Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 4/24 | Geschrieben von IBKA Bremen

Evangelikale Mission auf den Schulhöfen

Die evangelikalen Sekten, oftmals auch irrtümlich „Freikirchen“ genannt, sind emsig bemüht, neue Schäfchen in ihre Kirchen­gemeinden zu lotsen. Mit missionarisch ausgebildeten Pastoren, Youtube-Predigern und religiösen Aktivisten strömen sie zur Bibelverkündung aus. Sehr beliebtes Ziel, weil leichter zu beeinflussen, sind Kinder und Jugendliche. Doch mit der Bibel in der Hand oder der Einladung zum traditionellen Gottesdienst können sie in einer überwiegend säkular eingestellten Bevölkerung keinen Blumentopf gewinnen.

Folglich agieren sie als Nachhilfe-, Frei­zeit-, oder Betreuungsprojekt getarnt, mit kostenlosem Mittagessen, Hausauf­gabenhilfe und Ausfahrten im Angebot, bieten Nachmittagsbetreuung oder offene Hortarbeit an und inszenieren sich öffentlich als Retter von vernachlässigten Kindern.

Die Arche, ein „christliches Kinder­hilfswerk“, ist wohl die bekannteste dieser Einrichtungen. Aber auch Jumpers mit 13 Standorten, Cross­over Skul, Projekte des evangelikalen Schuhmilliardärs Deichmann bis hin zu einzelnen evangelikalen Kir­chengemeinden, sind bei der Missio­nie­rung mit bibeltreuen Inhalten auf den Schulhöfen dabei.
Die Angebote sind kaum überschaubar. Unter unverfänglichen Namen agieren Projekte der 380 Verbände und Werke des Dachverbandes der deutschen Evangelikalen, der Evange­lische Allianz. Wenn es vor Ort darum geht, konkrete Angebote aufzubauen, zu finanzieren und sich als Kooperationspartner staatlicher Schulen anzubieten, Gelder einzuwerben und bei der örtlichen Presse vorstellig zu werden, agieren Aktivisten unterschiedlicher evangelikaler Strö­mungen gemeinsam. Beim Ziel der Weltmission sind sie sich einig.
Der Jugendpastor in einer evangelikalen Gemeinde in Berlin, Bernd Siggelkow, machte sich 1995 auf die Suche nach neuen Mitteln für sein missionarisches Wirken und erfand Die Arche. Einen großen Teil des Personals seiner Einrichtungen suchte er gezielt unter Abgängern der privaten evangelikalen Hochschulen, in denen neben sozialpädagogischem Handwerk auch missionarisches Wirken vermittelt wird, in deren Priesterseminaren und unter nach effektiveren Methoden der Mission suchenden Nachwuchspredigern evangelikaler Sekten. In den analysierten Projekten von Die Arche, die über 30 Einrichtungen in 18 deutschen Städten verfügt, findet sich das komplette Spektrum der evangelikalen Szene.
In Hamburg Harburg agiert die Arche in den Räumen einer methodistischen Gemeinde (Christuskirche Harburg). Im dortigen Gemeindebrief hieß es: „Gott hat auf wunderbare Weise für zwei Jahre Mittel geschenkt, und seit November ist sie [eine Arche-Mitarbeiterin] ‘an Bord’, jeweils zur Hälfte bei der Arche und der Gemeinde beschäftigt.“
Auch der ehemalige Jugendpastor einer evangelikalen Hamburger Kir­chengemeinde wechselte in die Leitung der Arche Jenfeld. In Bremerhaven wurde eine Vikarin, angehende Pasto­rin einer Pfingstgemeinde, zur Arche-Leiterin, mit Hausaufgabenhilfe und Mittagessen in den Räumen der Pfingstler. Die Leiterin der Arche in Leipzig hat eine Karriere in verschiedenen evangelikalen Missionsprojekten vorzuweisen. Sie arbeitete im Kids Projekt der Jumpers in Kooperation mit einer Pfingstgemeinde in Gera, wechselte zu Crossover Skul in Leipzig, einem Missionsprojekt an sieben Leipziger Schulen, getragen vom Marburger Kreis e.V. (steht der Evangelischen Allianz nahe), und landete schließlich bei der Arche.
Der Leiter der Arche Meißen ist wie etliche seiner Arbeitskollegen Absolvent der evangelikalen Hochschule des CVJM in Kassel, die darauf spezialisiert ist, Missionspersonal mit sozialpädagogischen Kenntnissen auszustatten. Ehemaliger Leiter des CVJM ist Ulrich Parzany, der heute den ultrabibeltreuen Kreis Bibel und Bekenntnis anführt, dem auch der Bremer Prediger Olaf Latzel angehört.
In den sieben Arche-Standorten in Berlin gibt es ebenfalls zahlreiche Überschneidungen und evangelikale Kooperationsgemeinden, so einer zur Evangelischen Allianz gehörende Kirche in Hellersdorf. Der Leiter der Arche Stuttgart predigte vor seinem Arche Engagement als Laienprediger in der Christlichen Missionsgemeinde Freiburg.
Zahlreiche Veranstaltungen der Arche finden in Gebäuden von evangelikalen Kirchengemeinden des Stadtteils statt. Zu den evangelikalen Kirchengemeinden des Umfeldes der Arche-Standorte gibt es ausgebaute Beziehungen bei Personal und Raumnutzung sowie gemeinsame Aktivitäten wie Ausflüge und Freizeiten.

