Dass man in dieser PR-Krise nach jedem Strohhalm greift, ist menschlich verständlich. Doch der jüngste Versuch der katholischen Kirche, bei der jungen Generation zu punkten, ist von geradezu atemberaubender Geschmacklosigkeit: Man hat einen toten Teenager aus dem Grab gezerrt, seinen Leichnam ausgestopft, ihn in Jeans und Turnschuhe gesteckt und zum Seligen erhoben. In Assisi wird er nun hinter einer Glasscheibe ausgestellt und als Influencer Gottes verehrt.
Carlo Acutis starb 2006. Zu seinen Lebzeiten hatte der Junge aus Mailand ein ausgeprägtes Faible für den Katholizismus. Er besuchte gern und oft die Kirche und half bei der Gemeindearbeit. Daneben interessierte er sich – wie die viele Jungs seines Alters – intensiv für Computer. Beide Leidenschaften verband er, indem er ein Online-Verzeichnis eucharistischer Wunder anlegte. Als Carlo 15 Jahre alt war, wurde bei ihm eine akute Leukämie festgestellt, an der er starb.
Ein zutiefst bedauernswertes Schick sal. Mit 15 Jahren hat so mancher noch Unsinn im Kopf, Ansichten, über den er wenige Jahre später lacht. Die erste Liebe und ein Studium hätten Carlo vermutlich mit anderen Gedanken erfüllt. Gedanken, die es ihm vielleicht erlaubt hätten, den Katholizismus seiner Kindheit kritisch zu betrachten. Doch Carlo Acutis durfte all das nicht erleben. Er bekam nicht einmal die Gelegenheit, sich intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen, warum jener Gott, den er so sehr verehrt, ihn mit einer schweren Krankheit schlägt. Nur wenige Tage blieben ihm nach der Diagnose, bis er starb. Zu wenig Zeit für Denkprozesse, die an den Fundamenten des eigenen Glaubens rütteln könnten.
Nach seinem Tod leitete die katholische Kirche ein Seligsprechungsverfahren für Acutis ein, das der Junge aus Mailand nicht nur mit Bravour, sondern – als eines der schnellsten der Geschichte – auch in wundersamem Tempo bestand. Mitte Oktober 2020 wurde Carlo Acutis offiziell seliggesprochen.
Der Selige Carlo scheint genau das zu sein, was sich die Kirche wohl von ihm erhofft hatte. Religiöse Fans haben in den Sozialen Medien bereits Verehrungs-Webseiten für ihn eingerichtet. Als „Influencer Gottes“ wird er bezeichnet. Und das, obwohl er nie das war, was man mit dem Begriff „Influencer“ bezeichnet, weil es zu seinen Lebzeiten noch überhaupt keine Möglichkeiten zum „Influencen“ im Internet gab. Doch vielleicht wird Carlo nun aus dem Jenseits das Internet rocken und massenhaft junge Menschen mit dem Katholizismus anfixen. Dass der katholische Gott Teenager umbringt, um sie anschließend für PR-Zwecke zu nutzen, wird dabei sicherlich ein überzeugendes Argument sein.