Die Logos Hope wird von Operation Mobilisation International (OM) betrieben. Diese „Schiffsmission“ ist eines der zentralen Projekte der weltweiten evangelikalen Bewegung. In den letzten Jahren wurde das Schiff vor allem in Lateinamerika eingesetzt. Die Ziele der Missionsfahrten werden auf der Webseite von OM wie folgt beschrieben:
„In jedem Hafen schließt sich die Mannschaft des Schiffs lokalen Kirchen an, um den Menschen unabhängig von ihren Umständen, ihrer Kultur oder ihres Hintergrundes Hoffnung zu bringen und ihnen Gottes Liebe zu zeigen.“
Jährlich werden über das Schiff etwa eine Million Bücher verkauft. Darunter 100.000 Bibeln und 500.000 Exemplare anderer Literatur für christliche Lebensführung, Sexualmoral und Gottesverehrung. In jedem Hafen werden Massenbesuche in diese Bibliothek organisiert.
Sie werden auf Straßen und Plätzen sichtbar sein und „Gottes Wort“ verkünden. Die Logos Hope wird sich einen internationalen Anstrich geben als eine Einrichtung, deren Besatzung Arbeitseinsätze in Wohnquartieren durchführt und kulturelle Beiträge mit im Angebot hat. Über ihre aktiven Mitglieder in Schulen, Jugendverbänden und sozialen Einrichtungen werden sie versuchen, Besuche auf dem Schiff zu organisieren.
Autoritaristisch, homophob, patriarchal...
Aber es werden auch Menschen dabei sein, die an den Kampagnen zum vollständigen Abtreibungsverbot in den USA oder der Einführung langjähriger Haftstrafen für Homosexuelle in Westafrika mitgewirkt haben. Es werden Menschen über die Gangway der Logos Hope kommen, die Bolsonaro in Brasilien, Trump in den USA bei den Wahlkampagnen unterstützen und die in lateinamerikanischen Ländern Militärputsche mit Bibeln in der Hand beklatschen. Es kommen nicht irgendwelche netten Bibelfreaks aus unbekannten Freikirchen, es kommt der harte Kern der evangelikalen Weltbewegung. Der Schiffseinsatz soll den hiesigen Evangelikalen helfen, in den öffentlichen Raum vorzudringen und ihre mittelalterliche Agenda politisch durchzusetzen.
In Europa sind in den letzten Jahren koordinierte Kampagnen fundamentalistischer Christen und rechtspopulistischer Kräfte zu beobachten. Sie zielen auf elementare in den letzten 50 Jahren erkämpfte Rechte. In Italien laufen Kampagnen zur Einschränkung von Scheidungen, der Streichung des Unterhalts für Kinder geschiedener Frauen und für das Verbot der Abtreibung. Gleiche Initiativen gibt es in Österreich, ausgehend von den dortigen Lebensschützer*innen um die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler. In Polen und Spanien wurden Abtreibungsregelungen bereits deutlich reduziert. In Rumänien, Slowenien und Kroatien wurde die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gestoppt.
Wir sehen in Brasilien und den USA, wo Evangelikale in Regierungen sitzen bzw. maßgeblichen Einfluss im oder auf das politische Establishment haben, dass längst sicher geglaubte Rechte von Frauen und Homosexuellen im Eiltempo abgeschafft werden.
Die Netzwerkarbeit der klandestinen „Agenda Europe“ mit 300 Personen aus 100 Verbänden der europäischen Rechten und christlichen Fundamentalisten wurde 2018 öffentlich gemacht. Dahinter verbergen sich Lobbygruppen, die gezielt nationale Kampagnen unterstützen (Citizen Go) und bis in die EU-Kommission und einige Regierungen hinein Verbindungen aufgebaut haben.
Ebenso gehört hierzu der zuletzt in Budapest und Verona durchgeführte World Congress of Families. Hier nahmen die Herren Salvini und Orban, sowie zahlreiche Parlamentarier der europäischen Rechten gemeinsam mit Lebensschützer*innen und Vertreter*innen der Orthodoxen, der Katholischen und der Evangelikalen teil. Etwa 50 Millionen Dollar von den Konten rechter, christlicher Milliardäre aus den USA flossen in diese Organisationen und ihre Kampagnen.
OM ist Mitglied der Evangelischen Allianz und Teil dieser Bewegung.
Die Ziele der Evangelikalen
Die Strategie der Evangelikalen besteht darin, ihre bibelbasierte Agenda nicht nur in den Reihen der eigenen Mitglieder (ca. 1,3 Millionen in Deutschland) zu verkünden, sondern auch in der Öffentlichkeit und im politischen Raum zu verankern. Dazu zählt die Kooperation evangelikaler Einrichtungen mit säkularen Verbänden. Ihr Ziel ist die Anerkennung als Gesprächspartner für Parteien, Staat und politische und zivilgesellschaftliche Institutionen. Die von ihnen maßgeblich organisierten „Märsche für das Leben“, auf denen auch viele Bundestagsabgeordnete der AfD mitmarschieren, verdeutlichen ihre Zielstellungen.
Warum Bremen?
Bremen ist eine Hochburg der Evangelikalen. Sieben evangelikale Gemeinden und zwei landeskirchliche Gemeinschaften wirken innerhalb der fälschlich als liberal geltenden evan gelischen Landeskirche (BEK). 25 Freikirchen, überwiegend Pfingstler und Baptisten, sind aktiv. In Bremen gibt es die größte evangelikale Schule Deutschlands mit ca. 1500 Schüler*innen. Das Sozialwerk der evangelikalen Pfingstler hat 600 Beschäftigte und sie missionieren in fünfzehn von ihnen betriebenen Kindergärten. Drei evangelikale Abgeordnete sitzen im Landesparlament und wichtige Funktionen der evangelischen Kirche sind mit Evangelikalen besetzt.
