Keine Revolution
Er gilt als Popstar unter den Religioten, ein Heiliger ohne Heiligsprechung, ein Revolutionär unter den progressiven Christ_innen. Die Rede ist vom argentinischen Papst Jorge Mario Bergoglio, genannt Papst Franziskus. Bis heute möchten diejenigen, die an einer Reform oder gar Revolution in der katholischen Kirche festhalten, an die Unterstützung Bergoglios glauben. Doch ist Bergoglio tatsächlich der Revolutionär, für den ihn viele halten? Wohl kaum, wenn man dem Vatikankenner und Soziologen Marco Marzano glauben möchte. Ein Revolutionär war Bergoglio in inhaltlichen Fragen der Glaubenslehre nie – dafür gibt es mittlerweile genügend Beispiele. Revolutionär ist für den italienischen Autor wohl aber der Stil, mit dem Bergoglio seine Kirche führt. Das drei Abschnitte umfassende Buch ist ein überaus interessantes und fundiertes Werk, welches diejenigen, die an der Kirche bis heute leiden, wenig Freude bereiten dürfte. Denn es räumt mit dem Mythos der Revolution auf. Stattdessen erklärt und klärt Marzano darüber auf, wie dieser katholische Papst sich auf der Bühne der Inszenierung hat einbinden lassen und die Medien für sich zu nutzen weiß. Die Faust Gottes, die jedem die sprichwörtliche Fresse poliert, der gotteslästerlich daher kommt, ist ein Glücksfall für die Kurie, aber eine Enttäuschung für die um Veränderung bemühte Gläubige.
Marzano, Marco: Die unbewegliche Kirche. Franziskus und die verhinderte Revolution. Herder Verlag, Freiburg 2019. 239 Seiten, gebunden, Euro 22.-, ISBN 978-3-451-38751-7
tapis
Im Juli vergangenen Jahres erschien erstmals eine neue politische Fachzeitschrift. Obwohl sie ein sehr begrenztes Themenfeld in den Fokus nimmt, füllt sie eine Lücke im Diskurs. Denn tapis analysiert Aktivitäten und Ideologie der „islamistischen Rechten“. Warum dieser Begriff verwendet wird, erklärt die Redaktion im den Artikeln vorangestellten Grundlagentext „Warum der Kampf gegen den Islamismus ein Kampf gegen Rechts ist“. Während die Kritik der christlichen Rechten für viele selbstverständlich sei, scheuten sich Medien, Parteien oder Vertreter_innen zivilgesellschaftlicher Vereinigungen, beispielsweise die Muslimbruderschaft als rechte Organisation mit islamischem Antlitz einzustufen. Als Grund macht die Redaktion die realen antimuslimischen Ressentiments aus, wie sie etwa in AfD oder Pegida gepflegt werden. Offenbar falle es vielen schwer zu artikulieren, dass die muslimische Rechte einerseits Opfer der Hetze der rassistischen Rechten und zugleich selbst Gegner eines fortschrittlichen Weltbildes ist.
Die Beiträge befassen sich sowohl mit deutschen als auch internationalen Themen. Ausführlich wird einer der zentralen Akteure der islamischen Rechten in Deutschland untersucht: die Muslimbruderschaft. Dabei wird deutlich, dass es ein Netzwerk von Organisationen gibt, an dessen Rändern Vereine stehen, die bestreiten, mit den Muslimbrüdern zu tun zu haben. Ziel solcher Distanzierung sei jedoch in erster Linie, die Anerkennung staatlicher Stellen und vor allem öffentliche Förderung zu erreichen. Unter der Überschrift „Die Saubermänner an der Saar“ werden Positionen und Aktivitäten der Muslimischen Gemeinde Saarland zusammengefasst. Ein interessanter Aspekt des Beitrags ist die Rolle des Verfassungsschutzes für die öffentliche Wahrnehmung solcher Gruppierungen. Um die gegenseitigen Einflüsse von Vordenkern der Konservativen Revolution und dem modernen Islamismus geht es in einem Aufsatz, in dessen Mittelpunkt der deutsche Philosoph Martin Heidegger und der iranische Universitätsprofessor Ahmad Fardid stehen. Daneben enthält das Heft kürzere Texte, Kurzmeldungen und Rezensionen.
Die Redaktion vereint sorgfältige Recherche mit dem Mut zu klaren Aussagen (was angesichts der zunehmenden Bemühungen dieses Spektrums, kritische Stellungnahmen auch mit juristischen Mitteln zu unterbinden, nicht hoch genug bewertet werden kann).
tapis. Analysen zur islamistischen Rechten. Juli 2020, 24 Seiten, Euro 4.-, Bezug über: magazin-tapis@posteo.de
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Charlie Hebdo
Die Terroranschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo von 2015 haben tiefe Spuren hinterlassen, und das sowohl auf der persönlichen wie auf der gesellschaftlichen Ebene. Während auf gesellschaftlicher Ebene über die Gründe und Konsequenzen noch immer diskutiert wird, sind die Überlebenden mit der Bewältigung des Anschlags beschäftigt. Philippe Lançon, Journalist und Literaturkritiker bei Charlie Hebdo, schrieb 2018 den hochgelobten Roman Der Fetzen, in dem er die Erlebnisse zu verarbeiten sucht. Auch der Zeichner Luz (mit bürgerlichem Namen: Rénald Luzier) verarbeitete 2015 in seinem Buch Katharsis die Ereignisse – für sich selbst. Er, der aufgrund eines Zufalls nicht zu den Anschlagsopfern gehörte, verlor seine Freund*innen und die Fähigkeit zu zeichnen. Luz hat nun ein weiteres Buch mit dem Titel Wir waren Charlie vorgelegt. Darin erzählt er nicht irgendeine Geschichte rund um den Anschlag, sondern er erzählt seine Geschichte bei Charlie Hebdo. Er habe dieses Buch, so sagte er es vor kurzem in einem Interview, für die geschrieben, die sich mit Charlie Hebdo solidarisierten. Sie wollte er teilhaben lassen an den 23 Jahren, die er bei dem Satiremagazin gearbeitet hat. Luz ermöglicht damit nicht nur Einblicke in den Alltag der Redaktion, die vor nichts und niemandem Respekt hatte und offenbar viel Freude und Kreativität miteinander teilte, er lässt zugleich französische Zeitgeschichte Revue passieren. So werden Einblicke in gesellschaftliche Konflikte ermöglicht, die von unschätzbarem Wert sind. Und doch bietet dieses Buch nicht nur ein verklärendes Bild vergangener Tage. Immer wieder werden die schönen Erinnerungen von Albträumen des Zeichners unterbrochen, die nie ganz vergehen werden. Soviel ist sicher. Wir waren Charlie ist ein Meisterwerk eines Zeichners, der einst Charlie war und immer Charlie bleiben wird.
Luz: Wir waren Charlie. Reprodukt Verlag, Berlin 2019. 320 Seiten, kartoniert, Euro 29.-, ISBN 978-3-95640-193-0