Gläserne Wände
Die 94-seitige Broschüre mit dem Unter- titel Bericht zur Benachteiligung nicht- religiöser Menschen in Deutschland des Humanistischen Verbands Deutschland (HVD) war der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) eine ausführliche Kommentierung wert. Die anfängliche Beschreibung ist sachlich und trifft den Kern: „Dem Staat wird vorgehalten, die christlichen Kirchen und andere religiöse Gemeinschaften zu privilegieren und damit seine grundgesetzlich vorgegebene religiöse und weltanschauliche Neutralität zu verletzen. Zwar sei die deutsche Situation nicht mit der offenen Unterdrückung nichtreligiöser Menschen zum Beispiel in zahlreichen islamisch geprägten Staaten vergleichbar. Genauer betrachtet würden nichtreligiöse Menschen jedoch auf dem Arbeitsmarkt, in Kindertagesstätten, in Schulen, in Hochschulen, im Gesundheitswesen, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in den Medien benachteiligt.“
Gelobt wird die ansprechende Gestaltung, und der Theologe Reinhard Hempelmann räumt immerhin ein
„dass das religionsfreundliche Modell
des Verfassungsrechts in Deutschland nicht unumstritten ist“. Aus zwei Gründen widerspricht er aber. „Nicht überzeugend ist diese Argumentation vor allem deshalb, weil suggeriert wird, der HVD vertrete die Interessen von mehr als 25 Millionen Menschen, die keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören. [...] Der HVD kann (nur) für seine Mitglieder sprechen, deren Zahl begrenzt ist.“ Diese Argumentationsschiene ist fragwürdig. Zum einen belegen Umfragen, dass ein Großteil der Konfessionsfreien die Kritik der säkularen Verbände teilt, zum anderen fragt sich, wieweit denn die Kirchen für Mitglieder sprechen können, die zu 98 Prozent als fremdbestimmte Kleinstkinder in die Kirche hineingedrängt wurden. Dass der Staat die Säuglingstaufe als Beitrittserklärung anerkennt, ist ja einer der vielen Belege für die Bevorzugung der Kirchen.
Ernster zu nehmen ist (leider) der zweite Einwand. Es bleibe „allerdings ungeklärt, ob positive oder negative Gleichbehandlung gefordert wird, ob es dem HVD um eine stärkere Beteiligung zum Beispiel im Bildungsbereich geht (u.a. mit humanistischen Lehrstühlen an Universitäten und dem Fach Humanistische Lebenskunde an öffentlichen Schulen in ganz Deutschland) oder um die strikte Trennung von Staat und Kirche sowie um das Plädoyer für einen laizistischen Staat, der religiöse Symbole und Angebote aus dem öffentlichen Raum grundsätzlich verbannt. In einem laizistischen Staat könnte es eine Humanistische Lebenskunde im öffentlichen Raum der Schule nicht geben. Dieses Vorzeigeprojekt des HVDs wäre damit hinfällig.“ Damit trifft der Pfarrer in der Tat den wunden Punkt schlechthin. Nahezu alle anderen säkularen Verbände und auch die Partei der Humanisten halten dem HVD vor, er wolle doch im Prinzip nur die gleichen Privilegien wie die Kirche – und nicht etwa deren Abschaffung. Solange der HVD darauf keine klare Antwort findet, wird bei den meisten organisierten Konfessionsfreien der Eindruck bleiben, diese Broschüre sei überzeugender als der HVD selbst.
Gerhard Rampp
Glaube als Bedürfnis
Ist der Glaube ein Bedürfnis, welches im Menschen angelegt ist? Oder ist der Glaube lediglich ein Konstrukt der Zeit? Gibt es dieses „unglaubliche Bedürfnis zu glauben“ tatsächlich? Oder ist die Religion eine Illusion, der Ausdruck eines infantilen Weltverständnisses, wie Sigmund Freud einst feststellte? Die französische Philosophin Julia Kristeva geht in ihrem aktuellen Buch diesen und weiteren Fragen nach und versucht sich an einer Neubestimmung des Glaubens aus der Sicht der Psychoanalyse. In sechs Kapiteln in Form von Gesprächen und Essays entwickelt die Autorin eine ganz eigene Perspektive. Dabei ist der Blick der Autorin auf Europa und seine vermeintlich jüdisch-christliche Geschichte ausgerichtet. Kristeva kommt zu dem Ergebnis, dass der homo sapiens ein homo religiosus ist. „Der Glaube ist koexistenziell für die menschliche Existenz“, so die Autorin. Ohne zu glauben, kann der Mensch nicht existieren, denn in dem Bedürfnis zu glauben, drücken sich Grundbedürfnisse des Menschen aus. Je näher man dem Kern des Buches, und damit dem Anliegen der Autorin, kommt, desto stärker überwiegen die Fragen die Antworten. Zum einen ist die von Kristeva gewählte Definition von Glauben kaum mit der (religions-)wissenschaftlichen Definition vereinbar. Darüber hinaus mag man sich fragen, welchen Nutzen diese theoretischen Überlegungen für die aktuelle Diskussion um Fundamentalismus und Selbstbestimmung haben. Auch ist Kristevas positive Sicht des christlich-jüdischen Abendlandes mehr als fraglich. Statt einem Glaubensbedürfnis das Wort zu reden, hätte die Autorin der Bedeutung des Zweifelns mehr Rechnung tragen sollen.
