MIZ: Seit wann gibt es die gbs Bodensee denn schon?
Alexander Wolber: Die gbs Bodensee wurde 2017 von ehemaligen Mitgliedern der gbs Stuttgart gegründet und feiert damit dieses Jahr ihr achtjähriges Bestehen. Im Vergleich zu anderen Regionalgruppen der Giordano-Bruno-Stiftung gehören wir also zu den jüngeren. Zu Beginn waren wir zu zehnt, wobei viele eher passiv beteiligt waren. Dennoch war das ein Vorteil – nach außen konnten wir einen stabilen Mitgliederstamm präsentieren, und durch die Mitgliedsbeiträge hatten wir zumindest ein kleines finanzielles Fundament. Schon früh ließen wir uns ins Vereinsregister eintragen und beantragten anschließend die Gemeinnützigkeit. In der Anfangszeit haben wir uns vor allem darauf konzentriert, in der Region sichtbar zu werden. An der Uni Konstanz gründeten wir eine Hochschulgruppe und luden bekannte Persönlichkeiten aus der säkularen Szene wie Philipp Möller oder Carsten Frerk zu Vorträgen ein.
MIZ: Am Karfreitag hattet Ihr eine „Forbidden Moves“-Party, um ein Zeichen gegen das Tanzverbot zu setzen. War es schwierig, die Kommunalverwaltung von der Rechtmäßigkeit der Veranstaltung zu überzeugen?
Alexander Wolber: Die Umsetzung unserer Heidenspaß-Party war insofern spannend, als wir die Stadt Konstanz mit unserem Vorhaben kalt erwischt haben. Nach Vorlage unserer Planungen wurde „Forbidden Moves“ zunächst als genehmigungsfrei akzeptiert, was einer Anerkennung als Weltanschauungsgemeinschaft auf Augenhöhe der Kirchen gleichkam. Wir waren verblüfft, wie fortschrittlich und grundgesetztreu sich Konstanz für die Gleichberechtigung von Weltanschauungen einsetzte – ein echtes Novum. Kurz darauf änderte sich das. Vermutlich kam ein Mitarbeiter auf die Idee, sich eingehender mit dem Hintergrund der Veranstaltung zu befassen, woraufhin die Stadt zurückruderte und ein Genehmigungsverfahren mit Auflagen verlangte. Da im Bodenseekreis bislang niemand eine Party am Karfreitag veranstaltet hatte, ging man offenbar etwas naiv an die Sache heran. Zum Glück haben wir mit Lorenz Dietrich einen sehr fähigen Anwalt, der die Korrespondenz mit der Stadt übernahm. Dennoch gab es einige kleinere Hürden zu überwinden: Eine Sachbearbeiterin war plötzlich im Urlaub, eine Unterschrift verzögerte sich, die Polizei äußerte Bedenken wegen möglicher Nachahmer, Gebühren für die „Koordination von Behörden“ wurden verlangt, und die Lautstärke wurde kritisiert – obwohl direkt daneben eine achtspurige Bundesstraße verläuft.
Am Ende blieben das jedoch nur lästige Nebensächlichkeiten, die uns nicht weiter aus der Ruhe brachten.
MIZ: Wie lief der Abend?
Alexander Wolber: So, wie eine Party läuft, wenn man der einzige Anbieter von Spaß und Geselligkeit im Umkreis ist: brechend voll, beste Stimmung, viele lachende Gesichter. Die Lokalpresse war da, wir haben gefeiert, viel positives Feedback bekommen – auch über Social Media. Ein voller Erfolg.
MIZ: Insoweit unterscheidet Ihr euch erstmal nicht grundlegend von dem, was andere gbs-Regionalgruppen machen. Jetzt habt Ihr aber ein neues Betätigungsfeld betreten: Ihr werdet in Zukunft in Konstanz ein „Humanistisches Bildungs- und Begegnungszentrum“ (hbbk) betreiben. Was hat euch zu diesem Schritt veranlasst?
Alexander Wolber: Die Grundidee hatte ich schon vor über zwei Jahren – damals in Form von humanistischen Festen. 2023 war das Jahresthema der gbs „100 Jahre evolutionärer Humanismus“, und ich habe viel darüber nachgedacht, wie wir den evolutionären Humanismus bekannter machen könnten. Dabei habe ich über die Kirchen nachgedacht und mich gefragt, was sie machen, um ihr Klientel anzusprechen: Sie sprechen Emotionen und spirituelle Bedürfnisse an.
Wir dagegen sind meist sehr kopflastig – was für unaufgeregte Debatten und rationale Lösungsansätze wichtig ist, aber auch Distanz erzeugen kann, da man Gefahr läuft, unnahbar oder „kühl“ zu wirken. Die große Frage war: Wie kann man Gefühle ansprechen, ohne ins Missionarische abzurutschen? Humanistische Feste sollten Gemeinschaft, Freude und ein Wir-Gefühl vermitteln – allerdings war mir schnell klar, dass sich die Inhalte des evolutionären Humanismus so nicht vermitteln lassen werden, da die Verbindungen dazu zu unintuitiv sind.
