Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 1/24 | Geschrieben von Corinna Gekeler

Kirchliches Arbeitsrecht:

ver.di macht Druck

Anfang März zog eine Kundgebung von ver.di zum Bundesminis­terium für Arbeit und Soziales, um eine Petition zur Abschaffung der Diskriminierung durch kirchliche Arbeitgeber zu überreichen. Die Petition mit über 37.000 Unterschriften fordert das Ende von Kündigungen wegen Kirchenaustritt, volles Tarifrecht und Mit­bestimmung. Der Druck gilt den aktuellen Besprechungen der Ampel. Im Koalitionsvertrag wurde zwar nicht etwa die Ab­schaffung, aber immerhin „die Überprüfung einer Angleichung des kirchlichen an das staatliche Arbeitsrecht“ versprochen. Leider „gemeinsam mit den Kirchen“, natürlich „auf Augenhöhe“. Tut sich also endlich etwas gegen die Diskriminierung von 1,8 Millionen Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen?

„Man muss kein Kirchenmitglied sein, um einen guten Job zu machen!“, so Sylvia Bühler, ver.di-Bundesvorstandsmitglied und Leiterin des Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft, bei der Übergabe der Petition. Und weiter: „Es ist befremdlich, dass das Allgemeine Gleich­behandlungsgesetz für kirchliche Be­schäftigte nicht gilt. Im Jahr 2024. In Deutschland. Das ist ein Skandal!“

Die große Kiste mit den über 37.000 Unterschriften nahmen Mathias Papendieck, Bundestagsabgeordneter der SPD, und Manuel Emmler für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen entgegen. Beide betonten, die Forderungen von ver.di und den Beschäftigten uneingeschränkt zu unterstützen. Sie versprachen, in ihrem Wirkungskreis weiterhin Druck zu machen. So wird Papendieck die Unterschriften im Bundesausschuss für Arbeit und Soziales vorlegen.

Politischer Druck ist nötig

Im Juli 2023 hieß es auf die Anfrage im Bundestag von Petra Pau (Linke) dazu, wie es denn mit der Abschaffung bzw. Überprüfung vorangehe: „Nachdem zunächst interne Abstimmungen zur Strukturierung des Prozesses statt­gefunden haben, führt das Bundesminis­terium für Arbeit und Soziales aktuell Gespräche zur weiteren Umsetzung dieses Prozesses. Es ist geplant, den Prüfauftrag aus dem Koalitionsvertrag in einer Arbeitsgruppe zu behandeln. Diese wird im zweiten Halbjahr 2023 ihre Arbeit nach der Sommerpause aufnehmen.“ Bislang wurde jedoch lediglich in streng vertraulichen Runden aus Vertreterinnen und Vertretern von Ministerien (Inneres sowie Arbeit und Soziales), ver.di und natürlich kirchlichen Lobbyisten darüber geredet.

Zum aktuellen Stand sagt Frank Bsirske (Bundestagsabgeordneter von 
Bünd­nis 90/ Die Grünen und vormaliger ver.di-Chef): „Die Grünen wollen entschieden die Angleichung des kirchlichen an das weltliche Arbeitsrecht. Ob das alle Ampel-Partner wollen, ist allerdings mittlerweile fraglich. Angesichts der Versprechungen von FDP und Union in ihren Wahlprogrammen, müssten substanzielle Veränderungen möglich sein. Wir gehen davon aus, dass in den Ampel-Gesprächen im April konkrete Verabredungen getroffen werden.”

Dass diese „Überprüfung“ so stockt, bedeutet wohl, dass sich der Verhandler der FDP quer stellt. Dieser ist Pascal Kober, Arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Bei ihm kommt die Frage auf, ob er als ehemaliger Pfarrer und Militärseelsorger sowie als Vorsitzender der Liberalen Christen e.V. nicht eher als Lobbyist für Kircheninteressen am Verhand­lungstisch sitzt. Selbst „gemeinsam überprüfen“ und „auf Augenhöhe“ wird so noch verwässert!

