Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 3/17 | Geschrieben von Rainer Ponitka

Reli? … und tschüss!

So titelte schon das erste MIZ-Heft des Jahres 2009. Weitere Slogans des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) sind „Religion ist kein Unterricht“ und „Beten ist keine Bildung“, um auf künstlich aufgebaute Schwierigkeiten für Lernende hinzuweisen, die – egal aus welchem Grund – nicht am Religionsunterricht teilnehmen wollen. In diesem Artikel werden zwei Fallbeispiele aus Nordrhein-Westfalen vorgestellt, in denen Schulleitungen ihr religiöses Wunschdenken zur Maßgabe schulischen Handelns machen.

Im März des Jahres erreichte den IBKA die Anfrage der Eltern dreier Schülerinnen einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, alle drei waren entsprechend Art. 7 (2) des Grundgesetzes in Zusammenhang mit § 31 (6) des Schulgesetzes NRW von der Teilnahme am Religionsunterricht befreit. Die älteste und religionsmündige Tochter besuchte zu der Zeit die zehnte Klasse. Hier ging es – wie schon so oft – um die zulässige Beaufsichtigung von nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schülerinnen und Schülern zur Zeit des Religionsunterrichtes, wenn die Schule das Zwangsersatzfach „Praktische Philosophie“ nicht anbietet. Zunächst wurden der Ältesten vom Religionslehrer Sonderaufgaben als sog. „ethische Hilfestellung“ erteilt, die sie auf dem Flur vor der Klasse erledigen sollte.1 Auf Beschwerde der Eltern gegen diese Strafarbeit mussten die Aufgaben nun während der Religionsstunde in der letzten Reihe des Klassenraums erledigt werden. Mit der Begründung, dass der Religionsunterricht sich störend auf die Konzentration auswirke, weigerte sich die Schülerin, diese Aufgaben im Klassenraum zu erledigen und wurde dann zur Erledigung derselben in das Schülercafé geschickt.

Brief an die Schulleitung

Nach einer ausführlichen Beratung durch die AG Schule des IBKA formulierten die Eltern einen Brief an die Schulleitung und forderten diese unter Fristsetzung auf, die Rechtsgrundlagen für die „angeordneten Maßnahmen“ zu benennen. Sie bezogen sich auf das Ethik-Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 1998 2 und stellten sich auf den Standpunkt, dass ihrer Tochter „in der Zeit des Religionsunterrichtes eine Freistunde“ zustehe, „in der sie selber entscheiden darf, was sie macht“. Nach hiesiger Auffassung ist diese Forderung durchaus berechtigt, das zitierte Urteil stellt klar, dass – ein Ersatzunterricht zum Religionsunterricht nur als ein vom Gesetzgeber dem Fach Religion inhaltlich und organisatorisch gleichwertiges Fach eingerichtet und unterrichtet werden darf; – die Existenz des Religionsunterrichtes als besonderes Privileg der Religionsgemeinschaften anzusehen ist, da diese ausnahmsweise in den staatlichen Raum – die öffentliche Schule – hineinwirken dürfen; – der Gesetzgeber die Mehrbelastung der Schüler durch die Annahme eines freiwilligen Faches – den Religionsunterricht – hinnimmt; – die Verpflichtung zur Teilnahme an einem beliebigen Fach oder zur Verrichtung beliebiger Aufgaben (selbstverständlich auch der Aufenthalt im gleichen Raum während des RU) zur Zeit des Religionsunterrichtes für die nicht daran Teilnehmenden unzulässig ist; – die Freiwilligkeit der Teilnahme am Religionsunterricht nicht eingeschränkt werden darf. Die Schulleitung überging in Ihrer Antwort die konkrete Aufforderung, sondern antwortete lapidar: „Die Vorstellung, dass Eltern und nicht die Lehrer den Unterrichtsablauf organisieren, entspricht nicht unseren Gepflogenheiten.“ Rechtsanwalt wird eingeschaltet Auch ein persönliches Gespräch zwischen den Eltern und der Schulleitung führte zu keinem befriedigenden Ergebnis, statt dessen wurde die Schülerin nach der Weigerung, die „Ethik-Aufgaben“ des Religionslehrers zu erledigen von der Schulleiterin vom Unterricht suspendiert und nach Hause geschickt. So wurde ein Rechtsanwalt mit der Angelegenheit betraut. Dieser berief sich in einem ersten Schreiben an die Schule auf o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und führte aus: „Wenn sich ein Schüler vom Religionsunterricht abgemeldet hat, darf er – ungeachtet der Aufsichtspflicht der Schule – nicht gezwungen werden, an irgendeiner Art Ersatzunterricht teilzunehmen. Zulässig ist nur die dann verpflichtende Teilnahme an dem Schulfach ‘Praktische Philosophie’, das von Ihnen nicht als vollwertiges Schulfach angeboten wird. Weiter darf ein Schüler nicht gezwungen werden, weiter am Religionsunterricht durch eine Verpflichtung zur Anwesenheit im Klassenraum teilzunehmen. [...] Soweit Sie sich auf Aufsichtspflichten berufen, die Sie angeblich nur durch Verbleiben im Religionsunterricht wahrnehmen können, kann ich nur darauf hinweisen, dass Sie allein für organisatorische Probleme und deren Lösung zuständig sind. Das darf aber nicht dazu führen, dass Sie meine Mandantin zur Anwesenheit im Religionsunterricht oder anderem Unterricht zwingen. Sie müssen organisatorisch sicherstellen, dass vom Religionsunterricht abgemeldete Schüler beaufsichtigt werden können. Das kann man einfach so lösen, dass man den Religionsunterricht in die Randstunden legt. Dann können die Schüler einfach später erscheinen oder früher nach Hause gehen. Eine weitere Alternative besteht darin, Schüler in vorhandene Schuleinrichtungen wie Cafés oder Bibliotheken gehen zu lassen. Damit ist höchstrichterlich geklärt, dass die durch Sie […] geübte Praxis rechtswidrig ist. Die verpflichtende Anwesenheit im Klassenraum während des Religionsunterrichtes oder jede andere Art des Ersatzunterrichts statt ‘Praktischer Philosophie’ ist unzulässig und rechtswidrig.“ Er forderte die Schulleitung unter Fristsetzung auf – „meiner Mandantin keine Teilnahme am Religionsunterricht oder Ersatzunterricht mehr vorzuschreiben und ihr stattdessen freizustellen, wie sie die Zeit des Religionsunterrichts verbringt; – im Fall der Verweigerung der Teilnahme am Religionsunterricht oder Ersatzunterricht keine Ordnungsmittel mehr zu verhängen.“

