Prisma | Veröffentlicht in MIZ 2/15 | Geschrieben von Greg Graffin und Philipp Meinert

Religion als Trend aus der Vergangenheit

Ein Gespräch mit dem Punk-Sänger und Evolutionsbiologen Greg Graffin

Ende Mai hat der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) in Köln den „Sapio“ verliehen, eine Auszeichnung für die Förderung von Weltanschauungsfreiheit, Selbstbestimmung Toleranz und vernunftgeleitem Denken. Philipp Meinert sprach für MIZ mit dem Preisträger Greg Graffin.

MIZ: Du bist extra nach Deutschland bekommen um den „Sapio“ entgegenzunehmen. Warum hast du dafür den weiten Weg auf dich genommen?

Greg Graffin: Es ist einfach eine Ehre und sehr nett, wenn dich jemand als Repräsentant einer Community betrachtet. Vor allem wenn es sich um eine Community aus Atheisten und Humanisten handelt, die dir einen Preis verleihen wollen. Ich habe in den USA mal einen ähnlichen Preis von der American Humanist Association bekommen. Ich glaube, die Leute sind sich sehr ähnlich. Es wäre natürlich leicht zu sagen „Nein, ich bleibe zuhause und ihr könnt mir den Preis vorbeibringen“. Aber ich wollte mit meinem persönlichen Erscheinen meine Dankbarkeit ausdrücken.

MIZ: Hattest zu jemals zuvor etwas vom IBKA gehört?

Greg Graffin: Nein, aber der IBKA ist ja mit den amerikanischen Humanisten verbunden, die mir damals den Preis verliehen haben. Die kannten den Verein natürlich und haben mir vom IBKA erzählt. Und da beide zusammenhängen, dachte ich mir, es wäre gut, sie zu unterstützen, wie ich die amerikanischen Humanisten unterstütze.

MIZ: Bitte erzähl etwas mehr über humanistischen Organisationen in den USA? Gibt es viele von ihnen?

Greg Graffin: Viele! Wie ich ja schon ausführte: Ich hörte vom IBKA durch die American Humanist Association, die wiederum eine Atheistengruppe haben. Es gibt dort viele Netzwerke und viele Gruppen.

MIZ: 2012 wurde der „Sapio“ dem deutschen Ableger der „Buskampagne“ überreicht, die auf Richard Dawkins zurückgeht. Auf dem Bus stand in großen Lettern „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott“. Du stehst Atheismus kritisch gegenüber. Ist das eine Form, die du kritisieren würdest?

Greg Graffin: Ein bisschen schon, aber lass mich zuvor klarstellen: Atheismus als Bewegung steckt noch in den Kinderschuhen. Wir haben alle keine Ahnung, wie es damit weitergeht. Es gab schon vorher große Intellektuelle, die ihre eigenen Ideen zum Atheismus entwickelt haben.

In meinen Schriften war ich ja immer sehr deutlich. Ich hoffe zumindest, dass ich deutlich bin. Eins meiner Bücher mit dem Titel Anarchie und Evolution wurde ja auch ins Deutsche übersetzt und darin versuche ich ja meine Sicht auf die Welt zu erklären und warum meine Herangehensweise eine andere ist als die von Dawkins. Meine basiert auf der Idee des Naturalismus, die kommunikativer und nicht so konfrontativ ist.

MIZ: Könntest du denen, die das Buch nicht gelesen haben, kurz erklären, was Naturalismus ist?

Greg Graffin: Das kann ich – aber ich muss vorsichtig sein, weil ich keine konfrontative Situation erzeugen möchte. Wenn man sich selbst als Naturalisten bezeichnet, kann man durchaus sagen, dass es keinen Gott gibt, aber ein Naturalist sagt noch mehr. Er sagt: Es gibt da draußen eine Welt, von der wir ein Teil sind. Und wir sind Teil einer Gemeinschaft von Organismen auf diesem Planeten. Der Naturalist glaubt, dass diese Organismen und der Planet, den wir bewohnen, nur von Energie und Materie zusammengehalten wird: Zwei simple Kategorien in sehr komplexen Interaktionen. Es existiert nichts Übernatürliches, nur Natürliches.

MIZ: Das klingt für mich sehr akademisch…

Greg Graffin: Nein, ist es nicht. Es ist praktisch! Faktisch ist es ein sehr einfacher Blick auf die Welt.

MIZ: Gut, aber denkst du nicht, dass eine aggressivere und populistischere Argumentation auch manchmal hilfreich sein kann, wenn man seine Ideen verbreiten will?

