkeit so genannter linker Christ_innen (Stichwort: Befreiungstheologie) geht. Dennoch wirft der Autor wichtige Fragen auf, regt zum Nachdenken an.

Friedrich Steinfeld: Religiöser und politischer Fundamentalismus im Aufwind. Die Sehnsucht nach Identität. VSA Verlag, Hamburg 2016. 206 Seiten, kartoniert, Euro 16,80, ISBN 978-3-89965-722-7

Protestantismus

Die protestantische Kirche ist einem enormen Druck ausgesetzt. Immer tiefer dringt die Wissenschaft in das von der Kirche beanspruchte Revier vor und erklärt den Menschen zu einem vom Baum gestiegenen nackten Affen ohne freien Willen. Die Mitglieder verlassen in Scharen die Gemeinden und suchen auf dem Weltanschauungsmarkt nach alternativen Glaubensangeboten. Als ob das nicht reichen würde, kann der christliche Fundamentalismus in den Landeskirchen, durch die tatkräftige Unterstützung der Kirchenfunktionäre, immer stärker Fuß fassen. Ist damit das Ende des Protestantismus besiegelt? Keineswegs, wenn es nach dem Physiker und renommierten Wissenschaftsjournalisten Martin Urban geht. Der 1936 in eine protestantische Familie hineingeborene Autor kämpft in seinem neuen Buch gegen den Fundamentalismus und für einen, wie er es nennt, aufgeklärten Glauben. Unterstützung erhält Urban dabei durch den Hirnforscher Gerhard Roth, der das Vorwort verfasst hat. Urbans Buch ist durchaus interessant. Seinen 25 Kapiteln merkt man auf jeder Seite das Unbehagen an der derzeitigen Entwicklung innerhalb der protestantischen Kirche an. Das, was sich Urban wünscht, ist eine intellektuelle Kirche. Er wünscht sich eine Glaubensgemeinschaft, die kritisch ist, die alles hinterfragt und doch den Glauben an Gott möglich macht. Die Frage, die sich Urban gefallen lassen muss, lautet, was noch vom Glauben übrig ist, wenn dieser seiner Spiritualität und seiner Ideologie entkernt wurde? Diese Frage kann – und möglicherweise will – Urban nicht befriedigend beantworten.

Martin Urban: Ach Gott, die Kirche! Protestan­tischer Fundamentalismus und 500 Jahre Reformation. dtv Verlag, München 2016. 270 Seiten, kartoniert, Euro 14,90, ISBN 978-3-423-26118-0

Islamkritik

Adonis, mit bürgerlichem Namen Ali Ahmad Said Esber, gilt als ausgewiesener Kenner der arabisch-islamischen Geistesgeschichte. Der seit 1985 in Frankreich lebende Syrer ist sowohl beliebt als auch umstritten. Letzteres zeigte sich nicht zuletzt 2015, als ihm der Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück verliehen werden sollte. Der für die Laudatio angefragte deutsch-irakische Schriftsteller Navid Kermani verweigerte diese zu halten. Auch in der Presse wurde über Adonis hart geurteilt. Zu einseitig sei seine Sicht in Bezug auf Syrien, zu pauschal seine Kritik am Islam. Letztere steht auch im Mittelpunkt eines Buches, das nun auch in Deutschland erschienen ist. Das Buch, in Form eines Gespräches mit der marokkanischen Psychoanalytikerin Houria Abdelouahed, kann als Zusammenfassung seiner Gedanken zur islamisch-arabischen Kulturgeschichte verstanden werden. Adonis untermauert mit diesem Buch seine rebellische Unangepasstheit und seinen Freigeist, welche nicht nur bei konservativen, sondern auch bei den so genannten progressiv-liberalen Gläubigen auf harsche Kritik stößt. Es geht um den Islam, um Gewalt, um die Frage, warum der Arabische Frühling scheiterte und was das für Europa und die Welt bedeutet. Adonis stellt in diesem Gespräch den Islam als Hindernis auf dem Weg in eine aufgeklärte, laizistische Gesellschaft dar. Gerade weil Adonis sich nicht davon abbringen lässt, den Islam einer grundsätzlichen Kritik zu unterziehen, ist dieses Buch von außerordentlicher Wichtigkeit.

Adonis: Gewalt und Islam. Im Gespräch mit Houria Abdelouahed. Sujet Verlag, Bremen 2016. 240 Seiten, gebunden, Euro 19,80, ISBN 978-3-944201-87-0

Wissenschaftscomic

Das Ringen zwischen Wissenschaft und Religion mal anders dargestellt: als Comic. Im ersten Teil wird, ausgehend von den Behauptungen der Kreationisten und Intelligent Design- 
Anhänger, die Rhetorik von Wissen­schaftsgegnern auseinandergenommen. Der zweite Teil gibt dann einen knappen Überblick über kritische Perspektiven auf Religionen und stellt humanistische Ideen als Alternative vor.

Sean Michael Wilson & Hunt Emerson: Goodbye Gott? Wissenschaft contra Religion – eine illustrierte Auseinandersetzung. Mit einem Vorwort von Lawrence Krauss. TibiaPress, Mühlheim 2016. 117 Seiten, kartoniert, Euro 16.-, ISBN 978-3-935254-51-9