Ein kleiner Erfolg

In ihrer Antwort redete sich die Schulleitung vielfach heraus und zeigt wenig Unrechtsbewusstsein. So bestehe zwar nach § 32 Schulgesetz in Verbindung mit § 3 Abs. 5 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I3 keine Verpflichtung zur Teilnahme am Fach „Praktische Philosophie“, wenn dieses an der Schule nicht angeboten sei, dennoch könnte aber der „Besuch anderer Fächer oder Arbeitsgemeinschaften angeboten werden“. Auf die Verpflichtung zur Erledigung von Ethik-Aufgaben ging die Schulleitung mit keinem Wort ein; noch lässt sich das Angebot zum Besuch anderer Fächer als Ersatz für den Religionsunterricht im Schulgesetz finden. Auch wurde bestritten, dass der verhängte Ausschluss vom Unterricht eine Ordnungsmaßnahme sei. Dies wird allerdings in § 53 des Schulgesetzes deutlich, welches erzieherische Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen definiert und zwischen ihnen unterscheidet: So sind erzieherische Maßnahmen z.B. das erzieherische Gespräch, die Ermahnung, der Ausschluss aus der laufenden Unterrichtsstunde, etc. Als Ordnungsmaßnahme wird der „vorübergehende Ausschluss vom Unterricht von einem Tag bis zu zwei Wochen und von sonstigen Schulveranstaltungen“ definiert; vor dem Verhängen dieser Maßnahme ist den Eltern, dem Klassenlehrer wie dem Jahrgangsstufenleiter Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und der betroffene Schüler ist anzuhören. Das Schreiben schloss mit der Aussage, dass die betroffene Schülerin, soweit der Religionsunterricht in Randstunden liege, nun nach Hause gehen könne. Trotz dieses kleinen Erfolges kann die Angelegenheit keinesfalls als abgeschlossen angesehen werden, auch und weil viele andere Lernende in Nordrhein-Westfalen mit ähnlichen unzulässigen Unannehmlichkeiten konfrontiert sind.

Alle Jahre wieder…

gehen Anfragen bezüglich der Abmeldung vom Religionsunterricht von Schülerinnen und Schülern eines Berufskollegs ein; zumeist handelt es sich um den Bildungsgang zum Tierpfleger oder Landschaftsgärtner. Zuletzt in 2010 und nun ganz aktuell wieder sollen dortige Schüler – die zumeist volljährig sind – zunächst einen begründeten Antrag auf Abmeldung vom Religionsunterricht stellen, sobald dieser genehmigt ist, müssen sie sich einem Beratungsgespräch unterziehen. In diesem soll ihnen die Wichtigkeit von Religion „fürs Leben“ verdeutlicht werden. Anschließend werden sie aufgefordert, zumindest an vier Religionsstunden teilzunehmen, bevor die Abmeldung greift. Da an diesem Kolleg keine „Praktische Philosophie“ angeboten wird, sollen die „Religionsflüchtlinge“ nun – da sie gegenüber den Teilnehmern am Religionsunterricht keine Vorteile genießen sollen – freitags in den letzten Stunden am Sportunterricht teilnehmen. In NRW ist die Nicht-Teilnahme am Religionsunterricht im Runderlass „Religionsunterricht an Schulen“4 geregelt. Verpflichtet zur Teilnahme sind lediglich die Schülerinnen und Schüler, in deren Konfession ein Religionsunterricht angeboten wird – und auch sie können sich befreien. Die Befreiung muss schriftlich gegenüber der Schulleitung erklärt werden und kann an keine bestimmten Termine gebunden werden. So hat der IBKA die Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs mit den hier abgebildeten Postkarten ausgestattet. Eine Befreiung vom Religionsunterricht ist in NRW gültig, wenn neben dem Datum, dem Absender und einer Unterschrift auf der Postkarte lediglich der Satz steht: „Ich nehme ab sofort nicht mehr am Religionsunterricht teil!“

Anmerkungen
1 Vgl. „Gott zahlt keine Rechnungen“, in: MIZ 2/16, S. 8 ff.
2 BVerwG 6 C 11.97 – http://www.ibka.org/artikel/ag98/ethikurteil.html.
3 APO S1 § 3 Abs 5 Schülerinnen und Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, sind verpflichtet, am Unterricht im Fach Praktische Philosophie teilzunehmen, soweit die personellen und sächlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
4 RdErl. d. Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder 20.6.2003 (ABl. NRW. S. 232)