Juristische Bretter, die nicht dünner werden

Auf der ver.di-Kundgebung sprach auch eine Hebamme, die gegen ihre Kündigung bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklagt hatte. Fünf Jahre nach ihrem Kirchaustritt hatte sie kurz nach der Festanstellung in einer Caritas-Einrichtung deshalb die Kündigung erhalten. Natürlich erst nach der Aufforderung vom Personalchef, doch wieder Mitglied der katholischen Kirche zu werden.

Zu ihrem langen juristischen Weg sagt die inzwischen selbstständig Tätige: „Anfangs habe ich das vor allem einfach für mich gemacht. Da wusste ich noch gar nicht, wie wichtig mein Kampf für so viele andere ist.“ Zu einem Urteil kam es schlussendlich nicht, denn ihr Arbeitgeber ruderte zurück und bot ihr die Wiedereinstellung an. Laut ver.di tat er das nur, weil er wohl ein Grundsatzurteil vermeiden wollte, das höchstwahrscheinlich nicht zu seinen Gunsten ausgefallen wäre.

In einer anderen Kündigungsklage, die das Bundesarbeitsgericht dem EuGH aktuell vorgelegt hat, geht es zum wiederholten Mal um die Frage, ob die Kündigungsregelung aus dem kirchlichen Arbeitsrecht mit EU-Recht vereinbar ist. Eigentlich ist die Antwort seit 2018 (Fall Egenberger) eindeutig: Nein. Aber auch dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da die Diakonie zum Bundesverfassungsgericht in Berufung ging, und in Karlsruhe immer noch nicht darüber verhandelt wurde.

Womit immer neue Fallkonstel­lationen durch immer weitere Einzel­personen es bis zum EuGH schaffen müssen. Zuletzt für die „Klärung, ob die Ungleichbehandlung der Klägerin mit Arbeitnehmern, die niemals Mitglied der katholischen Kirche waren, vor dem Hintergrund des durch [die] Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Richtlinie [...] zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf gewährleisteten Schutzes vor Diskriminierungen u.a. wegen der Religion gerechtfertigt sein kann“, so das Bundesarbeitsgericht.

Grundrechte versus Existenz

Seit sexueller Missbrauch in der evangelischen Kirche endlich auch im Fokus steht, fragen sich immer mehr Angestellte in deren Einrichtungen, ob sie durch einen Kirchenaustritt ihre Stelle verlieren würden. Das kann man nur mit Ja beantworten, denn sowohl bei Bewerbungen als auch bestehenden Arbeitsverhältnissen sind beide christlichen Kirchen beim Thema Kirchenaustritt beinhart. Womit sie das Grundrecht auf Religionsfreiheit aushebeln.

Da hilft es auch nichts, dass in der katholischen Grundverordnung inzwischen gelockert wurde, wie mit Homosexualität und Scheidung im Arbeitsverhältnis umzugehen ist. Allein schon, dass die Beendigung von derlei Schnüffelei im Privatleben und offensichtlicher Diskriminierung nicht Sache des Rechtsstaats zu sein scheint, empört. Zumal es sich bei den Sonderregelungen im Allgemeinen Gesetz zur Gleichbehandlung (AGG) um ein deutsches Phänomen handelt, das nicht mit EU-Recht übereinstimmt. Trotzdem wird es einzelnen Betroffenen überlassen, sich rechtlich gegen Diskriminierung und Bedrohung ihrer beruflichen Existenz zu wehren.

„Ich finde es völlig ungerechtfertigt, dass soziale Einrichtungen unter kirchlicher Trägerschaft ihren Angestellten nicht nur ein christliches Bekenntnis abverlangen und ihnen Arbeitnehmerrechte verwehren dürfen, sondern sie sogar bis in das Privatleben hinein bevormunden dürfen“, sagt Silvia Kortmann. Die Landessprecherin vom IBKA-Landesverband Berlin-Brandenburg weiter: „Dass dieses Thema immer noch auf der Tages­ordnung steht, zeigt, dass man einen sehr langen Atem braucht, wenn man gegen die Privilegien der Kirchen vorgehen will.“