Blätterwald | Veröffentlicht in MIZ 3/25 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Blätterwald

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Unverzichtbar?

Im Hamburger Abendblatt wurde Ende August ein Gastbeitrag veröffentlicht, in dem der Immobilienmakler Asif Malik erklärte, Warum Religion unverzichtbar ist. Religion sei in der Lage, das „Innere“ des Menschen anzusprechen. Während „säkulare Systeme“ auf äußeren Zwang setzten, baue Religion auf „innere Disziplin“. Sie biete Orientierung, „wo der Gesetzgeber schweigt“. Damit sei sie das stille Fundament moderner Gesellschaften. Malik, der sich ehrenamtlich für den interreligiösen Dialog engagiert und immer wieder für die Berliner Tageszeitung Tagesspiegel schreibt, erweckt damit den Eindruck, es gäbe keine weltlich fundierte Ethik, die Verhaltensmaßstäbe definiert, die für ein Zusammenleben wichtig sind. „Westlich geprägte Gesellschaften“ stellt er als defizitär dar, sie stehen für eine Welt, „in der Algorithmen Entscheidungen treffen und das Strafgesetzbuch für Ordnung sorgt“.

Seine Ausführungen blieben allerdings nicht unwidersprochen. Der Sprecher des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) für die Region Hamburg, Gerhard Lein, verwies in einem Leserbrief darauf, dass Konfessionslose die Religion hinter sich gelassen haben und ihre Orientierung aus anderen, diesseitigen Quellen, beispielsweise der Erklärung der Menschenrechte, ziehen. Auf die von Malik aufgeworfene Frage, wer uns daran hindere, das Falsche zu tun, antwortet Lein: „wir selbst, indem wir immer wieder lernend unsere Werte formulieren und leben.

der blaue Reiter

Identität ist nicht nur ein Modewort – das Thema gehört auch zu den bestimmenden dieses Jahres. Kortizes, das Institut für populärwissenschaftlichen Dialog, beschäftigte sich auf seiner Jahrestagung vom 3. bis 5. Oktober 2025 mit dem Thema „Identität im Wandel“, das Journal für Philosophie der blaue Reiter widmet sein Heft zum 30-jährigen Jubiläum seines Bestehens ebenfalls diesem Thema (Ausgabe 55/2025). Das Heft enthält philosophische Beiträge zu Identität im Spannungsfeld zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung, ihrer Veränderung im Alter, kulturellen Unterschieden und Identitätskrisen in Europa. Weiterhin eine Kolumne zum Fehlgebrauch des Begriffes, lexikalische Beiträge zu Blackfacing, Fastnacht, Nationalmannschaft und sozialem Konstruktivismus, Unterhaltung (z.B. unter der neugierig machenden Überschrift „Vom Ich zum Pyrami­denteebeutel“, sowie die Rubriken Porträt, Ethik Aktuell, echo (Presseschau) und Rezensionen. Sowohl diese bunte Mischung macht den Reiz des Heftes auch für Nicht-PhilosophInnen aus, als auch die zahlreichen Abbildungen und Erläuterungen zu den Fachtexten. Die ExpertInnen sind dadurch nicht darauf angewiesen, Erläuterungen beim Lesen zu überspringen, Laien finden sich dagegen schnell auch im ungewohnten Begriffsvokabular zurecht. Dadurch sind den Beiträgen auch nicht ermüdende Fußnoten beigefügt, sondern am Ende Empfehlungen zum Weiterlesen.

Für mich am spannendsten im Heft zu lesen war eine Umfrage von SchülerInnen an einem Gymnasium in Frankfurt am Main. Aussagen wie „Meine Identität besteht aus allen Spuren, die ich auf der Welt hinterlasse“ oder „Das einzige, was ein Leben lang identisch bleibt, ist mein Name“ waren dabei meine Favoriten.

Viola Schubert-Lehnhardt

bruno

Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) enthält diesmal Artikel zu unterschiedlichen Themen, die in der aktuellen Politik und im humanistischen Diskurs eine Rolle spielen. Florian Chefai stellt fest, dass der Kampf gegen die islamische Rechte ausgesprochen weiblich ist. Er geht der Frage nach, warum sich vorrangig Frauen in dieser Frage engagieren, und stellt vier Frauen vor, die im Arbeitskreis Politischer Islam mitarbeiten. Zum Thema § 218 wird der Arzt Joachim Volz (siehe MIZ 2/25) vorgestellt, der juristisch gegen ein christliches Krankenhaus vorgeht, das Schwangerschaftsabbrüche weitestgehend (und auch gegen medizinische Vernunft) untersagt hat.

Unter der Überschrift „Ist der Humanismus noch zu retten?“ erörtert Michael Schmidt-Salomon im Interview, wie es um dessen Zukunftsperspektiven bestellt ist. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass trotz aller unverkennbaren Rückschläge der letzten Jahre der Humanismus heute „deutlich besser“ dasteht als vor 50 oder 100 Jahren. Man solle die Hoffnung nicht aufgeben, meint der Philosoph und verweist auf Giordano Bruno, der 1600 für seine Ansichten verbrannt wurde – Ansichten, die heute weitestgehend akzeptiert seien, während sich das Weltbild der katholischen Kirche auf dem Rückzug befinde. Ein anderer Artikel befasst sich mit Möglichkeiten, Schülerinnen und Schülern eine demokratische Erziehung zu bieten, statt dem Druck konservativer Eltern nachzugeben. Als Schritt in die richtige Richtung wird ein gemeinsamer religions- und weltanschauungskundlicher Unterricht vorgeschlagen.

Daneben werden Personen aus der gbs und die Tätigkeiten der Stiftung vorgestellt.

bruno. Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung. 2025: Mein Kopf gehört mir! 78 Seiten. (Das Heft kann auf der Webseite der gbs kostenlos heruntergeladen oder in der Druckausgabe angefordert werden.)

Freidenker-Kalender

Seit nun 40 Jahren gibt es den Kalender der Freidenker und Freidenkerinnen Ulm und Neu-Ulm. Diesmal lautet das Motto „Zeitkapseln der Geschichte!“. Auf zwölf Monatsblättern wird an Personen oder Momente erinnert, die für eine andere Welt stehen. Mit dabei sind Jack London und Max Ernst, die spanische Revolution und der antikoloniale Kampf in Vietnam. Der 1526 hingerichtete Künstler Jörg Rathgeb steht für den großen Aufstand der Bauern und dessen brutale Niederschlagung.

Freidenker-Kalender 2026. Freidenker/innen Ulm/Neu-Ulm, 2025. 13 Blatt, A 4, vierfarbig, Euro 8,80

www.denkladen.de