Prisma | Veröffentlicht in MIZ 2/24 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Über Schwangerschaftsabbrüche, Gehsteig­belästigung und Abtreibungsgegner*innen

Am 16. September 2024 startete die 12-wöchige bundesweite Kampagne Abtreibung legalisieren Jetzt! – Wir sind Viele. Wir sind mehr. Wir sind die 75%. Ziel der Kampagne ist es, dass der § 218 zur Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen nach 150 Jahren endlich ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. In diesem ist festgelegt, inwiefern Schwangere sowie diejenigen, die diese bei einem Abbruch unterstützen, bestraft werden können. Die wöchentlichen bundesweit koordinierten Aktionen sollen Druck auf politische Entscheidungsträger*innen ausüben, um den Paragrafen noch in dieser Legislaturperiode endlich abzuschaffen.1

Die Kampagne

Abtreibungen sind in Deutschland strafrechtlich verboten. Allerdings bleibt bis zur 12. Schwangerschaftswoche eine Strafe aus, wenn die Betroffenen zuvor eine Beratung in Anspruch nehmen und eine Wartezeit zwischen Beratung und Eingriff einhalten. Das entmündigt Schwangere. Hinzu kommt ein weiteres Problem: In vielen Regionen mangelt es an Ärzt*innen und Kliniken, die Abtreibungen durchführen, und die Krankenkassen übernehmen in der Regel die Kosten nicht.

Bei Regierungsantritt hatte die Ampel im Koalitionsvertrag eine Prüfung zugesagt, wie Abbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden könnten. Der Abschlussbericht der eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin liegt längst vor und ist eindeutig: Abtreibungen müssen endlich legalisiert werden.2 Eine repräsentative Umfrage des Bun­desfamilienministeriums (BMFSFJ) 
hat zudem gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung (75%) der Meinung ist, dass die Vorgaben zu Schwanger­schaftsabbrüchen nicht mehr im Straf­gesetzbuch geregelt sein sollten.

Gerade mit Blick auf die kommende Bundestagswahl und die dann voraussichtlich noch konservativere Re­gierung erscheint es umso wichtiger, die Streichung noch in dieser Legis­laturperiode umzusetzen. Bemer­kens­wert ist auch, dass laut TAZ „die Wählerinnen und Wähler aller im Bundestag vertretenen Parteien die Rechts­widrigkeit von Abbrüchen deut­lich ablehnen. Selbst bei der Union, die eine Legalisierung von Ab­treibungen ablehnt, sind es 77,5 Prozent, bei der AfD 67,4 Prozent.“3 Doch anstatt die Empfehlungen der Expert*in­nen­kom­mission und den Wunsch der eindeutigen Mehrheit der Bevölkerung umzusetzen, weicht die Ampel-Regierung bisher aus, liefert leere Versprechungen und widersprüchliche Aussagen.

Unsere Forderungen

Wir – die Aktivist*innen der Kampagne – sind der Meinung, dass das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung ein Menschenrecht ist. Deshalb fordern wir die ersatzlose Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch. Schwangerschaftsabbrüche sind keine Straftaten. Ein weiteres Ziel ist, dass die Beratungspflicht durch ein Recht auf Beratung ersetzt wird. Dies wird ebenfalls unterstützt durch den Bundesverband ProFamilia, eine der Hauptberatungsstellen, die Pflicht­beratungen durchführen dürfen.4

Außerdem gibt es die Forderung nach einer vollständigen Kostenübernahme bei Abbrüchen für alle, unabhängig vom individuellen Versicherungsstatus. Abtreibungen sollten eine zentrale öffentliche Gesundheitsleistung sein. Das bedeutet, dass Schwangere in ganz Deutschland sicher, kostenlos und uneingeschränkt Zugang zu Abtreibungen haben müssen.

Zum historischen 
Hintergrund des §218

Seit Gründung des Kaiserreichs 1871 werden durch den § 218 Schwanger­schaftsabbrüche kriminalisiert und seit über einem Jahrhundert setzen sich Frauen dagegen zur Wehr. Damals wie heute, in Deutschland wie global, trifft das oft als „Klassenparagraf“ bezeichnete Abtreibungsverbot häufiger Menschen aus ärmeren Bevölkerungs­schichten, da diese weniger Zugang sowohl zu Verhütungsmitteln als auch zu Abtreibungen haben und hatten. Durch die nationalsozialistische 
Rassenhygiene erreichten die Rege­lungen um Schwanger­schafts­abbrü­che eine ganz neue Ebene: Auf der einen Seite stand die Argumentation, Kinderreichtum sei patriotische Pflicht, demgegenüber das „Gesetz zur Ver­hütung erbkranken Nachwuchses“ und damit einhergehend Zwangssteri­lisationen und erzwungene Abtreibun­gen.

Auch Ende der 1960er Jahre war die Situation immer noch mehr als prekär: die Möglichkeit, selbstbestimmt über einen Abbruch entscheiden zu können, gab es nicht. Als Reaktion darauf outeten sich hunderte Frauen über einen Artikel im Magazin Stern, selbst eine Abtreibung gehabt zu haben, und lösten damit einen Skandal aus. Die darauf folgende Welle der Solidarisierung führte zu einer Neuregelung, welche es in den ersten drei Monaten erlaubte, unter bestimmten medizinischen, sozialen oder ethischen Gründen einen Abbruch durchführen zu lassen. Noch heute existiert das Gesetz in dieser Form.