Dann fiel mir auf, dass ab und an Aussteiger aus Sekten zu unseren Stammtischen kamen, die nach weltanschaulicher Orientierung suchten. Allerdings blieben sie nie lange, was mich stutzig machte. Welcher Verein könnte für Ehemalige eine bessere Anlaufstelle sein als die religionskritische gbs Bodensee? Ich habe mich in der Zeit danach eingehender mit wissenschaftlicher Literatur zur Spiritualität beschäftigt. Drei Faktoren machen Spiritualität attraktiv: Gemeinschaft, Sinn und Gesundheit. Das adressieren wir bisher punktuell in unseren Aktivitäten, wenn wir uns beispielsweise für selbstbestimmtes Sterben einsetzen, allerdings verankern wir das kaum in unserer Vereinskultur.
Für einige Menschen ist Spiritualität ein psychisches Grundbedürfnis. Für mich selbst ist das nicht so zentral – und ich denke für die meisten unserer Mitglieder gilt das ebenfalls. Gemeinsam mit meiner Partnerin Isabell – ebenfalls Mitglied der gbs Bodensee – entwickelte sich daraus die Idee, ein Bildungszentrum zu gründen, das nicht nur Aufklärung zu weltanschaulichen Themen wie Religion, Esoterik und Verschwörungsideologien bietet, sondern auch die Auseinandersetzung mit Spiritualität, Sinn, Werten und kritischem Denken ermöglicht. Ein wichtiger Aspekt war, dass diese Themen nicht nur im anonymen Raum des Internets stattfinden, sondern in einer echten, begehbaren Räumlichkeit.
Ich habe diese Idee anschließend mehrfach vorgestellt und weiter ausgearbeitet. Daraus wurde dann das hbbk.
MIZ: Was soll in eurem Humanistischen Zentrum denn alles stattfinden?
Alexander Wolber: Unser Programm ist zweigeteilt: individuelle psychosoziale Beratung einerseits, allgemeine Bildungsangebote andererseits. Thematisch geht es um Weltanschauungen, Esoterik, Verschwörungsideologien, Okkultismus – aber auch um Sinn, Werte, Ethik, Spiritualität und Humanismus. Wir bieten Vorträge, Lesungen, Workshops, planen eine Selbsthilfegruppe für Aussteiger aus sektiererischen Kreisen und verstehen uns auch als Ansprechpartner für Schulen, Bildungseinrichtungen und andere Organisationen in der Region.
MIZ: Das hört sich nach einem richtig großen Projekt an. Wie schafft Ihr das mit der Finanzierung?
Alexander Wolber: Das Projekt hat uns bisher unzählige Stunden Arbeit gekostet – aber es hat sich gelohnt. 2025 finanzieren wir das hbbk über das Bürgerbudget der Stadt Konstanz. Das ist ein Fördertopf für gemeinwohlorientierte Projekte – nach einem intensiven Auswahlprozess wurde beschlossen, uns mit ca. 15.000 Euro zu fördern, mit denen wir hauptsächlich die Miete für unsere 90m² großen Räumlichkeiten decken. Die Einrichtung und Ausstattung haben wir über Spenden und Eigenkapital finanziert. Das Bürgerbudget ist eine wichtige Anschubfinanzierung – für die Folgejahre müssen wir noch weitere Förderungen und Spenden einwerben. Erste Netzwerke dafür bauen wir gerade auf, wir setzen alle Hebel in Bewegung, um das hbbk zu erhalten.
MIZ: Nutzt Ihr die Räume alleine oder sind dort auch andere zivilgesellschaftliche Gruppen untergebracht?
Alexander Wolber: Ja, die Räume sind ausschließlich für uns gedacht und haben einen eigenen Zugang. Falls wir geeignete Partner finden sollten, denken wir auch über eine stundenweise Untervermietung nach.
MIZ: Unterm Strich: Ist das ein Projekt, das auch andere lokale Gruppen in ihren Städten kopieren könnten, oder sind die Rahmenbedingungen in Konstanz so spezifisch, dass euer Humanistisches Zentrum ein für andere unerreichbarer Leuchtturm bleibt?
Alexander Wolber: Wir bekommen viel Zuspruch aus anderen Regionalgruppen – das Interesse, Ähnliches aufzubauen, ist definitiv da. Im Moment stecken wir aber noch in der Aufbauphase, probieren viel aus und sammeln Erfahrungen. Viele unserer Ansätze lassen sich gut übertragen, aber natürlich hat jede Region ihre eigenen Rahmenbedingungen. Uns kam z. B. das Bürgerbudget zugute – und ein engagiertes Team. Letztlich ist eine Umsetzung an anderen Orten von vielen Faktoren abhängig, die den Prozess erschweren oder vereinfachen können. Ich hatte von Anfang an die Idee, dass hbbk-ähnliche Projekte an vielen Orten entstehen können, dabei würden wir auch unterstützen. Zunächst müssen wir allerdings erstmal beweisen, dass das hbbk zukunftsfähig ist, danach sehen wir weiter.
MIZ: Danke für das Gespräch!