Kapitalismuskritik?
Am aktuellen Papst Franziskus scheiden sich die Geister. Während Jorge Maria Bergoglio in den eigenen Reihen wegen seiner theologischen Unschärfe kritisiert wird, gilt er unter Linksliberalen und Linken als „Papst der Armen“ und als Kapitalismuskritiker der Stunde. Man gewinnt den Eindruck, Teile der Linken hätten sich der über Jahrhunderte gültigen natürlichen Feindschaft zum Papsttum in kürzester Zeit entledigt. Zu groß scheinen die Überschneidungen mit dem Papst. So übt Bergoglio deutliche Kritik am Kapitalismus. Auch benennt er die aus ihm resultierenden ökonomischen und sozialen Spaltungen. Eine tiefergehende Analyse, die nötig wäre, fehlt in seiner Darstellung jedoch gänzlich. Das tut der Verklärung der christlichen Linken keinen Abbruch – ganz im Gegenteil. Das zeigt auch der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem kirchlichen Entwicklungsdienst Brot für die Welt und Publik-Forum geförderte bzw. veröffentlichte Sammelband „Diese Wirtschaft tötet“. Ein Satz, der der ersten Lehrschrift Evangelii Gaudium des aktuellen Papstes entnommen ist. Den im Sammelband vertretenen Autor_innen fehlt es zwar an ökonomischem Sachverstand, nicht jedoch an dem ökumenischen Konsens, „die tödlichen Grundstrukturen des Kapitalismus“ darstellen zu wollen. Starke Worte, wie sie auch aus dem Mund Bergoglios zu vernehmen sind. Doch bei allem Enthusiasmus können die rund fünfzehn Beiträge nicht darüber hinwegtäuschen, dass es an einer selbstkritischen Reflexion zur Rolle der Kirchen bei der seit Jahrtausenden andauernden Ausbeutung von Natur und Mensch fehlt. So hinterlässt der Sammelband den Eindruck, dass hinter der Kultur des Lebens nichts anderes steckt als ein missionarischer Ansatz im Gewand der Kapitalismuskritik.
Franz Segbers / Simon Wiesgickl (Hrsg.): „Diese Wirtschaft tötet“. Kirchen gemeinsam gegen Kapitalismus. VSA Verlag, Hamburg 2015. 255 Seiten, kartoniert, Euro 16,80, ISBN 978-3-89965-656-5
Impf-Debatte
Die Diskussion um das Für und Wider von Impfungen steht stellvertretend für das grundsätzliche Problem, mit dem die Medizin heutzutage zu kämpfen hat. Der Fülle an Fakten und Tatsachen, wonach das Impfen eine geradezu notwendige Maßnahme zum Schutz für den Einzelnen und die Gesellschaft (Stichwort Herden-Impfung) darstellt, stehen Ängste, Sorgen und Befürchtungen besorgter Eltern gegenüber, die nur zu gerne überhört werden. Gerade wenn es um das Impfen geht, bedarf es nicht allein wissenschaftlicher Argumente, sondern auch Zeit und Aufmerksamkeit, schließlich wollen Eltern in der Regel das Beste für ihr Kind. Eula Biss, Dozentin an der Northwestern University von Illinois, kennt die Ängste aus eigenen Erfahrungen sowie aus zahllosen Gesprächen mit Eltern. Sie hat sich mit allen Facetten des Pro und Contra beschäftigt und ein subjektives und zugleich interessantes Buch zum Thema geschrieben. Indem die Autorin wissenschaftliche Studien, Medizingeschichte, Soziologie und Literatur mit den Ursachen für Impfskepsis in Beziehung setzt, gelingt ihr ein neuer und spannender Einblick in die Thematik. Biss schafft es, die verschiedenen Fäden miteinander zu verknüpfen. Die Angst vor Nebenwirkungen spielt dabei ebenso eine Rolle wie Körperwahrnehmungen und auch die Angst vor staatlicher Bevormundung. Wenngleich das Buch für US-amerikanische Leser_innen geschrieben ist, kann es auch hierzulande einen wichtigen Beitrag leisten.
Eula Biss: Immun. Über das Impfen – von Zweifel, Angst und Verantwortung. Hanser Verlag, München 2016. 240 Seiten, gebunden, Euro 19,90, ISBN 978-3-446-44697-7
Gotteslästerung?
Die Frage, was Satire darf und was sie besser sein lassen solle, beschäftigt die Menschen seit Jahrhunderten. Schon Voltaire befand in seinem berühmten Traktat über die Toleranz, „die einzig vernünftige Devise in einem lächerlichen Zeitalter ist, über alles zu lachen“. Doch nicht jede_r Satiriker_in teilt diese Ansicht. Die Schauspielerin und Kabarettistin Christine Prayon erklärte in einem Interview mit dem Tagesspiegel: „Wenn man Satire macht, kann und darf man alles sagen. Aber man muss es nicht.“ Die Kulturschaffenden sind, nicht zuletzt seit den Anschlägen auf die Satirezeitung Charlie Hebdo, tief gespalten. Wie viel Religionskritik ist erlaubt? Der von Hans Richard Brittnacher und Thomas Koebner herausgegebene Sammelband geht dieser und weiteren Fragen nach. Die Autor_innen des Bandes stellen verschiedene Kunstwerke aus Literatur, Film und Kunst vor. Hierzu zählen namhafte Werke von Thomas Mann, Ingmar Bergman, Luis Buñuel oder, als ein jüngeres Beispiel, Ulrich Seidl. Begleitet von einem einführenden Kapitel zu Theorie und Geschichte verknüpfen die Herausgeber die unterschiedlichen Perspektiven auf dieses durchaus komplexe Thema. Zwar beschränkt sich der Sammelband in erster Linie auf das Christentum, dies tut aber weder dem Anliegen noch dem Inhalt in irgendeiner Form einen Abbruch. Den Herausgebern ist ihr aufklärerischer Anspruch in jeder Zeile ihres Vorwortes anzumerken. Ein wichtiger Beitrag in der gesellschaftlichen Debatte um Rolle und Bedeutung von Religionskritik in Zeiten des religiösen Backlashs.
Hans Richard Brittnacher / Thomas Koebner (Hrsg.): „Gotteslästerung“ und Glaubenskritik. Schüren Verlag, Marburg 2016. 256 Seiten, kartoniert, Euro 24,90, ISBN 978-3-89482-712-3
Freidenker-Kalender 2017
Orte – Ereignisse – Blicke heißt der diesjährige Kalender der Ulmer Freidenker*innen. Die haben sich umgesehen nach Zeugnissen des Widerstands gegen Unterdrückung, Naziterror, Atomwaffen… Erinnerungen werden geweckt und wach, so an die Menschenkette 1983 gegen die Stationierung von Pershing II und Cruise missiles in Deutschland und anderswo. Die zwölf Kalenderblätter zeigen Fotos sowie drei Aquarelle. Im Kalendarium sind Geburts- und Todestage wichtiger, für die Bürgerrechte kämpfender Menschen verzeichnet.
Freidenker-Kalender 2017. Freidenker/innen Ulm/Neu-Ulm, 2016. 13 Blatt, A 4, vierfarbig, Euro 8,50