Zum Artikel „Der Sinn vom Unsinn“ von Daniela Wakonigg (MIZ 4/12)
Wenn ein Atheist den Spaßreligionen ablehnend gegenübersteht, dann heißt das keineswegs, dass ihm verborgen geblieben sein müsste, dass es sich um Parodien handelt. Es kann ihm auch durchaus klar sein, dass mit den Spaßreligionen auf das Lächerliche in vielen etablierten Religionen aufmerksam gemacht werden soll.
Aber das heißt nicht, dass er der Meinung sein müsste, dass die beabsichtigten Wirkungen tatsächlich erreicht würden. Stattdessen kann er der Meinung sein, dass eher das Gegenteil eintreten würde. Vor allem in der Breitenwirkung. Was würde dort, in der Breite, vielen Menschen als lächerlich erscheinen? Wirklich die etablierten Religionen? Oder vielmehr die Religionskritik?
Einer größeren Breitenwirkung dürfte außerdem der Spott entgegenstehen, der in einigen Spaßreligionen zu spüren ist. Spott fördert nicht eben die Bereitschaft zu einer ernsthaften und ergebnisoffenen geistigen Auseinandersetzung.
Attraktiv sein dürften die Spaßreligionen hauptsächlich da, wo junge Menschen den Religionen ohnehin schon fernstehen. Was wird auf die Dauer übrig bleiben von der Begeisterung, mit der viele heute den Spaßreligionen zuströmen? Ich vermute, dass den meisten das Ganze bald langweilig werden wird.
Bis jetzt haben wir, soweit ich sehe, kaum empirische Befunde zu Breitenwirkung und Langzeitwirkung der Spaßreligionen. Ich fände es schön, wenn sowohl Verfechter als auch Kritiker auf die Behauptung verzichten würden, es wäre ein „Fehler“, eine andere Meinung dazu zu haben als sie selbst.
Irene Nickel, Braunschweig
Dies ist leider der letzte Leserinnenbrief von Irene Nickel. Wenige Wochen nachdem uns ihre Anmerkungen erreicht haben, ist sie am 8. März nach schwerer Krankheit gestorben.
In der MIZ taucht ihr Name erstmals im Heft 3-4/89 auf: In einem Leserinnenbrief kritisierte sie die Forderung des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) nach der ersatzlosen Streichung des § 218 StGB. Seitdem hat sie sich in zahlreichen Leserinnenbriefen zu Wort gemeldet und auch einige Artikel für die MIZ verfasst.
Aber ihre Aktivitäten beschränkten sich nicht darauf, in der MIZ erschienene Beiträge zu kommentieren. Im IBKA engagierte sie sich seit Anfang der 1990er Jahre. Als Regionalbeauftragte war sie über viele Jahre Kontaktperson in Niedersachsen, kurzzeitig gehörte sie einmal auch dem Bundesvorstand an. An der Gründung des Landesverbandes Niedersachsen-Bremen im März 2010 war sie maßgeblich beteiligt und hat dann noch fast zwei Jahre aktiv im Vorstand mitgearbeitet. Als Mitglied der Satzungs- sowie der Leitfaden-Kommission zeichnet sie mitverantwortlich für die aktuelle Fassung dieser Texte.
Politisch aktiv war Irene Nickel aber bereits, bevor sie zur säkularen Szene stieß. Ihr Studium begann sie 1968, „also genau in der richtigen Zeit, um von der 68er Bewegung vieles mitzubekommen und viel daraus zu lernen“, wie sie in einer biographischen Notiz auf ihrer Webseite schreibt. Sie engagierte sich bei amnesty international und trat der SPD bei (die sie 1982 wegen deren Atompolitik wieder verließ). Ende der 1980er Jahre begann dann ihr Einsatz für die Belange der Konfessionslosen.
Die existentiellen ethischen Fragen fanden ihr besonderes Interesse, wie bereits ihr erster Leserinnenbrief in der MIZ zeigt. Auf ihrer Webseite finden sich einige Artikel zu entsprechenden Themen. Als Mutter eines schwerbehinderten Kindes setzte sie sich für Stammzellenforschung und Präimplantationsdiagnostik ein. Als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) plädierte sie dafür, Sterbehilfe zu ermöglichen.
Irene Nickel zeichnete sich durch klares Denken aus und war besseren Argumenten immer zugänglich. Auf ihrer Webseite findet sich ein Text zum Schwangerschaftsabbruch, der auf einem MIZ-Artikel aus dem Jahr 1991 basiert, aber an einigen Stellen geändert ist; in den Fußnoten gibt sie den Originaltext wieder und erläutert, warum sie nun zu einer anderen Einschätzung kommt. Ein solches reflektiertes Vorgehen war typisch für sie, aber die diplomierte Mathematikerin konnte sich auch leidenschaftlich und beharrlich für ihre Positionen einsetzen.
Irene Nickel hat in den vergangenen 20 Jahren die Arbeit der MIZ-Redaktion kritisch begleitet und zahlreiche Anregungen gegeben. Und sie gehörte nicht zu den Menschen, die nur mit guten Ratschlägen zur Hand sind; ihr war stets bewusst, dass Freiheitsrechte im real existierenden Kapitalismus auch eine ökonomische Dimension haben. In einer schwierigen Situation hat sie 1999 den Verlag solidarisch unterstützt und geholfen, die Existenz dieser säkularen Publikationsplattform zu sichern. Für all dies sind wir ihr zu Dank verpflichtet.
MIZ-Redaktion & Alibri Verlag