Die Antworten fielen sehr unterschiedlich aus. Linke und CDU markieren – erwartungsgemäß – die beiden Pole des Spektrums der Positionen: Während die Linke den Forderungen der säkularen Verbände weitestgehend zustimmt, gibt es in der Union keinerlei Verständnis für die Folgen der sog. kirchlichen Selbstbestimmung für Arbeitnehmer. Sozialdemokraten und Grüne diskutieren das Thema, offenbar kontrovers, und sahen sich noch nicht in der Lage, verbindlich Stellung zu beziehen. Interessant war immerhin, dass aus diesen beiden Parteien Abgeordnete antworteten, die ihren Schwerpunkt im Bereich „Arbeit und Soziales“ haben, während die anderen drei Parteien jeweils ihre kirchen- bzw. religionspolitischen Sprecher ins Feld schickten.
Die Linke: Veränderungen anstreben
Am einfachsten lässt sich die Position der Partei Die Linke beschreiben, für die deren religionspolitischer Sprecher Raju Sharma antwortete. Dass das Betriebsverfassungsgesetz im kirchlichen Bereich keine Anwendung findet, hält er nicht für angemessen. Er sieht Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft in einem wirtschaftlichen Wettbewerb mit anderen Unternehmen. „Dementsprechend agieren sie; d.h. sie verfolgen vor allem wirtschaftliche Ziele, während der karitative Gedanke immer mehr in den Hintergrund getreten ist. Beschäftigte klagen über schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne. Gleichzeitig fehlen ihnen die Möglichkeiten, ihre Interessen wirkungsvoll gegen ihre Arbeitgeber durchzusetzen. Für die kirchlichen Träger ist das ein knallharter Wettbewerbsvorteil.“
Auch was den Eingriff ins Privatleben der Beschäftigten angeht, bezieht die Linke eindeutig Stellung: „Klar ist, dass Ärzte, Altenpfleger, Reinigungskräfte und Verwaltungsangestellte nicht unter die Tendenzklausel fallen sollten.“ Die bekannten einschlägigen Fälle von Angestellten, die gekündigt wurden, weil (zum Beispiel) sie in einer zweiten Partnerschaft ein Kind haben, nennt Sharma „haarsträubend“. Niemand ver stehe, dass die Kirchen ins Leben einer Putzfrau in gleichem Maße reinreden wollen wie bei einem Pfarrer. „Der Tendenzschutz muss daher auf den engen Bereich der Verkündung beschränkt werden.“
Auf die Frage, ob die Partei angesichts der systematischen Diskriminierung der Konfessionslosen Maßnahmen diskutiert, hier Abhilfe zu schaffen, verweist Sharma darauf, dass auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – ähnlich wie im Betriebsverfassungsgesetz – ein Paragraph existiert, der die Kirchen von dessen Gültigkeit ausnimmt. Die Linke strebt hier eine Veränderung an: „Kirchlichen Trägern täte hier eine Öffnung auf freiwilliger Basis gut, ohne dass sie per Gesetz dazu gezwungen werden. Im Zweifelsfall werden wir aber nicht zögern, entsprechende Initiativen in den Bundestag einzubringen.“ Zuvor setze er jedoch auf den Dialog mit den Kirchen.
CDU: Klares Bekenntnis zu Diskriminierung
Auch die CDU bezieht eindeutig Position. Von der Kirchenbeauftragten der CDU/CSU-Fraktion Dr. Maria Flachs barth ging das ausführlichste Antwortschreiben ein. Ihren Darlegungen stellt sie einen Hinweis auf das „Selbstbestimmungsrecht“ und auf das Subsidiaritätsprinzip voran. Im Hinblick auf die Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft betont sie deren „erheblichen Beitrag für das Gemeinwohl, den der Staat kaum oder nur mit größten Anstrengungen selbst schultern könnte“. Insofern sieht sie auch keinerlei Änderungsbedarf: „Nach unserer Auffassung sollte es aus gutem Grund Sache der Kirchen selbst bleiben, die Einzelheiten dazu im Bereich der ihnen verfassungsrechtlich zugestandenen Selbstbestimmung zu regeln.“
Dass das Betriebsverfassungsgesetz hier keine Anwendung findet, sieht Flachsbarth als unproblematisch an: „Durch das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht wird erzielt, dass in 85- 90% der mitarbeitervertretungsfähigen Einrichtungen tatsächlich Mitarbeitervertretungen bestehen (die Dichte ist also deutlich höher als im Geltungsbereich des staatlichen BetrVG, wo gerade mal in 30% der Betriebe Betriebsräte gebildet sind).“ Hinsichtlich der Mitbestimmung seien Mitarbeiter im kirchlichen Dienst nicht schlechter gestellt, mitunter gehe das kirchliche Mitbestimmungsrecht sogar über staat liche und tarifvertragliche Mitbestimmungsordnungen hinaus: „So bedarf beispielsweise die Einstellung von Leih arbeitern über sechs Monate hinaus der Zustimmung der kirchlichen Mitarbeitervertretungen vor Ort.“ Zur Problematik des fehlenden Streikrechts äußert sie sich in ihrem Schreiben nicht.