Greg Graffin: Mich stört es einfach, wenn Atheisten behaupten, jemand sei dumm, weil er oder sie an Gott glaubt. Ich glaube nicht, dass jemand deshalb automatisch dumm ist und würde es nie behaupten. Einige Atheisten haben sogar gesagt, Kinder religiös zu erziehen ist dasselbe wie Kindesmissbrauch. Das geht in meinen Augen zu weit! Du erziehst deine Kinder ja in der Regel so, wie du erzogen wurdest.

MIZ: Vielleicht funktioniert es tatsächlich auch so. Es gibt auch so immer mehr Menschen, die vom Glauben abfallen. Die Zahl der Amerikaner, die sich zum Christentum bekennen, ist in den letzten Jahren signifikant zurückgegangen. Wo würdest du die Gründe darin sehen und ist das eine gute Entwicklung?

Greg Graffin: Ich weiß nicht, ob das wirklich so ist. Ich glaube nicht an solche Statistiken, denn manchmal bilden sie lediglich Trends ab. Daher kann ich die aktuellen Gründe auch nicht benennen. Ich habe die Artikel darüber auch gelesen, aber ich widme ihnen nicht viel Aufmerksamkeit. Es ist sehr unklar, wie es gemeint ist. Warum gehen Menschen seltener in die Kirche? Dafür kann es Millionen Gründe geben. Vielleicht sind sie einfach Football-Fans geworden und sehen sich jetzt lieber Football an anstatt zu Gott zu beten. Das kann man nicht generalisieren. Aber sowohl für die deutsche als auch die amerikanische Gesellschaft gilt natürlich: Es gibt eine begrenzte Anzahl von Aktivitäten, die ein Mensch ausführen kann. Und die jüngere Generation nimmt neue Rituale und Traditionen an, die nicht mehr etwas mit der Kirche zu tun haben müssen. Das ist nur logisch. Es ist ein normaler Säkularisierungsprozess. Das ist kein Grund zur Aufregung und ich glaube eh, dass die katholische Kirche sich nicht beschweren kann, wenn sie an einer Jahrtausende alten Tradition festhält und sich nicht ändert.

MIZ: In Deutschland gab es viele Er­eignisse, die die Säkularisierung vorangetrieben haben: Missbrauchsskandale, der sehr konservative deutsche Papst, zuletzt der sogenannte „Protz-Bischof“ Tebartz-van Elst. Immer, wenn etwas dergleichen passiert, verlassen die Menschen in Scharen die Kirche. Muss immer erst was passieren, damit die Menschen anfangen, nachzudenken?

Greg Graffin: Nein, nicht wenn sie Bad Religion hören. Dann denken sie seit 35 Jahren nach. Das hoffe ich zumindest. Übrigens ist Bad Religion in dieser Hinsicht einzigartig: Wie versuchen, unsere Fans nicht auszugrenzen. Die Hälfte unserer Fans ist religiös. Wir haben viele religiöse Fans, weil wir Fragen zulassen und auch beantworten, aber sie nicht für blöd halten. Das würde auch keinen Sinn für mich ergeben. Einige unserer Freunde, wie NoFX, nennen religiöse Menschen dumm. Das ist lustig gemeint und sie verpacken es in lustige Lieder, aber trotzdem dürften sich ihre religiösen Fans damit nicht sehr wohl fühlen.

MIZ: Was mich immer sehr wundert ist, dass es eine große christliche Punkszene in den Staaten gibt. Sowas wäre in Deutschland undenkbar. Hier gibt es nur eine Handvoll Christenpunks, vielleicht ein paar Jesus Freaks. Warum ist das in den USA anders?

Greg Graffin: Das ist keine große Überraschung. In Deutschland gibt es wenige Kirchgänger. In wenigen deutschen Orten spielt die Kirche noch eine zentrale Rolle. Die Gründe dafür kenne ich nicht. In Amerika findet man dieses Phänomen auch. Aber in vielen Teilen Amerikas, besonders in Kleinstädten, ist die Kirche nach wie vor der zentrale Ort der Stadt. Und da sich Punk über das ganze Land verbreitet hat, kam er natürlich auch in die kleinen religiösen Städte. Auch dort liebt man Punkrock, aber nicht unbedingt die atheistische Aussage von Bad Religion. Aber das ist OK. Dort haben sich eigene Punkbands gegründet und anstatt politscher Lieder gegen die Regierung machen sie eben politische Lieder über Jesus.