In Bremen ist das Eindringen der Evangelikalen in Zivilgesellschaft und den politischen Raum weit fortgeschritten. Die grüne Sozialsenatorin Stahmann ist Schirmherrin der von Evangelikalen/ Baptisten nach Brüsseler Vorbild initiierten Kampagne serve the city, in der neben den evangelikalen Kirchen auch dreißig säkulare Organisationen als Kooperationspartnerinnen gelistet sind. Die örtliche Monopolzeitung Weser Kurier, die Jugendwelle von Radio Bremen, die Arbeiterwohlfahrt und ein Traditionsverein des Bremer Fußballs riefen 2019 zu einem Weihnachtssingen im Stadion auf, an dem 5000 Menschen teilnahmen, dessen Liederheft und Programm von Aktivist*innen des evangelikalen Projekts Lighthouse gestaltet wurde. Die Evangelische Allianz lud vor der Bürgerschaftswahl 2019 zur Podiumsdiskussion über christliche Positionen in der Politik – und alle Parteien, auch Grüne und Linke, buhlten um die Stimmen der Evangelikalen, indem sie bekundeten, den Religionsunterricht an den Schulen zu fördern.
In Bremen ist es für die Evangelikalen möglich, zu einem anerkannten Teil der Zivilgesellschaft und einem politischen Faktor zu werden.
Die Kampagne: Den Schleier lüften
Von Bundespräsident Steinmeier, Gregor Gysi, Wilfried Kretschmann und vielen anderen gutmeinenden Demokraten wird den Kirchen eine zentrale Rolle beim „Zusammenhalt der Gesellschaft“ zugesprochen. Dieses Wirken soll sowohl die integrierende Wirkung als universelle Einrichtung der Formulierung einer Metaethik (zehn Gebote/ Bergpredigt) für den Staat als auch die Wirkung als „Sozialkirche“ umfassen. Kein Unglück mit Todesopfern, nach dem nicht ein ökumenischer Gottesdienst über die öffentlichen Rundfunkkanäle verbreitet wird. Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände, weitgehend unsichtbar durch die Zuwendungen diverser Staats- und Sozialversicherungskassen finanziert, sind zentrale Unternehmen der Erziehung, Bildung und des Gesundheitswesens.
Von dieser Auffassung profitieren nicht nur die Amtskirchen sondern auch die Evangelikalen, die ihre Homophobie, ihre Frauenfeindlichkeit und ihren unbedingten Gehorsamskult nicht immer offen zu Markte tragen. Der Missionseifer der Evangelikalen durch deren zahlreichen Sozialangebote wird oft mit „besonderer Hilfsbereitschaft“ und „Nächstenliebe“ verwechselt.
Viele Menschen, die beim Wort Evangelikale völlig zu Recht sofort mit Grauen an den Bibelbelt der USA, fanatische Satansaustreiber*innen in Brasilien und Schwulenjäger*innen in Westafrika denken, können die den gleichen Inhalten verbundene evangelikale Freikirche in der Nachbarschaft nicht von der Amtskirche unterscheiden.
Wir wollen diesem politisch religiösen Treiben ein breite Bewegung entgegensetzen. Wir haben zahlreiche, Frauen-, Jugend-, Demokratie- und Bürgerrechtsgruppen eingeladen, um mit ihnen ein Bündnis ins Leben zu rufen, das die evangelikalen Seelenfänger*innen im September gebührend empfängt.
Die Ankunft der Logos Hope und die Präsenz der Bibeltreuen auf den Straßen wird nicht zu verhindern sein. Auch die örtliche, sehr kirchenfreundliche, Presse wird über die Missionare aus aller Welt wohlwollend berichten.
Formen militanter unvermittelter Aktionen rücken die Evangelikalen in ihre Lieblingsrolle der unterdrückten und bedrängten Christ*innen. Niemanden aus der Schiffsbesatzung werden wir zum Atheisten machen.
Das Schiff wird im Oktober wieder ablegen. Es wird entscheidend von uns abhängen, wie die Debatte um die Zielstellungen der Evangelikalen anschließend in Bremen weitergeführt wird. Dazu müssen wir vor allem die Ziele der Evangelikalen und ihre Strukturen sichtbar und deutlich machen.
Die Evangelikalen sind eine Bedrohung für Homosexuelle, da sie Homosexualität als eine Sünde ansehen. Die Evangelikalen wollen die Unterdrückung der Frauen, die Abschaffung der Scheidung, das Abtreibungsverbot. Die Evangelikalen wollen den perfekten Untertan, der sich der Bibel und Gottes führendem Bodenpersonal wider alle Vernunft und Wissenschaft unterwirft. Die Evangelikalen fördern die Spaltung der Menschen in Rechtgläubige, Gläubige und Ungläubige und liefern die Stichworte für Mobbing, Homophobie und für Gewalt gegen Frauen und Kinder.
Wir sollten einen Beitrag leisten, den politischen Raum und zivilgesellschaftliche Strukturen gegen die Umgarnungen der Evangelikalen zu immunisieren. Wenn die Evangelikalen die Bürgerschaftsparteien zu Podiumsdiskussionen laden, sollten etliche Stühle für Diskutanten leer bleiben und Schirmherrschaften abgelehnt werden. Mit Rechtspopulisten kooperiert man nicht, so sollte es auch mit deren geistigen Brüdern und Schwestern, den Evangelikalen sein.
Auf der Webseite des Forum Säkulares Bremen findet sich auch die Broschüre des IBKA zu den Strukturen der Evangelischen Allianz in Bremen.