Allgemeines | Veröffentlicht in MIZ 2/15 | Geschrieben von Nicole Thies

In dubio pro libertate

Kunst ist frei. Satire darf alles.

Ein Blick in die europäische Kultur
geschichte straft uns Lügen. Schreiben­de wie bildende Künstler_innen, die brisante politische Aussagen formulieren, drohen bis heute Arbeitsverbote, Einschüchterungen, Anklagen, Frei­heitsentzug oder sogar der Tod. Die Entscheidung zur Kritik blieb den einzelnen Kunstschaffenden überlassen. Die Akzeptanz und das Verhandeln der Begriffe ‘Kunst’ und ‘Freiheit’ bleibt jedoch ein Privileg der Menschen und der Gesellschaft. Was ist Kunst? Was ist Freiheit? Hier scheiden sich bekanntlich die Geister.

Das Zitat von Rosa Luxemburg „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ ist in vielen Kontex­ten bemüht worden – von antifaschistischen Bewegungen bis hin zur sog. Friedlichen Revolution in der DDR. Die Tragweite des Zitates erschließt sich jedoch erst aus den Nachsätzen, die Luxemburg formulierte: „An was aber denken die anderen? Und wie frei denken sie?“
Kritik an Herrschaftsverhältnissen und an Religion(en) sind eng verwandt. Denn die Religionen haben sich historisch betrachtet erst etablieren können, als sie den Schulterschluss mit den herrschenden Eliten eingingen. Dass dieser Personenkreis an der Kontrolle über die Meinungsbildung und – wie heute oft zu hören ist – am öffentlichen Diskurs großes Interesse hat, ist völlig schlüssig und die logische Konsequenz.

Die Frage nach der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Kunst ist nach den Anschlägen von Paris zwar unweigerlich aufs Neue aktualisiert worden. Jedoch tritt das Dilemma zwischen Solidaritätsbekundung und den ‘historischen Gedenkmärschen und -feiern’ deutlich zu Tage: Steht doch die Solidarität mit den Opfern, die gemessen an der Brutalität der Massaker völlig berechtig ist, im Widerspruch zu den staatstragenden Gedenkfeiern. Nicht allein weil die religionskritische
Satirezeitschrift stets den Herrschafts­anspruch anprangerte, den bei den Ge-
denkfeiern sowohl die einzelnen Ver­treter_innen der Nationalstaaten als auch die einzelnen Vertreter_innen der
Religionsgemeinschaften mit deren bei-
der jeweiligen Legitimations­ansprü­chen repräsentierten.

Charlie Hebdo stand für eine blasphemische und staatskritische Satire, deren libertäre Redaktionsmitglieder sich für die Lai­zität, Meinungs- und Pressefreiheit einsetzten gegen die grassierende Epi­demie der Selbstzensur und gegen die Vorsicht und Feigheit im Dienste der Islamophobie. Mit dieser Ausgabe und mit dem Sonderheft bekennt die MIZ Farbe, indem sie die vielfältigen und notwendigen Verhand-
lungsmöglichkeiten und Positionen von politischer Reli­gions- und Ideologie­kritik mit den Mittel des Bildes und des Wortes aufzeigt.