Weltanschauungsfreiheit
Im Oktober hat der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit Frank Schwabe eine Broschüre mit dem Titel Weltanschauungsfreiheit weltweit stärken! herausgegeben. Darin wird zunächst dargestellt, dass auch die Weltanschauungsfreiheit ein Menschenrecht ist: „Die Weltanschauungsfreiheit als Menschenrecht bezeichnet das Recht eines jeden Menschen, seine eigenen Überzeugungen in Bezug auf Religion, Atheismus oder Weltanschauung frei zu wählen, zu entwickeln und ggf. auch zu wechseln. Es schließt auch die lebenspraktischen Konsequenzen grundlegender Überzeugungen mit ein.“ Im zweiten Kapitel wird, u.a. auf der Grundlage des Freedom of Thought Report von Humanists International, ein (allerdings eher oberflächlicher) Überblick gegeben, wo die Weltanschauungsfreiheit in welchem Umfang verletzt wird. Dafür werden einige Karten abgebildet und vier exemplarische Beispiele von Verfolgung vorgestellt (darunter Leo Igwe, der auch schon für die MIZ geschrieben hat).
Im abschließenden Kapitel beschreibt Frank Schwabe seinen „Einsatz zur Stärkung der Weltanschauungsfreiheit“. Zu den politischen Forderungen der Verbände der Konfessionslosen, Atheistinnen und Humanisten schreibt er, „wir sollten sie gut wahrnehmen, differenzieren und gemeinsam diskutieren“. Allerdings schiebt er nach, dass er nicht alle Forderungen teile, manche ihm widersprüchlich erscheinen (was allerdings daran liegen könnte, dass er Forderungen aus Verbänden, die unterschiedliche politische Ansätze vertreten, in seiner Liste vereint). In einer „staatlich forcierte Privatisierung von Religion oder Weltanschauung“ sieht er „das Ende der freiheitlichen Gesellschaft“; allerdings konkretisiert er diese Auffassung nicht an Beispielen wie Frankreich oder den USA (wo die Freiheit derzeit eher dadurch bedroht wird, dass christliche Fundamentalisten ihre religiösen Vorstellungen wieder verstärkt zu einer öffentlichen Angelegenheit machen). In der Frage der Ablösung der Staatsleistungen vertritt der Bundesbeauftragte die Auffassung der Kirchen, dass ihnen eine umfangreiche Entschädigung zustehe – und gibt diese als Teil des Verfassungsauftrags aus (tatsächlich ist in Art 138, Abs. 1 WRV von einer Entschädigung nicht die Rede, es heißt dort schlicht, die „...Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst“).
Schwabes grundsätzliche Position lässt sich ganz gut aus diesem Zitat ablesen: „Mir scheint die strikte formale Trennung von Staat und Kirche nicht allein ein Garant dafür zu sein, dass die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, für die ich kämpfe, gewährleistet wird. Es hängt vielmehr davon ab, dass Staaten tatsächlich ihrer Pflicht nachkommen, Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. China zeigt, dass die formale Trennung von Staat und Religion ohne Achtung der Menschenrechte eben weder die Weltanschauungs- noch die Religionsfreiheit garantiert. Umgekehrt ist in England oder in manchen skandinavischen Ländern trotz engerer Verbindungen von Staat und Kirchen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit gewährleistet. Die freiheitliche Verfasstheit, welche es Menschen ermöglicht, im Einklang mit ihrer Religion und/oder Weltanschauung zu leben und die Gesellschaft zu gestalten, ist das entscheidende Kriterium sowohl für Trennungs- als auch für Kooperationsmodelle von Staat und Religion.“
Weltanschauungsfreiheit weltweit stärken! Hrsg. vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Oktober 2014, 14 Seiten (Download)
bruno.
Zum mittlerweile 6. Mal ist bruno. erschienen. Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) ist eine Art Tätigkeitsbericht im Zeitschriftenformat, das einen Rückblick auf das Jahr 2023 ebenso enthält wie Perspektiven eröffnende Artikel.
Unter dem Titel „Die Menschheit im Anthropozän“ wird in einem Leitartikel von Michael Schmidt-Salomon die Rolle, die der Mensch in der Welt einnimmt, erörtert. Denn aufgrund seiner Fähigkeit, die Welt nicht nur grundlegend zu verändern, sondern ihre völlige Zerstörung herbeizuführen, ist der Mensch ein außergewöhnliches erdgeschichtliches „Ereignis“. Daneben wird an den Streitschriftsteller und gbs-Beirat Karlheinz Deschner erinnert und die Arbeit des Instituts für Weltanschauungsrechts (ifw) vorgestellt. Ulla Wessels und Svenja Flaßpöhler nehmen im Interview Stellung zu der Frage, ob Philosophie die Welt verändern kann. Möglicherweise wäre eine Voraussetzung, dass akademische Philosophie, wenn sie sich denn äußert, auch Gehör findet, wie Ulla Wessels fordert. In einem weiteren Interview kommt das „Düsseldorfer Power-Duo“ Ricarda Hinz und Jacques Tilly zu Wort. Sie sprechen über die Kunst der Kommunikation und blicken darauf zurück, welche Wirkung ihre Filme und Figuren hatten. Außerdem gibt das Heft einen Überblick über die großen und kleinen Aktivitäten der Regionalgruppen der gbs.
bruno. Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung. 2024: Die Menschheit im Anthropozän. 78 Seiten. (Das Heft kann auf der Webseite der gbs kostenlos heruntergeladen oder in der Druckausgabe angefordert werden.)
