Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 1/12 | Geschrieben von Nicole Thies

Rezension von Heinz-Werner Kubitza: Verführte Jugend.

Eine Kritik am Jugendkatechismus Youcat

Heinz-Werner Kubitza: Verführte Jugend. Eine Kritik am Jugendkatechismus Youcat. Vernünftige Antworten auf katholische Fragen. Marburg: Tectum Verlag 2011, 206 Seiten, kartoniert, Euro 12,95, ISBN 978-3-8288-2800-1

„Vor zwei Wochen hat der Ratzinger die Vorhölle abgeschafft. [...] soll ich’s noch mal sagen: hat die Vorhölle abgeschafft. In der Psychiatrie sitzen Leute für weniger.“ So parodierte 2007 der Kabarettist Hagen Rether in seinem Programm Liebe zwei.

Gegen diese „fragwürdige Dogmatik mit abstrusen Lehren“ (S. 9), deren „geistige und geistliche Verführung“ (S. 9) sowie gegen unseriöse Täuschung und den proklamierten Machtanspruch der katholischen Kirche liefert Heinz-Werner Kubitza eine prompte Antwort auf den im März 2011 erschienen Jugendkatechismus Youcat. In dem Schönborn’schen Jugendkatechismus finden sich 527 Fragen zur katholischen Lehre – mit 165 „vernünftigen Antworten“ reagiert Kubitza auf die Fragen des Youcat und möchte im Sinne einer aufgeklärten Gegenschrift zum kritischen Denken anregen. Die Gliederung orientiert sich zwar am Youcat, löst sich aber von der Vorlage, weil der Youcat eben doch mehr Antworten vorgaukelt oder gar offen lässt, als er Fragen stellt. Der promovierte Theologe Kubitza räumt mit den katholischen Glaubenssätzen und Doktrinen auf: angefangen von der Wesensgleichheit der Göttergestalten (Trinität) über die Eucharistie oder auch Fleischwerdung bis hin zur Heilligen- und Marienverehrung sowie
der nachträglich konstruierten Kirchen-
und Papstgeschichte. Erklärende Ein
schübe benennen klar, dass Geschichts­schreibung und Geschichtsklitterung nahe Verwandte sind. Mit redlichem Wissen, das von Kirchenhistoriker_innen, Religionswissenschaftler_innen und Theolog_innen wissenschaftlich längst anerkannt ist und dennoch von der Kirchenlehre ignoriert wird, unterfüttert der Autor seine Argumente. Beispielsweise widmet sich ein ausführlicher Teil kritisch der historischen Jesusgestalt, wie sie Kubitza unlängst in seinem Buch Der Jesuswahn hinterfragte. Das Buch greift mythische Vorstellungen von der göttlichen Schöpfung, von Himmel und Hölle, von Geist- und Lichtwesen (dem sog. Heiligen Geist und den Engeln) auf und entlarvt die Fragen hierum als Scheinprobleme: „Das Mysterium ist der Burgfried der Theologie“ (S. 109). Deutlich wird, welches Ausmaß an Abstraktion und Vergeistigung, Fantasie wäre ein anderes Wort, aufgebracht werden muss. Der Autor wird dabei nicht müde aufzuzeigen: „Abstruse Weltsichten werden aus einzelnen Versen antiker Texte extrahiert, simple Denkfehler der Gläubigen mit dem Mantel des göttlichen Geheimnisses getarnt.“ (S. 61) Selbst theoretisierende Konstruktionen über das Böse, über Schuld und Sünde begegnet der Autor mit Kritik an der ahistorischen Textexegese und urteilt harsch über den blinden Textglauben und die Dogmatik, was die katholische Kirche ihren Gläubigen immer noch unterschiebt. Dies geschieht nach „eine[r] Art biblische[m] Denkmalschutz. Wenn auch die alte Bausubstanz brüchig und unbewohnbar geworden ist, die Fassade sucht man auf alle Fälle zu erhalten“ (S. 91).

Der flüssige Stil des Textes regt dazu an, vorgegebene Prämissen zu verwerfen und grundsätzlich mit gesundem Menschenverstand über philosophisch ethische Grundfragen nachzudenken. Dabei bedient sich der Autor kausal logischer Frageketten und Gedankenspiele. Besonders gelungen ist die spielerische Art und Weise, mit der der Autor dekonstruiert, wie fragwürdig und zuweilen „wahnhaft“ (S. 105) die Vorstellung einer Gottesgestalt sein kann.

Allerdings werden Jugendliche mit
solchen zweifelsfrei virtuosen Formu
lierungen wie „gedankliche Insuffizienz“
(S. 109) oder „sublimierten Männer­phantasien“ (S. 117) wohl wenig assoziieren können. Ich bezweifle auch, dass die Aufforderungsform „Jugendlichen soll(t)en...“ beim jungen Publikum Anklang findet.

Der oft bemühte Vergleich der
Kirchenhierarchie und deren Wahrheits­anspruch mit einem „Politbüro“ und der „Ideologie“ des Realsozialismus (S. 12, 15, 26, 28, 38, 52, 85, 100, 166, 169) sperren den Text, und bösartig könnte dem Autor unterstellt werden, auch er habe eine „Mission“. Mich persönlich stört die recht positive Sicht auf den Protestantismus (25f., 27, 34f., 41, 84, 97, 99, 141, 157, 172, 173) – mit Ausnahme des bibeltreuen (s. S. 60) – und ich war äußerst überrascht zu lesen: „Also wenn sie unbedingt meinen, Christ werden zu sollen, dann werden sie Protestant!“ (S. 25f.).

Fazit: Verführte Jugend ist ein aufgeregtes Buch, das viele kluge Argumente gegen ideologische Züge von Lehrmeinungen und Dogmen vorbringt. Die Ironie und der wörtliche Witz machen die Ausführungen lebendiger. Der Youcat bleibt ein Katechismus; Verführte Jugend kann das kritische Handbuch dazu werden. Zwar sind die vorgebrachten kirchen- und religionskritischen Argumente weder neu noch überraschend, Kubitza gibt im Anhang eine knappe, aber aktuelle Literaturliste an. Was Verführte Jugend auszeichnet, ist, dass der Autor dem Format ‘Handbuch’ didaktisch und kritisch wieder einen Sinn gibt: nicht Dogmen aufpeppen und wiederholen, sondern erklären und diskutieren. Deshalb ist das Buch ein direktes aufklärerisches Gegen-Lese-buch für pädagogische Einrichtungen – eben eine prägnant formulierte und multiperspektivische (Denk-)Anleitung für alle Schüler_innen und Lehrenden, die über die offizielle Lehrmeinung der katholischen Kirche nachdenken müssen oder möchten, sollen oder wollen. Die Methode des „Menschenfischens“ hat System und Geschichte! Dieses Buch zeigt, wie wichtig kritische Jugendbücher und lesbare Streitschriften wider die Neuevangelisierung und die „Wellness-Religiosität“ (S. 58) sind. Zu wünschen wäre, wenn das Buch ebenso präsent im Buchhandel wäre und gleich neben dem Youcat – als Service am Menschenverstand – läge.