MIZ: Sie waren seit 2012 Chefarzt am evangelischen Klinikum Lippstadt. Dort waren Schwangerschaftsabbrüche möglich. In welchen Fällen konnten Sie und Ihr Team überhaupt für Patientinnen tätig werden?
Joachim Volz: Als Zentrum für Pränataldiagnostik mit angeschlossenem Perinatalzentrum betreuen wir überregional Patientinnen mit komplizierten Schwangerschaftsverläufen. Wenn dabei eine Diagnose gestellt wurde, die der Mutter eine Fortsetzung der Schwangerschaft unmöglich erscheinen ließ, konnten wir die Schwangerschaft abbrechen. Es handelte sich also um alle Fälle mit medizinischer Indikation.
MIZ: Was müssen sich unsere Leserinnen und Leser unter einer „medizinischen Indikation“ genau vorstellen? Sind das Situationen, in denen die Gesundheit der Mutter bei Fortdauer der Schwangerschaft in Gefahr ist?
Joachim Volz: Bei uns handelte es sich überwiegend um schwere fetale Fehlbildungen, bei denen das Kind entweder gar nicht oder nur mit gravierenden Einschränkungen lebensfähig gewesen wäre. Daraus ergibt sich für die Mutter eine erhebliche seelische und auch körperliche Gefährdung – das stellt dann die Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch dar.
MIZ: Warum wurden vor der Fusion mit dem katholischen Dreifaltigkeits-Hospital Schwangerschaftsabbrüche im evangelischen Klinikum Lippstadt vorgenommen? Die evangelische Kirche steht Abtreibungen doch ebenfalls kritisch gegenüber...
Joachim Volz: Die evangelische Kirche hat ein differenziertes Bild der Problematik. Natürlich ist auch sie bestrebt, ungeborenes Leben bestmöglich zu schützen – wie fast alle Menschen weltweit. Wir beraten Frauen daher intensiv in ihrer Not und zeigen auch Wege zur Hilfe auf. Aber die letzte Entscheidung überlassen wir immer der Mutter, die das Kind zur Welt bringen und die Verantwortung tragen muss.
MIZ: Nach der Fusion haben Sie Mitte Januar die arbeitsrechtliche Weisung erhalten, dass Sie künftig keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführen dürfen. Kam das für Sie überraschend?
Joachim Volz: Die rigorose Dogmatik dieser Dienstanweisung, die keinerlei Ausnahmen zuließ, war für mich sehr überraschend und verstörend. Einer Frau die Fortsetzung einer Schwangerschaft vorzuschreiben, obwohl das ungünstige Ergebnis bereits feststeht, ist logisch wie moralisch kaum zu begründen.
MIZ: Wie hat das medizinische Personal auf die Weisung reagiert?
Joachim Volz: Die Reaktion fast aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Ärztinnen, Ärzte, Hebammen, Pflegende – war Empörung. Wie konnte unsere bisherige Arbeit plötzlich nicht nur nicht mehr gewürdigt, sondern sogar als moralisch falsch dargestellt werden? Dass wir nun eine Moral vertreten sollten, die wir alle nicht teilen, wollte niemand einfach hinnehmen.
MIZ: Gab es Versuche, mit der Klinikleitung ins Gespräch zu kommen?
Joachim Volz: Ich habe sofort versucht, Kontakt mit dem zuständigen Bischof in Paderborn aufzunehmen. Er war der einzige Ansprechpartner, mit dem ein Gespräch Sinn gemacht hätte. Alle anderen Akteure sahen sich selbst als nicht befugt, über diese Anordnung zu verhandeln. Der Bischof wiederum sah bis heute keine Veranlassung, mit mir zu sprechen – vermutlich, weil auch er keinen Handlungsspielraum hat.
MIZ: Sie haben sich dann entschlossen zu klagen. Ihnen ist bewusst, dass das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht sehr großzügig ausgelegt wird – Sie werden also womöglich erst in Straßburg Erfolg haben. Was hat Sie dennoch motiviert?