Blasphemie-Science-Fiction
Wer den Kunstpreis Der Freche Mario im Auge hat, erinnert sich vielleicht daran, dass 2016 einer der Preisträger Achim Stößer hieß. Bekannt ist Stößer aber weniger durch seine künstlerischen als durch seine literarische Werke. Seit rund dreißig Jahren veröffentlicht er Science-Fiction-Erzählungen; nun ist unter dem Titel Die dunkle Seite der Erde ein Sammelband mit 26 Kurzgeschichten und einer Ballade erschienen.
Das einende Band der Texte ist der kritische Bezug auf Religion – die „gefährlichste Psychose“, wie eine der Figuren meint. Durch das fremde Ambiente, die fernen Welten und nichtmenschlichen Protagonist:innen wird die Fragwürdigkeit, teilweise auch der Irrsinn von Religion deutlicher. Etwa wenn ein außerirdischer Ich-Erzähler in eine Buchhandlung kommt und in vier Bücher hineinliest, um sie dann erschrocken zurück ins Regal zu stellen und zu beschließen, auf diesen Planeten „nicht so bald zurück[zu]kehren“. Dass die Zitate aus Bibel, Koran, Neuem Testament und Mein Kampf stammen, wird erst am Ende verraten.
In anderen Geschichten wird den Opfern von Außerirdischen mit haarfeinen Fühlern religiöses Gedankengut ins Gehirn injiziert, was dazu führt, dass die Bedauernswerten ihrer Umgebung fortan mit missionarischem Eifer begegnen. In den Geschichten finden sich bizarre, blutige Rituale, aber auch gesellschaftliche Regeln (wie etwa, dass Frauen einen Maulkorb tragen müssen), die auf den zweiten Blick gar nicht mehr so unbekannt, sondern vielleicht nur ein kleines bisschen literarisch „verschärft“ erscheinen.
Wer Religionskritik und Kurzgeschichten mit Aha-Effekt mag, wird sich von Achim Stößers Erzählungen gut unterhalten fühlen.
Achim Stößer: Die dunkle Seite der Erde. Blasphemische Science-Fiction-Geschichten. Winnert 2024, p.machinery; 272 Seiten, kartoniert, Euro 18,90
Gerhard Vollmer
Gleich zwei jüngst herausgekommene Publikationen würdigen den Physiker und Philosophen Gerhard Vollmer.
In der Schriftenreihe der Giordano- Bruno-Stiftung (gbs) ist eine Dokumentation des Festaktes, den die gbs anlässlich des 80. Geburtstages Vollmers ausgerichtet hatte, erschienen. Darin sind die an dem Abend gehaltenen Reden ebenso enthalten wie ein Gespräch der Laudatoren Franz Josef Wetz, Rüdiger Vaas und Volker Sommer. Da die drei den Jubilar alle ganz gut kennen, wurde auch einiges aus dem Nähkästchen geplaudert, so dass die Broschüre nicht nur mit vielen Informationen zu Gerhard Vollmers Denken aufwarten kann, sondern auch mit einigen ausgesprochen witzigen Passagen.
Ebenfalls aus Anlass von Vollmers rundem Geburtstag hatten Hans-Albert-Institut und die gbs in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Humanistischer Studierender den Essay-Wettbewerb „Wir irren uns empor“ ausgeschrieben. Der Titel nimmt Bezug darauf, dass Wissenschaft nach modernem Verständnis einen Prozess darstellt, der durch Versuch und Irrtum voranschreitet – und darin der biologischen Evolution nicht unähnlich ist. Die Verbindung zu Vollmer liegt in dessen Überlegungen zu einer evolutionären Erkenntnistheorie. In diesem Rahmen sollten sich die für den Wettbewerb eingereichten Beiträge mit den Aspekten „Im Lichte der Evolution“ und „Fehlbarkeit als Chance“ befassen. Letztlich versammelt der Band die besten zehn Essays der jungen Autorinnen und Autoren, die sich mit einer der beiden Fragestellungen auf sehr unterschiedliche Weise auseinandersetzen.
Festakt zum 80. Geburtstag von Gerhard Vollmer. Im Lichte der Evolution. Redebeiträge von Michael Schmidt-Salomon, Rüdiger Vaas, Volker Sommer und Franz Josef Wetz. denkladen, 2024. 80 Seiten, geheftet, Euro 7.- (zu beziehen über denkladen.de)
Hans-Albert-Institut / Giordano-Bruno-Stiftung (Hrsg.): Wir irren uns empor. Eine Essay-Sammlung. Aschaffenburg 2024, Alibri; 113 Seiten, kartoniert, Euro 10.-, ISBN 978-3-86569-422-5