Auch für die besonderen Loyalitätspflichten der Beschäftigten im „kirchlichen Dienst“ verweist die CDU-Abgeordnete auf die herrschende Rechtsprechung, die davon ausgehe, dass die Kirchen in den ihnen zugeordneten Einrichtungen „ihr Arbeitsrecht so ausgestalten können, dass sie (innerhalb der Grundprinzipien unserer Rechtsordnung) ihrem christlichen Proprium gerecht werden können“. (Allerdings ist im Grundgesetz nicht die Rede von „Grundprinzipien unserer Rechtsordnung“, sondern von den „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“.) Was aus ihren Glaubens inhalten für ihre „als Dienstgemein schaft verstandenen Arbeitsverhältnis se“ folge, könnten nur die Religionsgemeinschaften selbst definieren; der weltanschaulich neutrale Staat dürfe sich hier nicht einmischen: „Folgerichtig kann von staatlicher Seite also auch nicht für die Kirchen vorgeschrieben werden, ob und welche Abstufungen in den Loyalitätsobliegenheiten nach Tätigkeitsbereich/Verkündigungsnähe o.ä. geben kann. Es ist daher richtig, dass der Tendenzschutz für alle Mitarbeitenden im Dienst kirchlicher Einrichtungen gleichermaßen gilt, unabhängig von ihrer konkreten Tätigkeit.“ Mit keinem Wort geht Maria Flachsbarth auf die täglich stattfindenden Grundrechtsverletzungen ein. Es muss also davon ausgegangen werden, dass sie diese als unproblematisch ansieht und die derzeitige diskriminierende Praxis befürwortet.
Dementsprechend haben Konfessionslose von der Union in dieser Frage nichts zu erwarten. Dass sie in kirchlichen Einrichtungen keine Anstellung finden bzw. im Falle eines Kirchenaustrittes gekündigt werden, stellt Maria Flachsbarth in Abrede: „Dazu verweise ich auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes des VDD [Verband der Diözesen Deutschlands, MIZ-Red.], die in Art. 4 in Abs. 3 ausdrücklich die Tätigkeit von nichtchristlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für möglich erachtet, wenn diese bereit sind, die ihnen in einer kirchlichen Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der Kirchen zu erfüllen.“ Aufgrund des Fachkräftemangels in Pflegeberufen könnten Arbeitswillige ohnehin „frei und problemlos zwischen verschiedenen Arbeitgebern (kommunal, private, kirchliche) wählen“. So lautet ihr Fazit: „Das kirchliche Arbeitsrecht hat sich (für alle Seiten) bewährt und wird es nach unserem Dafürhalten auch weiterhin tun. [...] Wir sind überzeugt davon, dass das den Kirchen in eigener Verantwortung zum Wohle aller Beteiligten in der Dienstgemeinschaft gut gelingen wird und sehen daher von politischer Seite keine Notwendigkeit, an den bestehenden Regelungen etwas zu ändern. Dies schließt nicht aus, dass wir es begrüßen, wenn die Kirchen selbst sich zu Anpassungen und Änderungen innerhalb ihres selbständig geregelten Bereiches entschließen.“
FDP: Ratschläge für Kirchengemeinden
Für die FDP schickte der kirchenpolitische Sprecher Dr. Stefan Ruppert eine Stellungnahme. Wie seine CDU-Kollegin ist Ruppert im kirchlichen Bereich engagiert, was sich darin niederschlägt, wie er die Fragen angeht. Denn seine Ausführungen behandeln ein gutes Stück weit innerkirchliche Perspektiven.