Joachim Volz: Zunächst konnte ich nicht glauben, dass durch den Betriebsübergang sämtliche Vereinbarungen meines Dienstvertrags unwirksam sein sollten. Ich hatte ausdrücklich vereinbart, mich an den liberalen evangelischen Werten zu orientieren, nicht an katholischen. Außerdem erschien mir eine so gravierende Einschränkung meiner Therapiefreiheit in unserem Rechtsstaat unvorstellbar. Dass die Kirche in diesem Maße geltendes Recht umgehen kann, hätte ich nicht erwartet.
MIZ: Im April fand bei Gericht der Gütetermin statt. Welche Argumente haben Sie vorgetragen?
Joachim Volz: In erster Linie, dass es für mich bei Übernahme der Chefarzttätigkeit Bedingung war, meine Patientinnen in dieser Weise betreuen zu können – und dass der neue Träger diese Vereinbarung respektieren müsse. Außerdem sehe ich mehrere Grundrechte verletzt, sowohl auf ärztlicher Seite als auch auf Seiten meiner Patientinnen. Ein weiteres Argument war, dass wir in Lippstadt das einzige spezialisierte Zentrum weit und breit sind, das diese Abbrüche überhaupt noch durchführt.
MIZ: Hatten Sie den Eindruck, dass Sie die Gegenseite oder den Richter zum Nachdenken gebracht haben?
Joachim Volz: Die Gegenseite eher nicht – sie stellte den Vorgang als normale unternehmerische Entscheidung dar, vergleichbar mit der Frage, ob man Hüftoperationen anbietet oder nicht. Der Richter hingegen hatte sich intensiv mit dem Fall beschäftigt. Er wirkte unglücklich über die aktuelle Gesetzeslage, die die Vorteile offenbar auf Seiten der Beklagten sieht.
MIZ: In Ihrer Petition (siehe Graukasten auf der folgenden Seite) schreiben Sie „Kirche und Medizin vertragen sich nicht“, weil medizinische Fragen nach ärztlicher Beratung letztlich in den Händen der Patientinnen und Patienten liegen müssen. Das würde bedeuten, dass Kliniken in kirchlicher Trägerschaft „säkularisiert“ werden müssten. Oder sehen Sie, gerade durch Ihre lange Erfahrung im evangelischen Klinikum Lippstadt, auch andere Möglichkeiten?
Joachim Volz: Die Kliniken sind de facto längst weitgehend säkularisiert. Im Alltag der Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Patientinnen spielt Religion kaum noch eine Rolle. Der Schwangerschaftsabbruch ist ein besonderer Eingriff, für den der Staat klare Regeln geschaffen hat – und diese müssen auch in staatlich finanzierten Häusern eingehalten werden. Im Schwangerschaftskonfliktgesetz ist ausdrücklich geregelt, dass keinem Arzt ein legaler Abbruch verboten werden darf. Ebenso müssen die Länder eine flächendeckende Versorgung sicherstellen. Da durch Klinikfusionen immer mehr Häuser in katholische Trägerschaft gelangen, müssen auch diese Einrichtungen diesen Eingriff anbieten.
MIZ: Sie haben sich auch zum Fall der Verfassungsgerichtskandidatin Frauke Brosius-Gersdorf geäußert und die von rechts initiierte Hetzkampagne kritisiert. Ich nehme an, auch bei Ihnen sind Schreiben mit Unterstellungen und unsachlicher Kritik eingegangen. Können Sie solche Angriffe unter der Gürtellinie gut aushalten oder hinterlassen sie Spuren?
Joachim Volz: Ich erfahre nur sehr wenige wirklich inakzeptable Angriffe. Die meisten Menschen äußern ihre Kritik aus Sorge um das ungeborene Leben – und viele erkennen gleichzeitig an, dass Menschen wie ich eigentlich die besten „Lebensschützer“ sein müssten. Damit haben sie recht! Als Arzt deute ich Aggression mir gegenüber eher als Ausdruck von Angst oder Unsicherheit, nicht als persönliche Feindseligkeit.
MIZ: Wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute für Ihren Weg durch die Instanzen.