Nein, der Rest der Welt ist geschlossen nicht gerührt. Spätestens, seit das Ausmaß der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Nordkorea offengelegt wurde. Eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen hat in ihrem Ergebnisbericht4 die Vorgänge als politischen Völkermord bezeichnet, der Vorsitzende der Kommission, Hon. Michael Kirby, verglich die Zustände in nordkoreanischen Lagern für politische Gefangene mit den Konzentrationslagern des Dritten Reichs. Die Führer-Dynastie wird verehrt – nicht wie sondern als Götter und während Nordkorea immer wieder als kommunistisches Land betitelt wird, verfügt es über ein Kastensystem mit drei Haupt- und 51 Unterklassen („Songbun“, die Zugehörigkeit wird vererbt und entscheidet über den Zugang zu Nahrung, Bildung etc.) und die Außendarstellung mutet eher faschistoid an.
Wie ist so etwas heute noch möglich? Erklärungsversuche gibt es zuhauf, meist über die Geschichte der koreanischen Halbinsel, die koreanische Kultur oder äußere Einflüsse. Seltener aber wurde die Juche-Ideologie, die der erste Diktator Nordkoreas, Kim Il Sung, entwickelte, als Schlüssel zum Verständnis dieses, erstaunlicherweise recht stabilen, Terrorregimes herangezogen. Juche ist in Nordkorea politischer und religiöser Maßstab für schlicht alles und die Basis für den sogenannten „Kim-ismus“, mit dem die Verehrung des Volkes für die Führer Nordkoreas gemeint ist. Der Personenkult um die Kim-Dynastie hat derart absurde Ausmaße angenommen, dass Berichte darüber auf Außenstehende oft schlicht unglaubwürdig wirken.
Lebende Götter und ein totes Staatoberhaupt
Jeder Haushalt muss im besten Raum die Bilder der beiden verstorbenen Führer aufhängen. Dies – und die perfekte Sauberkeit der Porträts – kann jederzeit unangemeldet vom „Bowibu“, dem nordkoreanischen Geheimdienst, oder den „Inminban-Vorstehern“5, überprüft werden. Diese Porträts haben in jedem privaten und öffentlichen Raum (Raum im weitesten Sinne) an zentraler Stelle zu hängen, so z.B. auch in den Kabinen von Fischerbooten. Mehrere nordkoreanische Fischer wurden post mortem zu Volkshelden erklärt, da sie bei Schiffsunglücken bei dem Versuch, die Porträts zu retten, ertranken. Zusätzlich zu diesen Bildern sind die Führer auch in jeder anderen Form omnipräsent: Tausende Statuen sind über das ganze Land verstreut, Gedenktafeln stehen überall, wo einer der Führer bei einer „Vor Ort Anweisung“ einen Ratschlag gab, nahezu jeder Artikel der staatlichen (und einzigen) Zeitungen berichtet von ihren aufopfernden Taten. Zusätzlich muss jeder Nordkoreaner immer einen Button an seiner Kleidung „über dem Herzen“ tragen, der die Gesichter Kim Il Sungs und Kim Jong Ils zeigt.
Die Indoktrinierung beginnt im Kindergarten, Flüchtlinge berichten, dass die ersten Worte von Kindern in Nordkorea meist „Mama“, „Papa“ und „Danke, geliebter Führer“ sind. In der Schule gibt es, sozusagen, „Kim-Kunde“ als Hauptfach und beispielsweise der Geschichtsunterricht vermittelt ein völlig verzerrtes Bild der Weltgeschichte, mit den Heldentaten des Staatsgründers Kim Il Sung im Mittelpunkt. Der ist übrigens 1994 gestorben, aber immer noch der offiziell amtierende Präsident der DVRK. Viele geflohene Nordkoreaner haben berichtet, dass sie es einfach nicht fassen konnten, dass ihr „geliebter Führer“ überhaupt sterblich war.
