Hierfür werden Gesprächspartnerinnen und -partner mit Erfahrungen aus dem beruflichen Alltag und aus juristischen, politischen, gewerkschaftlichen, kirchlichen und humanistischen Zusammenhängen gesucht.
Dienen statt Arbeiten
Scheidung, Kirchenaustritt, Wiederverheiratung, Homosexualität, uneheliche Kinder und ähnliche Privatangelegenheiten sind Kündigungsgründe und Konfessionslose oder Andersgläubige dürfen von Bewerbungen ausgeschlossen werden. Dies ist Alltag für Millionen Arbeitnehmer und Auszubildende in deutschen Gesundheits-, Pflege-, Sozial- und Bildungseinrichtungen. Hinzu kommt, dass es weder für sie noch für die Nutzer der Angebote überall ausreichend Alternativen gibt, da kirchliche Träger in einigen Gebieten eine Monopolstellung haben.
In den evangelischen und katholischen Dienstgemeinschaften kollidiert das Grundrecht auf Nichteinmischung in religiöse Angelegenheiten mit den Grundrechten auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Freiheit der Berufswahl und Schutz vor Diskriminierung. Inwiefern die Situation von einer konsequenten Trennung von Kirche und Staat zeugt oder kirchliche Dienstgeber ein zu großes und ungerechtfertigtes Maß an Tendenzschutz genießen, soll die Studie untersuchen.
Unterschiedliche Perspektiven und Fragestellungen
Um möglichst praxisnahe und facettenreiche Einblicke zu erhalten, sollen Kritiker und Befürworter aus Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Interessenverbänden und juristischen Fachkreisen sowie Betroffene zu Wort kommen.
Mit ihnen wird unter anderem der Frage nachgegangen, welchen eventuellen Mehrwert die Regelungen für die betroffenen Dienstnehmer/innen beziehungsweise die Nutzer/innen der Angebote, also die Klient(inn)en, Schüler/innen usw. haben. Man wird also auch erfahren, welche Einschränkungen gerne hingenommen beziehungsweise nicht als solche erfahren werden, wenn man einen Arbeitsplatz in einer Wertegemeinschaft bewusst wählt und schätzt. Gleiches gilt sicher auch für manche Eltern, die es schätzen, dass ihre Kinder nur von Gleichgläubigen unterrichtet werden und ihr Arzt zum selben Gott betet. Außerdem stehen kirchlichen Einrichtungen viele Ehrenamtliche und somit ein großes Plus zur Verfügung. Aber auch zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt wird Aufmerksamkeit bekommen, denn sie bietet Ähnliches – aber diskriminierungsfrei?
Thematisiert wird auch die Rechtsunsicherheit durch die unterschiedliche lokale und branchenabhängige Auslegung und wechselhafte Handhabung der Sonderrechte. So kann zum Beispiel ein offen schwuler Pfleger morgen entlassen werden oder sich nicht in eine Klinik in einem anderen Bezirk versetzen lassen.
Deutschland legt Vorgaben der EU kirchenfreundlich aus
Eine der gesetzlichen Grundlagen für die Loyalitätspflichten ist § 9 des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) aus dem Jahr 2006. Die deutsche Auslegung der EU-Richtlinie (2000/78/EG) ist einigen europäischen und deutschen Gerichten, Politikern und Verbänden jedoch zu kirchenfreundlich. In einem Vertragsverletzungsverfahren brachte die EU 2008 zum Ausdruck, es sei „richtlinienwidrig, eine bestimmte berufliche Anforderung allein aufgrund ihres [der Religionsgemeinschaften, C.G.] Selbstbestimmungsrechts festzulegen, ohne dass dies im Bezug auf die konkrete Tätigkeit auch einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen ist.“ Als Reaktion wurde nicht etwa die Regelung nur auf sogenannte verkündigende Tätigkeiten eingeengt, sondern es genügt der europäischen Kommission eine mehr als vage Zusage der damaligen Bundesjustizministerin Zypries. Darin versprach diese eine „richtlinienkonforme Auslegung“, was sich aufgrund der Unabhängigkeit deutscher Gerichte nicht auf konkrete Rechtsverfahren auswirken kann, sondern als mäßigende Reaktionen auf Forderungen der Kirchen beschränken muss. Welchen Stellenwert die richtlinienkonforme Auslegung der „Kirchenklausel“ in der Rechtspraxis hat, wird die Studie versuchen zu klären.