Die Existenz eines kircheneigenen Arbeits rechts versteht er grund sätzlich als eine Ausprägung der Religions freiheit. Gleichzeitig sieht er Reformbedarf in konkreten Punkten: „Ins gesamt geht es im Rahmen der sog. Dienstgemeinschaft um die Möglich keiten einer angemessenen Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten. Nur wenn dies gewährleistet wird, ist ein Streikverbot auf die Dauer gerechtfertigt.“ An die Kirchen appelliert er, trotz der Zwänge der Ökonomisierung „ihren moralischen Ansprüchen gerecht werden“.
Auch er führt die herrschende Recht sprechung an, die es den Kirchen zugestehe, in Fragen der Loyalitätspflichten alleine zu entscheiden. Allerdings ver weist Ruppert auf die europäische Ebene, die eine genauere Grundrechtsabwägung eingefordert habe. Wiederum stellt er Überlegungen über die Verhältnisse in den Kirchen an: „veränderte konfessionelle Verhältnisse sollten vor allem durch die beiden Kirchen berücksichtigt werden. Man kann sich schon fragen, wo der spezifische Verkündigungsanspruch bleibt, wenn unter kirchlichem Dach mehrheitlich Menschen im Hauptamt ohne christlichen Glauben arbeiten. Caritas/ Diakonie sollen eigentlich im Gemeindeleben verwurzelt sein.“
Konfessionslose Bürgerinnen und Bürger geraten so allmählich aus dem Blickfeld. Die letzte Antwort nimmt auf die Frage kaum noch Bezug: „Der Staat sollte nicht vorgeben, wen die Religionsgemeinschaften beschäftigen. Zu Recht bestehen bereits in den beiden großen Kirchen Regelungen, welche für bestimmte Kategorien von Beschäftigten die Einstellung eines größeren Personenkreises ermöglichen, etwa Mitglieder jeder christlichen Konfession. Die Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft sollten sich in ihrer Tätigkeit auf ihre Kernaufgabe, die Verkündung des Evangeliums, konzentrieren. Daran sollten ihre Aktivitäten (auch die unternehmerischen) gemessen werden. Eine völlig professionalisierte Diakonie/Caritas ohne dass die Gemeinden vor Ort sich einbringen, eine Entkopplung von der Gemeindearbeit täte dem kirchlichen Wohlfahrtswesen nicht gut.“ Und so, teilt Stefan Ruppert mit, verfolgten die Liberalen „aufmerksam die neue Dynamik auf diesem Gebiet, und sind für Gespräche mit den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden als wichtige zivilgesellschaftliche Faktoren offen“.
SPD: Bei der Bestandsaufnahme
Die SPD hatte die Anfrage an den Abgeordneten Ottmar Schreiner weitergeleitet. Am Tage der Anhörung im Bundestag schickte sein Büro die Mitteilung, dass die Partei noch keine „abschließenden Antworten“ geben und folglich keine Stellungnahme zu den gestellten Fragen einreichen könne: „Die SPD-Bundestagsfraktion ist derzeit noch bei der Bestandsaufnahme zum Thema kirchl. Arbeitsrecht und ‘Dritter Weg’.“
Aus einem beigefügten Redemanuskript – Schreiner sprach An fang März auf einer Fachtagung an der Universität Eichstätt zum Thema – geht hervor, dass sich die SPD bei der Beurteilung des kirchlichen Arbeitsrechts bislang wohl ganz vorrangig mit dem Aspekt der Betriebsverfassung beschäftigt hat. Hier kommt Schreiner zu der Auffassung, dass durch die Kommerzialisierung der sozialen Arbeit das kirchliche Recht, die Arbeitsbedigungen in ihren Einrichtungen „auf einem eigenen Weg“ zu vereinbaren, zwar nicht in Frage gestellt werde. Doch müsse überlegt werden, ob das „kirchenrechtliche Instrumentarium angesichts der staatlicherseits massiv veränderten Rahmenbedingungen für soziale Arbeit noch zweckmäßig ist“. Insbesondere geht es ihm darum, dass die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeit nehmerseite „auf Augenhöhe“ stattfinden. Nur ganz am Rande weist Schreiner in seinem Vortrag darauf hin, dass sich aus dem kirchlichen Arbeitsrecht Grundrechtskonflikte ergeben können und dass hier eine „sorgfältige Güterabwägung“ geboten sei.