Julia Kristeva: Dieses unglaubliche Bedürfnis zu glauben. Psychosozial Verlag, Gießen 2014. 173 Seiten, kartoniert, 22,90 Euro. ISBN 978-3-8379-2329-2
Kirche und NS
Über die Rolle der Theologie und der beiden Staatskirchen im Nationalsozialismus wurde und wird bis heute gestritten. Das Bild einer widerständigen Kirche wabert noch immer in den Köpfen vieler Menschen, flankiert durch eine religionsfreundliche Ge- schichtsschreibung. Kritische Anmerkungen wurden lange Zeit im besten Fall ignoriert. Zu groß war der Einfluss der Kirchen auf die Geschichtswissenschaft, so dass nur wenige, allen voran Ernst Klee, dieser Weißwaschung Fakten und Tatsachen entgegenstellten. Im Laufe der letzten Jahre ist die Zahl derer, die sich kritisch mit der Komplizenschaft auseinandersetzen, erfreulicherweise gewachsen. Auch seitens derer, die sich den Kirchen zugehörig fühlen. Die 1992 vom Berliner Senat ins Leben gerufene Stiftung Topographie des Terrors, veranstaltete 2013 aus Anlass des Gedenkens an die 80-jährige Wiederkehr der Machtergreifung Hitlers ein umfangreiches Programm, wozu auch Vorträge zu Theologie und Kirchen gehörten. In elf Beiträgen, flankiert durch Geleitworte von Andreas Nachama und Markus Dröge, wurden die Vorträge ausgearbeitet und ermöglichen somit einen tiefergehenden Einblick in das Denken einzelner kirchennaher Persönlichkeiten (Erich Seeberg sei an dieser Stelle stellvertretend genannt) und die Rolle der Institutionen und christlichen Gemeinschaften (so z.B. die Glaubensbewegung Deutsche Christen). Es ist Herausgeber und Verlag zu wünschen, dass der vorliegende Sammelband dazu beiträgt, die bis heute andauernde Verklärung zu überwinden und die Notwendigkeit einer tiefergehenden quellenkritischen Erforschung des Themenkomplexes zu verdeutlichen.
Manfred Gailus (Hrsg.): Täter und Komplizen in Theologie und Kirchen 1933-1945. Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 260 Seiten, kartoniert, 24,90 Euro. ISBN 978-3-8353-1649-2
Dogmenwahn
Unter den Konfessionsfreien kursiert seit vielen Jahren ein beliebtes Sprichwort, welches die Theologie wie folgt erklärt: „Philosophie sei, sagt der Theologe, wenn jemand in einem absolut dunklen Raum mit verbundenen Augen eine schwarze Katze sucht, die gar nicht da ist. Theologie aber ist, erwidert der Philosoph, wenn jemand in einem absolut dunklen Raum und mit verbundenen Augen eine schwarze Katze sucht, die gar nicht da ist, und ruft: ‘Ich hab sie.’“ Wer schon einmal darum bemüht war, in die Materie der Theologie vorzudringen – sei es aus religiöser Überzeugung oder aber aus dem Willen heraus, sich überzeugen lassen zu wollen – wird möglicherweise verstehen, was Heinz-Werner Kubitza dazu bewogen hat, sich in einer so beherzten und radikalen Weise mit der Theologie auseinanderzusetzen. Kubitza dringt tief in die heiligen Hallen der Theologie vor. In zehn Kapiteln entzaubert der promovierte Theologie und Verlagsinhaber die Theologie und führt sie so ad absurdum. Dabei vermeidet er unnötige Polemik, sondern setzt sich argumentativ mit den Inhalten der christlichen Theologie auseinander. Er zeigt, dass die Theologie voller Widersprüche steckt und das ernstliche Bemühen um ein besseres Verstehen des Glaubens darin münden muss, vom Glauben abzufallen. Paradoxerweise trägt die Theologie zu ihrer eigenen Abschaffung bei, indem sie den Glauben von seiner Mystik befreit. Für kritische Geister ist dieses Werk ein Gewinn. Für die, die einstmals Theologie betrieben und der Kirche den Rücken zukehrten, eine Bestätigung ihres konsequenten Handelns.
Heinz-Werner Kubitza: Der Dogmen Wahn. Scheinprobleme der Theologie. Holzwege einer angemaßten Wissenschaft. Tectum Verlag, Marburg 2015. 393 Seiten, gebunden, 19,95 Euro. ISBN 978-3-8288-3500-9
Freidenkerkalender
„Lokomotiven der Geschichte“ nannte Karl Marx Revolutionen. Für die Freidenkerinnen & Freidenker aus Ulm & Neu-Ulm Grund genug, diesen ihren Monatskalender fürs kommende Jahr zu widmen. Auf jedem Blatt wird eine Revolution in Wort und (sehr unterschiedlichen) Bildern vorgestellt: Vom Bauernkrieg bis zur Commune von Paris, von der mexikanischen Revolution bis zu den Studentenunruhen von 1968. Dazu erinnert ein Kalendarium an zahlreiche Revolutionärinnen und Aufklärer.
Freidenker-Kalender 2016. Freidenker/innen Ulm/Neu-Ulm, 2015. 13 Blatt, A 4, vierfarbig, Euro 8,50.
Zu beziehen über: Freidenkerinnen & Freidenker Ulm/Neu-Ulm e.V., Postfach 1667, 89006 Ulm oder www.denkladen.de.