Land des Flüsterns
„Traue nicht Deinem eigenen Rücken!“, so lautet ein weit verbreitetes Sprich- wort in Nordkorea. Der zweite Kon- trollmechanismus, neben der Indoktri- nierung, ist die völlige Aufhebung des Privaten – auch in Gedanken. Für Nordkoreaner ist es Pflicht, wöchentlich an sogenannten „Selbstkritiksitzungen“, ursprünglich eine Erfindung von Mao, teilzunehmen. Dabei hat man alle eigenen Vergehen, auch gedankliche, vor den anderen zu gestehen. Auch die Vergehen, bei denen man Nachbarn und Kollegen beobachtet hat, müssen hier angezeigt werden. Ziel dieser Sitzungen ist es, das Vertrauen untereinander zu zerstören, um eventuellen Gegenbewegungen vorzubeugen, eine Maßnahme, die in erschreckendem Ausmaß wirksam ist. Zusammen mit der angewendeten Sippenhaft über drei Generationen bei ideologischen Verbrechen steht man schnell vor schweren Entscheidungen: Ein Familienmitglied denunzieren – oder riskieren, dass die gesamte Familie be- straft wird? Damit man auf keinen Fall ungeschoren durch diese Sitzungen kommen kann, gilt es als „höchst ver- dächtig“, wenn man bei den Selbstkritiksitzungen keine Vergehen zu mel- den hat. Es gilt also Vergehen zu nennen, die möglichst harmlose Konsequenzen nach sich ziehen. Dass daher die meisten Beschuldigten und Selbstbeschuldigungen ausgedacht sind, tut dem Mechanismus keinen Abbruch. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um „Verbrechen“ im Sinne krimineller Handlungen – anzuzeigen sind Zweifel an der Juche-Ideologie oder z.B. gedankliche „Untreue“ gegen die geliebten Führer.
Die Atmosphäre des generellen Misstrauens, die durch diese Praxis erzeugt wird, ist in ihrem Ausmaß für uns wohl nur schwer vorstellbar. Die immer wieder angesprochene 100%ige Abschottung nach außen ist für das Regime überlebenswichtig, nirgends ist man so bedroht durch Informationen von außen. Insbesondere Kunst, Literatur und Filme werden als Bedrohung angesehen, da sie der aufwendigen Indoktrinierung entgegenwirken würden. Nordkoreaner haben in der Regel keine (realistische) Vorstellung von der Welt außerhalb der eigenen Staatsgrenzen – ein Umstand, den sich einige NGOs zu nutzen machen und genau diese Dinge ins Land schleusen.
Mit Ideologie gegen Ideologie?
Religionsfreiheit gibt es in Nordkorea nicht. Allein der Besitz einer Bibel kann drei Generationen einer nordkoreanischen Familie lebenslang in eines der Lager für politische Gefangene bringen (auch Kinder) oder die sofortige Exekution bedeuten. (Lassen Sie sich nicht von gelegentlichen Berichten über Kirchenbesuche in Pjöngjang täuschen, das Regime unterhält einige religiöse „Vorzeigebetriebe“ für Staatsgäste und Touristen, um seine religiöse Toleranz nach außen zu demonstrieren.) Dafür gibt es zwei Hauptgründe: Zum einen darf natürlich, typisch für monotheistische Religionen, kein Gott in Konkurrenz zu dem einen „wahren“ Gott treten. Der zweite, und interessantere, Grund ist, dass Kim Il Sung, als er die Juche-Ideologie entwickelte, sich mindestens von Aspekten des Christentums inspirieren ließ, welches ihm, als Sohn christlicher Missionare, wohl bestens vertraut war.
Ende der 1990er Jahre flohen viele tausend Nordkoreaner vor dem Hun- gertod nach China, was zu einer weiteren humanitären Katastrophe führte. Nordkoreaner werden von der chine- sischen Regierung nicht als Flüchtlin- ge anerkannt, sondern als Wohlstandsmigranten eingestuft. Daher werden die Flüchtlinge zwangsweise zurückgeschickt, was für diese häufig Lager oder Exekution bedeutet. Wer sich in China versteckt hält, ist dringend auf Hilfe angewiesen, und solche humanitäre Hilfe wird mit großem Einsatz (fast ausschließlich) von christlichen Gemeinden und NGOs geleistet. Dass hierbei auch missionarisch gearbeitet wird, liegt in der Natur der Sache und sollte auch für säkular eingestellte Menschen nicht bedenklich sein, wird durch diese engagierten Menschen doch erheblich zur Minderung des Leids (keine medizinische Versorgung, Zwangsprostitution und Menschenhandel) nordkoreanischer Flüchtlinge beigetragen. Allerdings gibt es auch religiöse Gruppen, für die die Missionierung erheblich wichtiger ist als Wohl und Leben der Flüchtlinge. Sie bilden u.a. Flüchtlinge zu Missionaren aus und schicken sie zurück nach Nordkorea, um dort ihre Ideologie zu verbreiten. Werden diese Missionare in Nordkorea erwischt, bedeutet dies den fast sicheren Tod, für sie selbst und für jene Nordkoreaner, mit denen sie Kontakt aufgenommen haben. Das Schockierende daran: Es ist kaum vorstellbar, dass dies jenen christlichen Organisationen und Missionaren dabei nicht bewusst wäre – ob nordkoreanischen Bürgern klar ist, welches Risiko ein Kontakt mit den Missionaren für sie und ihre Familie darstellt, ist dagegen unklar, schließlich ist Religion im Land ein Tabuthema.
