Eva Müller: Richter Gottes. Die geheimen Prozesse der Kirche. Köln 2016, Kiepenheuer & Witsch. 253 Seiten, kartoniert, Euro 14,99, ISBN 978-3-462-4948-0
Als die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der katholischen Kirche vorwarf, in Fällen sexuellen Missbrauches durch Kirchenmitarbeiter nicht uneingeschränkt mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten, war die Aufregung groß. Tatsächlich jedoch hat die katholische Kirche die Rechtshoheit des Staates bis heute nicht akzeptiert. Das wird – neben der Suche nach „internen Lösungen“ bei sexuellen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche durch Priester oder andere Kirchenmitarbeiter – auch im kirchlichen Arbeitsrecht deutlich, das über eine Million Beschäftigte zu Arbeitnehmern zweiter Klasse degradiert.
Doch diese beiden Felder spielen im Buch von Eva Müller nur eine Nebenrolle, sie konzentriert sich auf einen dritten Bereich: das Eherecht. Wiederum sind es die bei der katholischen Kirche und zugehörigen Einrichtungen (von KJG bis Caritas) Beschäftigten, deren Grundrechte durch kirchliche Rechtsvorstellungen massiv eingeschränkt werden. Denn die katholische Kirche akzeptiert (egal aus welchen Gründen, selbst bei brutaler Gewalt in der Ehe) keine Scheidung; eine einmal geschlossene Ehe bleibt für immer gültig („bis dass der Tod euch scheidet“), und wer sich nach einer Trennung einem neuen Partner zuwendet, begeht „Ehebruch“. Für kirchliche Angestellte kann eine neue Beziehung, sofern sie bekannt wird, zur Kündigung führen.
Eva Müller erzählt die Geschichte eines Paares, dem genau dies passiert: Er, in der kirchlichen Jugendarbeit tätig, und sie, geschieden und „ungläubig“, verlieben sich. Da sie merken, dass das häufig betriebene Versteckspiel nicht ewig durchzuhalten ist, begeben sie sich auf den einzigen Weg, der ein im Sinne der Kirche „legales“ Zusammenleben ermöglicht: Die Frau strengt vor einem kirchlichen Gericht ein „Ehenichtigkeitsverfahren“ an. Nur wenn in diesem Zuge die kirchlichen Richter zu der Auffassung gelangen, dass die Ehe nicht gültig geschlossen worden ist, hat das Paar eine Zukunft...
Das Buch ist weitgehend im Reportagenstil geschrieben, lässt die Betroffenen und andere Beteiligte ausführlich zu Wort kommen. Dadurch gelingt Eva Müller eine atmosphärisch dichte Darstellung, die die ungeheure Belastung für das Paar spürbar werden lässt. Hierin liegt die Stärke des Buches, während sich in den analytischen Passagen ab und an Fehler finden (Stichwort „Selbstbestimmungsrecht“). Wer Einblicke in ein perfides System permanenter Menschenrechtsverletzungen ge- winnen will, sollte zu Eva Müllers Buch greifen.