MIZ: Aber nachdem eines euer letzten Alben ein Weihnachtsalbum war, seid ihr keine christliche Band geworden, oder?

Greg Graffin: Nein, aber wir alle lieben Weihnachten! Wie viele deutsche Atheistinnen und Atheisten besuchen Weihnachtsmärkte? Weihnachten ist säkular geworden und daher haben wir ein Weihnachtsalbum gemacht. Wir haben nur die Lieder gewürdigt, mit denen wir aufgewachsen sind und ich denke, wir haben gute Versionen gemacht. Und wer liebt Weihnachten nicht? Ich denke, wenn du so atheistisch bist, dass du Weihnachten nicht mal mit den Kindern zusammen feiern kannst, hast du ein Stück deiner Menschlichkeit aufgegeben. Und um es klar zu sagen: Auch in einer säkularen Gesellschaft werden nicht alle religiösen Traditionen über Bord geworfen. Wir müssen Religion als Trend aus der Vergangenheit akzeptieren, aus dem wir verschiedene Elemente in die Gegenwart übernommen haben: Dinge, die wir mögen, und die Philosophie. Der Kölner Dom ist ein großartiges Beispiel dafür. Jemand, mit dem ich gestern hier unterwegs war, sagte, dass der Dom für die Kölner enorm wichtig ist. Und dafür müssen sie noch nicht einmal zwangsläufig religiös sein. Doch sie sind sehr bewegt durch das Gebäude und durch das, was es repräsentiert: Eine große architektonische Leistung der Menschheit, zum Beispiel der große einladende Eingangsbereich. Da fällt die Theologie hinter zurück, was ein lebendiges Anzeichen für Säkularisierung ist. Theologie hat seine Signifikanz verloren – das Gebäude nicht.

MIZ: Warst du bereits im Kölner Dom?

Greg Graffin: Sehr oft! Ich komme seit
25 Jahren regelmäßig nach Deutschland. Köln war eine der ersten Städte, die ich besucht habe. Inzwischen war ich, glaube ich, fünfzig Mal hier. Gestern waren wir zwei Mal drin und vorgestern einmal. Es handelt sich ja um eine Repräsentation der Stadt und nicht der Religiosität. Wenn du die Menschen fragst, ob sie sich im Dom näher bei Gott fühlen, würden viele die Frage gar nicht verstehen. Sie bewundern lieber die Wände, das Mauerwerk, das Gebäude und sowieso die ganze Geschichte dieses Ortes.

MIZ: Du arbeitest an einem neuen Buch namens Population Wars. Kannst du darüber etwas erzählen?

Greg Graffin: Es ist schon fertig und kommt im September heraus. Man kann es bereits vorbestellen. Ich kann dir zum Beispiel erzählen, dass es ein Kapitel über den Kölner Dom gibt und ziemlich viel von dem, was ich bereits gesagt habe, wird darin vorkommen. Die Bevölkerung hat sich immer wieder verändert. Das ist ja zunächst mal ein biologischer Fakt. Aber die Struktur der Umgebung, die sie aufgebaut haben und in die sie involviert waren, bleibt. Ich habe die Struktur der Kathedrale als eine Allegorie für das Skelett genommen. Skelette ändern sich nicht sehr schnell, aber die Bevölkerung tut es. Damit will ich sagen, dass man die Vergangenheit studieren und verstehen muss, wenn man einen realistischen Ansatz zu unserer aktuellen Situation haben möchte. Außerdem liefert es einen direkten Ansatz für eine Erklärung, warum wir in den Krieg ziehen und wodurch er verursacht wird.

MIZ: Es ist also ähnlich aufgebaut wie Anarchie und Evolution? Du erklärst komplexe Zusammenhänge anhand von Anekdoten?

Greg Graffin: Genau. Aus meiner persönlichen Sicht. [Auf Deutsch] „Weltanschauung“.

MIZ: So lange du nicht wieder auf Deutsch singst…

Greg Graffin: Oh, du magst mein Deutsch nicht?

MIZ: Nur nicht wenn du „Punk Rock Song“ auf Deutsch singst. Tut mir leid….

Greg Graffin: OK, ich singe ja schon seit 10 Jahren nicht mehr Deutsch. Aber du solltest dich bei meinem Freund Jens beschweren, der für die Übersetzung verantwortlich ist. Er sagte mir, es klänge sehr „deutsch“.

MIZ: Das tat es! Vielen Dank für das Interview.