Die Realität in Nordkorea zeigt auf erschreckende Weise, was eine absolutistische Ideologie, die sich nicht mit aufklärerischen Gegenbewegungen abmühen muss, anrichten kann – in der Gesellschaft wie in der Psyche einzelner Menschen. Ein nordkoreanischer Flüchtling, Anfang zwanzig, erzählte mir, dass er nach seiner Flucht mit großer Mühe und sehr langsam lernen musste, Fakten, die gegen die Juche-Ideologie sprachen, zu akzeptieren. Was nicht sein darf, ist auch nicht – trotz des Hungers glaubte er, im reichsten Land der Erde zu leben. Völlig gleichgültig, wie offensichtlich der Betrug war, in seiner Wahrnehmung kamen Widersprüche gar nicht erst an. Zum Zeitpunkt dieser Unterhaltung hatte er bereits verstanden, wie viel Unrecht ihm von dem Regime angetan worden war und wie stark er getäuscht wurde. Als Folge, so sagte er, hatte er eine ungeheure Wut gegen das Regime entwickelt. Aber immer, wenn er ein Bild von Kim Il Sung, z.B. im Fernsehen, sah, konnte er nicht anders, als augenblicklich ehrfürchtig stramm zu stehen, wofür er sich selbst verachtete. Zu diesem Zeitpunkt lebte er seit knapp vier Jahren in einem westlichen Land.
Anmerkungen
1 Juche ist die Politische Ideologie Nordkoreas, am ehesten mit „Autarkie“ zu übersetzen.
2 Militär-zuerst-Politik.
3 Anecdotes of Kim Jong Il’s life 1, Foreign Languages Publishing House, Pyongyang, Korea [Anm. d.A.: DVRK], Juche 101 (2012) (Übersetzung aus dem Englischen durch den Verfasser).
4 UN General Assembly, A/HRC/25/CPR.1, Report of the commission of inquiry on human rights in the Democratic People’s Republic of Korea, H. 1155, S. 349.
5 Vergleichbar mit Blockwarten.
Informationen
Zehn Prinzipien zur Verwirklichung des einheitlichen ideologischen Systems der Partei
- Wir müssen unser Bestes im Kampf geben, um die gesamte Gesellschaft mit der revolutionären Ideologie der Großen Führer Kim Il Sung zu vereinheitlichen.
- Wir müssen den großen Führer, Genosse Kim Il Sung, mit aller Treue verehren.
- Wir müssen die Autorität des großen Führers, Genossen Kim Il Sung, absolut machen.
- Wir müssen die Revolutionäre Ideologie des große Führers, Genosse Kim Il Sung, zu unserem Glauben und seine Anweisungen zu unserem Glaubensbekenntnis machen.
- Wir müssen uns strikt an das Prinzip des bedingungslosen Gehorsams bei der Ausführung der Anweisungen des Großen Führers, Genosse Kim Il Sung, halten.
- Wir müssen die Ideologie und Willenskraft und revolutionäre Einheit der ganzen Partei stärken, zentriert auf den großen Führer, Genosse Kim Il Sung.
- Wir müssen vom großen Führer, Genosse Kim Il Sung, lernen und das kommunistische Auftreten, die revolutionären Arbeitsmethoden und den menschenorientierten Arbeitsstil übernehmen.
- Wir müssen das politischen Lebens, dass uns vom großen Führer, Genossen Kim Il Sung, gegeben wurde, ehren und sein großes politisches Vertrauen und seine Bedächtigkeit loyal mit erhöhtem politischen Bewusstsein und Geschick vergelten.
- Wir müssen starke organisatorische Regelungen zu schaffen, so dass die gesamte Partei, die Nation und militärischen Bewegung vereint unter der einzigen Führung des großen Führers, Genosse Kim Il Sung, stehen.
- Wir müssen die großen Errungenschaften der Revolution des großen Führers, Genossen Kim Il Sung, von Generation zu Generation weitergeben und bis zum Ende erfüllen.