Prisma | Veröffentlicht in MIZ 3/19 | Geschrieben von Christoph Horst

Der Weihnachtsmann

Historisch betrachtet ist Weihnachten kein rein christliches Fest, sondern ein Konglomerat vorchristlicher Bräuche und Kulte. Dazu gehören beispielsweise die römischen Saturnalien zu Ehren Saturns, zu denen auch das gegenseitige Beschenken zelebriert wurde. Nach erfolgreicher Eroberung der Winterwendefeier tat die Kirche allerdings jahrhundertelang und bis heute so, als würden ihr diese Tage gehören. Seit einigen Jahren bekämpfen fundamentalistische Katholiken in Deutschland den Weihnachtsmann als Symbol allzu starker Verweltlichung des Familienfestes, über das sie die Hoheit zunehmend verlieren.

Das Bonifatiuswerk – Hilfswerk der deutschen Katholiken aus dem nach und nach immer weniger katholisch geprägten Paderborn verteilte bei der Aktion „Weihnachtsmannfreie Zone“ in den letzten Jahren Aufkleber mit durchgestrichenem Weihnachtsmann als Witzfigur. Dieses Logo wurde Kindern an katholischen Bekenntnisschulen und Kindergärten in katholischer Trägerschaft aufgedrängt. Missionierung wie die Weihnachtsmann-Kampagne erfolgen dort bekanntlich auf Staatskosten. Im Unterricht oder den Stuhlkreisen der ganz Kleinen wird dann erzählt, dass der Weihnachtsmann nicht real ist, wohl aber die Geschichten vom Nikolaus wie beispielsweise die Kornentnahme von einem Schiff, bei der nach der Entnahme die Kornmenge gleich geblieben war (Kornwunder), das Fasten des Nikolaus als Säugling, der mittwochs und freitags nur einmal täglich die Brust annahm (Säuglingswunder) oder auch im Muster christlichen Antijudaismus die Bekehrung eines Juden, die Nikolaus erreicht habe, indem er Dieben, die den Juden bestohlen hatten, im Traum erschien und ihnen Vorhaltungen machte. Sogar das Paderborner Wissenschaftsmuseum HNF-Heinz-Nixdorf-Forum, als Computermuseum dem Fachbereich Informatik der Universität Paderborn nahe, wurde schonmal zur Weihnachtsmannfreien Zone erklärt. Neben exaktem Wissen der Informationstechnik konnten Besucher dort dann lernen, dass „der Weihnachtsmann ein No-Name [ist], der Bäuche und Kassen zu füllen hat“, wie ein Fürsprecher der Aktion formulierte, dem offenbar fundamentalistische Glaubensstrenge wichtiger ist als gefüllte Bäuche.

Dass es den Weihnachtsmann nicht gibt, wissen seine Erzähler. Dass das Schenken auf das Christkind als jungfräulich gezeugtes, übersinnliches Wesen zurückgeht, wird in vielen Familien sehr ernst genommen. Dem Weihnachtsmann wird nicht nur vom Bonifatiuswerk immer wieder vorgehalten, von Coca-Cola erfunden worden zu sein. Wenn dem so wäre, warum sollte man sich dann eher an dem Ideologieproduzenten katholische Kirche orientieren als an einem Brauseproduzenten? Dieser Herkunftsmythos ist aber ohnehin schlicht falsch, wie sich ganz leicht überprüfen lässt: das Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ von Hoffmann von Fallersleben wurde 1835 geschrieben, die Coca-Cola-Company erst 57 Jahre später gegründet.

Der Begründer des ethnologischen Strukturalismus, Claude Levi-Strauss (1908-2009) schrieb 1952 seinen Essay Der gemarterte Weihnachtsmann1 als Reaktion auf die Verbrennung einer Weihnachtsmannpuppe durch eine aufgescheuchte katholische Jugend 1951 in Dijon. Er hat sich dem Weihnachtsmann aus ethnologischer Perspektive genähert und zeigt, warum diese Figur von den Menschen geliebt und von der Kirche bekämpft wird: Es geht hier um Initiationsriten zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. wie Levi-Strauss ausführt, auf einer tieferen Ebene zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten: „Indem wir unsere Kinder in dem Glauben lassen, dass ihr Spielzeug aus dem Jenseits kommt, verschaffen wir uns ein Alibi für unsere geheime Regung, die uns in Wirklichkeit verleitet, dieses Spielzeug dem Jenseits zu schenken unter dem Vorwand, es den Kindern zu geben.“

Den Weihnachtsmann als Vermittler ohne religiöse Autorität kann die Kirche mit ihrem Monopolanspruch auf Leben und Tod nicht hinnehmen. Beispiele für Figuren mit Weihnachtsmann-Mentalität und seiner Funktion gibt es auch in fast allen vor- und außerchristlichen Religionen und Kulturen. Levi-Straus vergleicht besonders mit dem Katchina-Ritual der Pueblo-Indianer, bei dem verkleidete Erwachsene ihre Kinder belohnen oder bestrafen.

Der Weihnachtsmann wird durch die Gegnerschaft des Katholizismus noch nicht zu einer progressiven Figur, aber zumindest für Kinder trotz kommerzieller Ausbeutung zum Repräsentanten der Wünsche, die Levi-Strauss formuliert hat: „Schlummert tief in uns nicht noch immer der Wunsch, ein klein wenig an die Großzügigkeit ohne Kontrolle zu glauben, an eine Liebenswürdigkeit ohne Hintergedanken, an eine kurze Zeitspanne, in der alle Furcht, aller Neid und alle Bitterkeit aufgehoben sind?“ Einen solch tragenden Gedanken zu bekämpfen – damit hat sich die katholische Kirche übernommen. Das zeigt auch die geringe außerkirchliche Resonanz auf ihre Kampagne.

Anmerkungen

Lévi-Strauss, Claude: Wir sind alle Kannibalen. Berlin 2014, S. 11 ff.