Blätterwald | Veröffentlicht in MIZ 1/16 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Blätterwald … Missverständnis / Dschihadismus / Waldorfpädagogik / Liberaler Islam?

Missverständnis

Was darf Satire? Um diese von Kurt Tucholsky einst gestellte (rhetorische) Frage, wird seit den Anschlägen auf die Redaktion Charlie Hebdo heftig gestritten. Während einige die besondere Bedeutung der freien Meinungsäußerung – und damit auch der Religionskritik – für das demokratische Gemeinwohl hervorheben, werfen andere den Satiriker_innen vor, sie würden die (Religions)Kritik nutzen, um den Islam zu diffamieren und aus Opfern Tätern machen. Es sei, so das Credo, eben nicht alles erlaubt, vor allem dann nicht, wenn die Mehrheitsgesellschaft (der Westen) Anschläge dazu nutze, um Krieg gegen die Minderheitsgesellschaft (Muslime) zu führen. Zu den Vertretern dieser vermeintlich linken Denkschule gehört der Volkswirt Conrad Schuhler, der ein Buch dazu veröffentlicht hat und auf rund 100 Seiten neben allerlei Verschwörungstheorien und altbackenem Antiimperialismus die Frage stellt, ob nicht die Redaktion von Charlie Hebdo „Munition geliefert [hat] für die, die vor allem den muslimischen Einwanderern einen möglichst finalen Schlag versetzen und die existierenden Machtverhältnisse stützen wollen?“ (S. 28 f.) Zwar sind die von Schuhler angestellten Überlegungen zur Verstrickung westlicher Staaten und Regime in Bezug auf Ausbeutung und Kriege durchaus interessant und wichtig, dennoch scheitert der Autor mit seinem Buch auf ganzer Linie. Auch die drei Seiten Literaturverzeichnis können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Autor in den sieben Kapiteln nicht in der Lage ist, das Thema auch nur annähernd differenziert zu betrachten.

Conrad Schuhler: Alles Charlie oder was? Reli­gionskritik – Meinungsfreiheit oder Schmähung? PapyRossa Verlag, Köln 2015. 111 Seiten, kartoniert, 11,90 Euro. ISBN 978-3-89438-593-4

Dschihadismus

Peter R. Neumann ist derzeit einer der gefragtesten Terrorismus-Experten weltweit und gilt, nicht zuletzt wegen der Anschläge in Paris und Brüssel, als das neue Orakel der europäischen Politik. Warum das so ist, erklärt er selbst in seinem aktuellen Bestseller: „Meine These ist, dass die Anschläge in Paris und Kopenhagen Anfang 2015 keine Einzelfälle waren, sondern erste, sehr dramatische Hinweise darauf, was sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf den Straßen Europas abspielen wird.“ (S. 11) Vor allen Dingen im zweiten Teil des Buches zeigt sich die Kompetenz des am King’s College London lehrenden Professors für Sicherheitsstudien. Dort präsentiert Neumann eine tragfähige Analyse des so genannten Islamischen Staates und gibt wertvolle Informationen über die Szene, aus der sich die Kämpfer des IS rekrutieren. Allerdings wäre es besser gewesen, er hätte sich allein auf diesen Aspekt konzentriert. Neumann offenbart Defizite in Bezug auf die historischen Wurzeln des Terrorismus. So unterstellt er, dass der IS, im Gegensatz früheren Terrorstufen, ein eigenes Staatsgebiet samt Bürokratie erfolgreich installieren konnte. Hier sei die Frage erlaubt, wie sich diese Form des Terrorismus von der des italienischen oder auch deutschen Faschismus unterscheidet? Zudem bleibt auch Neumann in dem Denken verhaftet, dass der Westen Opfer des IS ist. Ein kritischer Blick auf die westliche Politik fehlt gänzlich. Auch die Darstellungen früherer Formen (er nennt sie Wellen) des Terrorismus (Anarchismus, Antikolonialismus, Neue Linke sowie die religiöse Welle) sind eher dürftig und hätten einer stärkeren Differenzierung bedurft.

Peter R. Neumann: Die neuen Dschihadisten. IS, Europa und die nächste Welle des Terrorismus. Econ Verlag, Berlin 2015. 256 Seiten, kartoniert, 16,99 Euro, ISBN 978-3-430-20203-9.

Waldorfpädagogik

Die Waldorfschulen gehören zu den beliebtesten Privatschulen in Deutsch­land. Vor allem Eltern aus dem bildungsbürgerlich-alternativen Spek­trum schicken ihre Kinder gerne auf die Rudolf Steiner Schulen, da diese eine alternative Form des Lernens anböten, die von den staatlichen Schulen nicht zu leisten sei. Leider fehlt es vielen Eltern an Interesse und Kenntnissen in Bezug auf die von Rudolf Steiner begründete Anthroposophie. Mit dieser „verschwommenen Lehre“, so brachte es der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger einmal auf den Punkt, habe er „nichts am Hut“. Doch lässt sich die Waldorfschule von der Anthroposophie trennen? Der in Mainz an der Johannes-Gutenberg-Universität lehrende Heiner Ullrich gehört zu den bekanntesten Kritikern dieser geschlossenen Pädagogik. Er setzt sich seit Jahren sowohl mit der okkulten Weltanschauung der Anthroposophie als auch mit dem anthroposophischen Schulmodell auseinander. In seinem aktuellen Buch nähert sich Ullrich diesem Spannungsverhältnis und fasst aktuelle Forschungsergebnisse in sechs Kapiteln zusammen. Dabei kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass die Waldorfschule zwar ein Erfolgsmodell sei, jedoch aufgrund der ihr zugrunde liegenden anthroposophischen Geisteswissenschaft mit all ihren Facetten „bis heute in der Scientific Community nicht akzeptiert“ sei. Ullrichs Einführung ist überaus interessant, leicht verständlich und hilft zu verstehen, was unter der Waldorfpädagogik zu verstehen ist.

Heiner Ullrich: Waldorfpädagogik. Eine kritische Einführung. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2015. 182 Seiten, broschierte Ausgabe, 24,95 Euro. ISBN: 978-3-407-25721-5

Liberaler Islam?

Aus der letzten Ausgabe der Philoso­phie-Zeitschrift Aufklärung und Kritik ist ein Aufsatz als Sonderdruck erschienen. Darin enfaltet Ufuk Özbe eine „Kritik der liberalen Auslegungen des Islam“. Das Fazit des Autors findet sich gleich in ersten Satz: „Die liberalen Interpretationen des Islam sind angesichts des Korantextes intellektuell nicht haltbar.“ Diese These versucht Özbe auf rund 50 Seiten zu belegen, indem er sich mit den problematischen Koranstellen sowie deren Auslegung durch liberale Muslime auseinandersetzt. Dabei zeigt er, dass die Anwendung von Verhaltensvorschriften in Abrede gestellt wird, die Bedeutung problematischer Wörter verfälscht wird und die medinensischen Suren hinter den mekkanischen Suren „versteckt“ werden.

Das Heft ist erhältlich bei der "Gesellschaft für Kritische Philosophie".