Ulf Faller: Der Kruzifixstreit oder Warum Schule säkular sein muss. Hintergründe einer notwendigen Debatte. Marburg 2014. Tectum, 187 Seiten, kartoniert, Euro 17,95, ISBN 978-3-8288-3288-6
Der Lehrer und Vater zweier Kinder Ulf Faller stellt in der Einleitung des zu besprechenden Werkes den Gegensatz zwischen dem Kreuz als Symbol des Selbstverständnisses der deutschen Kultur, als Garant für verbindliche Werte und Normen, als Fundament des gesellschaftlichen Zusammenhaltes in Konflikt zur Dynamik der modernen Gesellschaft, in welcher Werte und Normen verhandelbar sein müssen – nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden religiösen wie weltanschaulichen Pluralität und Säkularisierung. Faller hält ein Plädoyer zugunsten der „Kreuz-Hinterfrager“, die sich nicht aus Egoismus, sondern aus einem „besonderen gesellschaftlichen Engagement“ heraus outen. Er wünscht, dass diejenigen, welche die Kruzifix-Gegner ausgrenzen, selbst ins gesellschaftliche Abseits geraten. Nach Faller muss es auch als Kreuz-Verteidiger möglich sein, hierzu kritische Standpunkte gelten zu lassen.
Im ersten Teil „Kulturkrieg in Klassenzimmern“ stellt der Autor wichtige Stationen des Kruzifixstreites dar, der beginnend in den 1980er Jahren zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) aus dem Jahr 1995 führte.
Im Verlaufe des Prozesses versuchte das katholische Bayern mehrfach, dem Kläger das Sorgerecht für seine drei Kinder zu entziehen und ließ ihn sogar einmal in eine geschlossene psychiatrische Klinik einweisen. Es finden sich Kommentare zum Kruzifix-Urteil, ein Beispiel zu einem Fall aus dem Jahr 2010 sowie ein Ausflug in die Lehrerrechte. Der Autor macht klar, dass sich Kruzifixe vorwiegend in katholischen Landstrichen nicht nur in den Schulen, sondern auch als Wegkreuze in der Landschaft finden. Er stellt die Situation im europäischen Ausland dar und geht auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein. Schließlich verdeutlicht er am Beispiel des Streites um den Arbeitskreis Laizismus in der SPD den emotionalen Umgang der deutschen Politik mit dem Kruzifix und folgert: „Eine Laizismusdebatte ist notwendig!“
Das zweite Kapitel dreht sich um die Symbolik des Kreuzes, welche das BVerfG im oben genannten Urteil klar definierte: „Das Kreuz ist Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur.“
Im dritten Teil „Die Prägekraft des Christentums auf dem Prüfstand“ finden sich zunächst demografische Aussagen, bezugnehmend auf die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland und den Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung; anschließend werden hinsichtlich des zunehmenden weltanschaulichen Pluralismus die Aussagen christlicher Vertreter der Position des evolutionären Humanismus gegenüber gestellt.
Der vierte Teil widmet sich den „Wurzeln Europas“. Faller stellt das Bildungswesen der griechisch-römischen Antike sowie seinen Niedergang im christlichen Mittelalter dar. Er geht ein auf die Aufklärung des 17. Jahrhunderts, auf die Notwendigkeit des demokratischen Miteinanders „die politische Orientierung des Gemeinwesens im Diskurs politisch Gleichrangiger Individuen immer wieder neu“ auszuhandeln und sich „nicht mehr nach – vermeintlich – gottgewollten Strukturen eingerichtet und von einer durch Gottes Gnade eingesetzten Obrigkeit gelenkt“ zu sehen.
Im fünften und vorletzten Teil wird das Thema „Schule und Religion“ behandelt. Faller benennt es als klares Problem, wenn eine einzige „Weltanschauung eine ganze Kultur gleichschalten möchte und zu diesem Zweck ein Bildungsmonopol anstrebt oder gar verwirklicht“. Der Autor thematisiert die „schulische Erziehung zwischen kirchlicher Obhut und humanistischem Bildungsideal“; der dritte Abschnitt befasst sich mit „Religion und Schule im Grundgesetz“.
Faller erläutert die Entstehung des Ethikunterrichtes als Zwangsersatzfach zur Abschreckung für Religionsflüchtlinge, damit diese keine Freistunde haben. Bis heute werde ein Ersatzfach zum Religionsunterricht wie beispielsweise Ethik erst ab der Religionsmündigkeit der Lernenden angeboten. Dies trifft gerade in Baden-Württemberg zu, doch in den Schulgesetzen etlicher Bundesländer findet sich das Ersatzfach bereits in der Primarstufe.
Faller stellt Inhalt und Anspruch eines Ethik- wie Religionsunterrichtes anhand der Curricula gegenüber; er argumentiert, viele Inhalte des Religionsunterrichtes seien aufgrund des Bekenntnischarakters desselben besser in einem Ethik-Unterricht aufgehoben. Er geht noch weiter und stellt fest, dass etliche Inhalte des Ethik- und Religionsunterrichtes für alle Schülerinnen und Schüler Relevanz besäßen, und: denjenigen, die nach erfolgter Religionsabmeldung anstelle von einem Ethik-Unterricht „lediglich“ eine Freistunde hätten, blieben also „wertvolle Unterrichtseinheiten versagt“.
Der letzte Teil „Das Böckenförde-Diktum und ein Plädoyer für eine säkulare Schule“ ist eine gelungene Erläuterung eben des Diktums unter Heranziehung eines Interviews der taz mit Ernst-Wolfgang Böckenförde aus dem Jahr 2009.1 Er sagt dort klar, dass nicht alleine „die Kirche und die Religion den Ethos schaffen, der den Staat zusammenhält“, sondern auch „weltanschauliche, politische oder soziale Bewegungen“ gefragt seien, den „Gemeinsinn der Bevölkerung“ zu fördern.
Das vorliegende Werk ist eine gelungene Argumentation für eine säkulare Schule, die weder von Religion noch von nichtreligiösen Weltanschauungen vereinnahmt wird – in welcher aber in der Außenperspektive über beide informiert wird. Der folgerichtige nächste Schritt wäre die Forderung nach der bekenntnisfreien Schule als öffentliche Regelschule.
Anmerkung
1 https://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=sw&dig=2009/09/23/a0090&cHash=21e4e4c527 (Zugriff am 28.06.2014).