Dass die SPD diesen Blickwinkel einnimmt, ist aus ihrer traditio nellen Gewerkschaftsnähe erklärbar. Es bleibt insofern zu hoffen, dass nach Abschluss der Bestandsaufnahme auch der zweite Problemaspekt des kirchlichen Arbeitsrechts ins Blickfeld der Sozialdemokratie rückt: die systematische Diskriminierung Konfessionsloser.
Grüne: Im Diskussionsprozess
Auch Bündnis 90/Die Grünen haben noch keine „abschließende Position“ zum kirchlichen Arbeitsrecht. Deshalb erhielt die MIZ auch von dieser Fraktion keine offizielle Stellungnahme, die Antwort der Sprecherin für Arbeitnehmerrechte Beate Müller-Gemmeke gibt ihre persönliche Einschätzung wieder.
Die bündnisgrüne Abgeordnete plä diert für eine Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auch in sozialen Einrichtungen der Kirchen, „damit die Beschäftigten den gleichen Einfluss auf betriebliche Entscheidungen nehmen können, wie alle anderen Beschäftigten auch“. Die Reichweite des kirchlichen „Selbstbestimmungsrechtes“ sollte hin terfragt werden. Ihres Erachtens dürfe es nur „für den engen Bereich der Verkündigung gelten. Für die Beschäftig ten außerhalb des Verkündigungsbereichs der Kirchen, also überall dort, wo die kirchlichen Einrichtungen gesellschaftliche Aufgaben übernehmen, sollte das individuelle und kollektive Arbeitsrecht angewandt werden.“ Das Streikrecht bezeichnet Müller-Gemmeke als nicht verhandelbares Grundrecht.
Insbesondere im Osten Deutschlands habe die Realität neue Fakten geschaffen. So seien dort „zwangsläufig immer mehr konfessionslose Beschäftigte in den Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft beschäftigt“. Auch hierzu gibt es noch keine „grüne“ Position. Beate Müller-Gemmeke selbst ist der Meinung, „dass die Loyalitätspflichten nur im engen Bereich der Verkündigung gelten können“.
Anknüpfungspunkte
Das Fazit der Befragung fällt ambivalent aus. Einerseits stellt sich die Frage, was genau SPD und Bündnisgrüne derzeit noch diskutieren. Die SPD hatte die Forderung, dass „allgemein geltende Arbeitnehmerrechte ... auch in Einrichtungen der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet sein“ müssen, jahrelang in ihrem Grundsatzprogramm (Berlin, 1989). Und die Grünen haben erst vor wenigen Monaten auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz beschlos sen, dass Streikrecht, Mitbestimmungsrechte und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz „uneingeschränkt auch bei kirchlichen Dienstgebern gelten“ sollen. Wenn nun Diskussionsbedarf besteht, erweckt dies den Anschein, interessierte Parteikreise könnten diese klare Positionierung verwässern wollen.
Andererseits signalisieren die Antworten für alle Parteien außer der Union eine gewisse Sensibilität hinsichtlich der Problematik der „Loyalitätspflichten“ und der Diskriminierung konfessionsloser Arbeitnehmer. (Und selbst für die CDU ist es eher fraglich, ob die Ausführungen von Dr. Maria Flachsbarth in einer geheimen Abstimmung ungeteilte Zustimmung finden würden.) Daran können die Interessenverbände der Konfessionslosen anknüpfen.
Informationen: Drei Fragen an...
- In Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft hat das Betriebsverfassungsgesetz keine Gültigkeit (BetrVG § 118, Abs. 2). Halten Sie diese Regelung generell für gerechtfertigt?
- In kirchlichen Einrichtungen gelten der „Tendenzschutz“ und die damit einhergehenden Grundrechtseinschränkungen nicht nur für Lei tungspersonal und Beschäftigte in den Bereichen Seelsorge und Verkündigung, sondern auch für Ärzte, Altenpfleger, Verwaltungsangestellte oder Reinigungskräfte. Für welche Berufsgruppen halten Sie dies für angebracht und für welche nicht?
- Ein knappes Drittel der Bevölkerung ist mittlerweile konfessionslos; im Osten Deutschlands beträgt der Anteil sogar über zwei Drittel. Für diesen Personenkreis besteht nicht (oder nur sehr eingeschränkt) die Möglichkeit, in Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft zu arbeiten, obwohl diese aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Werden in Ihrer Partei konkrete Maßnahmen diskutiert, hier Abhilfe zu schaffen?