Auch das deutsche Betriebsverfassungsgesetz bietet Kirchen und ihren Einrichtungen weitreichende Befugnisse, Privatangelegenheiten ihrer (potenziellen) Mitarbeiter/innen mit arbeitsrechtlichen Sanktionen zu ahnden. So genießen Kirchen nicht nur die Freiräume des Tendenzschutzes nach § 118 BetrVG, der es Gewerkschaften, politische Interessenverbände usw. erlaubt, von ihren Angestellten die jeweils nötige Loyalität zu fordern.
In Absatz 2 des §118 steht, dass das gesamte Betriebsverfassungsgesetz „keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform“ findet. Mit allen Folgen: Loyalitätspflichten, stark eingeschränktes Tarif- und Mitbestimmungsrecht und kein Streikrecht.
Hingegen wird Tendenzschutz in der EU-Richtlinie nur eingeräumt, um „Benachteiligungen von Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, einem bestimmten Alter oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung zu verhindern oder auszugleichen, und diese Maßnahmen können die Einrichtung und Beibehaltung von Organisationen von Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, einem bestimmten Alter oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung zulassen, wenn deren Zweck hauptsächlich darin besteht, die besonderen Bedürfnisse dieser Personen zu fördern.“
Da Krankenhäuser, Kindergärten usw. wohl kaum den Zweck erfüllen können oder sollten, Benachteiligungen von Kirchenmitgliedern auszugleichen und deren besondere Bedürfnisse zu fördern, dürfte ihnen auch kein Tendenzschutz wie etwa benachteiligten Minderheiten zugestanden werden. Eigentlich.
Wozu trägt die Studie bei?
Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) finanziert diese Studie und möchte dadurch die kaum bekannten Konsequenzen der Loyalitätsobliegenheiten sichtbarer machen und eine breitere Basis für politisches Engagement erhalten. Auch diesbezügliche Standpunkte (sofern vorhanden) aus Politik, Gewerkschaften, humanistischen Organisationen, Homosexuellenverbänden, kirchenkritischen Gruppen und juristischen Expertenkreisen erhielten bislang wenig Aufmerksamkeit – zumal im Vergleich zu Auseinandersetzungen über Streik- und Tarifrecht usw.
Die Studie soll mehrere Funktionen erfüllen, indem sie
► über Praxis, Rechtslage und Kritik aufklärt,
► die Gesetzeslage in Deutschland und in der EU diskutiert,
► die Auswirkungen aufzeigt,
► durch Erfahrungsberichte Identitätsstiftung für Betroffene ermöglicht und
► Grundlagen für politisches Handeln bietet.
Die Zielgruppe der Studie sind zunächst Akteure mit kirchenkritischem Engagement. Das Buch soll aufgrund der doch recht grundsätzlichen Fragen zur Stellung von Kirche in der Gesellschaft ein breiteres Publikum ansprechen. Es wird so verständlich und praxisnah geschrieben werden, dass es über politische, gewerkschaftliche und juristische Fachkreise hinaus auch direkt betroffenen Berufstätigen und Auszubildenden zugänglich sein wird.
Informationen: Gesprächspartner/innen gesucht!
Wer die Studie unterstützen möchte, kann diesen Artikel an potenziell interessante Ansprechpartner/innen weiterleiten oder hier für bei der Autorin oder beim IBKA den Text des Aufrufs erhalten. Jede Kontaktaufnahme wird verschwiegen behandelt und die unterschiedlichen Einblicke, Erfahrungen, Meinungen und Sachkompetenzen können auf Wunsch selbstverständlich vertraulich und anonym eingebracht werden.
Kontakt über gekeler@gerdia.de