Sozialer Anstrich, missionarische Ziele

Aber auch „Bibelwissen“ wird in den Arche-Standorten an die Kinder vermittelt. Das Bild zeigt einen Vortrag zu Bibel-Inhalten der Arche Düsseldorf. In Düsseldorf betreibt die Arche auch einen staatlich finanzierten Kindergarten.

In ihrer Öffentlichkeitsarbeit zeichnet Die Arche von sich ein Bild als sozialer Wohltäter. Dabei ist auffällig, dass abgesehen von regionalen Blättern vor allem die Sender und Zeitschriften der Bertelsmann-Gruppe wie RTL und Stern ein positives Bild der Arche verbreiten.
Zudem tritt die RTL-Stiftung Wir 
helfen Kindern auch als größter Spon­sor in Erscheinung. Ebenso fördern die Deutsche Bank, HSBC Trinkhaus, 
Boston Consulting, McDonalds oder Pepsi Arche-Einrichtungen. Spenden für eine durch Bertelsmann-Medien gelobte Sozialeinrichtung sind gut für das Image; das weiß auch die Bankenwelt.
Zum Einwerben von Sponsoring-Mitteln soll der Regionalleiter der Arche Rhein-Main, Daniel Schröder, auf dem vom evangelikalen „Zentralorgan“ IDEA organisierten Kongress christlicher Führungskräfte im März 2025 als Redner auftreten. Dort treffen sich evangelikal verortete Unter­nehmer und solche, die sich für wichtige Führungskräfte halten. Schröder ist bei der Arche auch für die Unter­nehmenskooperationen zuständig. (Auf 
dem Kongress ist auch Ralf Schuler von der rechtskonservativen Plattform NIUS als Referent vorgesehen, der das Führungspersonal der Arche schon als Kronzeugen für „Remigration“ und Bürgergeldabschaffung interviewt hat.)
Bei der Arche handelt es sich nicht um eine Sozialeinrichtung, die aus „christlicher Nächstenliebe“ für Kinder aus einkommensschwachen Haushalten betrieben wird. Es ist ein missionarisches Unternehmen, dessen 
wesentliches Ziel darin besteht, für evangelikale Sekten (Freikirchen) neue 
Anhänger zu gewinnen. Die Zusam­men­setzung des Personals, auf der Lei­tungsebene von der Spitze bis zu den einzelnen Einrichtungen, und die Kooperation mit evangelikalen Gemeinden lässt keinen anderen Schluss zu. Nicht nur in der bundesweit agierenden Evangelischen Allianz, dem zen­tralen Netzwerk der Evangelikalen, auch in örtlichen Allianzen ist die Arche aktiv.
In Berlin Hellersdorf wurde aus 
der Arche heraus eine evangelikale Privatschule gegründet. Die Sabine 
Ball Grundschule ist Mitglied des Bun­desverbandes evangelischer Bekennt
nisschulen. In einer ihrer Selbstdar­stel­lungstexte findet sich folgender Satz: „Darüber hinaus richten sie sich im Schulalltag auf Grundlage der Glaubensbasis der Evangelischen Allianz an der Botschaft der Bibel.“
Das von den Arche-Leitern Siggelkow und Büscher im Frühjahr 2024 herausgegeben Buch Das Verbrechen an unseren Kindern skizziert einen Generalangriff auf das Bürgergeld und enthält im Kern ein Forderungspaket zur Förderung privater, bevorzugt christlicher Kinderbetreuung, die stark an die Verfolgungsbetreuung der mittelalterlichen Armenhäuser erinnert.1
Missionierung mittels Sozialbetreu­ung und damit die angestrebte Ge­winnung politischer Hegemonie sind aus dem Wirken der Muslimbrüder oder der Evangelikalen in Lateinamerika hinlänglich bekannt. Missionierung auf der Grundlage von Bibel oder Koran und die angestrebte Hinwendung zu autoritären Herrschaftsformen bilden dabei eine ideologische und organisatorische Symbiose.

Anmerkung

1 https://religionsfreiinbremen.de/2024/ 12/22/christliche-kronzeugen-fuer-die-abschaffung-des-buergergeldes/ [Zugriff am 19.1.2025]