Wie notwendig ein Update (bzw. eine Streichung) ist, zeigt sich allein unter dem Aspekt, dass diese gesetzliche Regelung zu einer Zeit verabschiedet wurde, als es ebenfalls noch die Pflicht einer Ehefrau war, ihrem Mann jederzeit sexuell zur Verfügung zu stehen.

Abtreibungsgegner*innen

Weltweit fordern Rechte und religiöse Fundamentalist*innen nach wie vor die Einschränkung der Selbstbestim­mungrechte von Schwangeren. Gerade in religiösen Kontexten tummeln sich Menschen, die der Meinung sind über unsere Körper und damit über unser Leben entscheiden zu dürfen. So treffen sich beispielsweise Gläubige zu sogenannten Vigilien, bei denen sie wegen des vermeintlichen Mordes am Fötus beten. Diese belästigen ebenfalls Schwangere, die sich über einen Abbruch informieren oder diesen durchführen lassen wollen.

Auch bei uns in Aschaffenburg sind die selbsterklärten Lebensschüt­zer*innen aktiv. Bis 2018 wurden deren Vigilien für das Leben noch öffentlich angekündigt.5 Unseren Recherchen nach finden diese Mini-Prozessionen in Aschaffenburg seitdem nach wie vor monatlich statt. Eine Handvoll Verwirrt-vor-sich-hin-Betende ziehen nach dem Gottesdienst in der Kapuzinerkirche St. Elisabeth durch die Stadt und predigen vor Beratungsstellen und Praxen, die Abtreibungen vornehmen. Es ist eine Sache, wofür Menschen in der Kirche beten, aber der Gang vor die Abtreibungspraxen ist ein Schritt zu weit.
Als Reaktion auf die Einschüchte­rungsversuche hat der Bundesrat im September 2024 endlich ein Ge­setz gebilligt, das diese „Gehsteig­belästigungen“ verbietet. Dadurch sollen Schwangere durch sogenannte Schutzzonen vor Übergriffen geschützt werden. Protestierende, die weniger als 100 Meter Abstand zu den Einrichtungen halten, sollen durch Bußgelder sanktioniert werden.6

Das ist eine positive Veränderung! Doch wie bereits beschrieben, ist der Kampf für Selbstbestimmung kein neuer. Immer wieder treffen wir bei Protestaktionen auf Aktivist*innen, die uns davon berichten, dass sie schon vor Jahrzehnten im Protest gegen den Abtreibungsparagrafen aktiv waren. Und dass sich seit Jahrzehnten vor allem Männer querstellen, diesen zu streichen. Hoffen wir, dass die Enkel*innen unserer Enkel*innen darüber nur noch schmunzeln müssen. Aber wer weiß...

Anmerkungen

1 Mehr Infos zur Kampagne unter: https://abtreibung-legalisieren.de/
2 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/KomrSF/Kurzbericht_Kom-rSF.pdf
3 https://taz.de/Umfrage-zu-Abtreibungen-in-Deutschland/!6004352/
4 https://www.profamilia.de/fachinfos/nach-themen/zugang-zum-schwangerschaftsabbruch
5 http://www.kostbare-kinder.de/101-0-Aschaffenburg.html
6 https://www.bundesrat.de/DE/plenum/bundesrat-kompakt/24/1047/04.html?nn=4732016#top-4

Informationen

Macht und Männlichkeit

Wir als feministische Aktivist*innen stellen uns die Frage: Wie kann es sein, dass wir als FLINTA immer wieder/noch so hart dafür kämpfen müssen, über uns selbst entscheiden zu können? Ob Trump in den USA, Platforma Obywatelska in Polen oder AfD: Rechte und/oder religiös fundamentalistische Politiker eint das Bild, dass Männer über Frauenkörper herrschen sollen. Diese Machtfrage lässt sich leider weder auf das Thema Schwangerschaftsabbrüche reduzieren noch darauf, dass nur Politiker so denken. Gewalt gegen FLINTA hat viele unterschiedliche Ebenen, findet täglich auch in subtileren unsichtbareren Formen statt und „verschont“ keine von uns. Im Schlusswort ihres 2024 veröffentlichten Buches Die stille Gewalt schreibt die Anwältin Asha Hedayati über Unterdrückung und Männlichkeit

Folgendes:

„Alle faschistischen und totalitären Ideo­logien eint das Motiv der Frauen­unter­drückung. Wenn wir für eine freie und gerechte Welt kämpfen wollen — und mit ‘wir’ meine ich alle Geschlechter —, dann müssen wir gegen die Unterdrückung der Frauen kämpfen. (...) Kämpfen wir dafür, dass für alle Menschen Bedingungen geschaffen werden, unter denen sie überhaupt die Freiheit zur Wahl haben können. Eine Gesellschaft muss ihre Freiheit daran bemessen, wie frei die verwundbarsten Personen in ihr sind. Und Männer müssen damit beginnen, männliche Macht und Gewalt in öffentlichen und privaten Diskursen als solche zu benennen und eine Sprache für sie zu finden, sich immer wieder mit falsch verstandener Männlichkeit und patriarchalen Männerbildern auseinanderzusetzen, sie anzugreifen und radikal neu zu denken. Mit dem Ziel, eine Männlichkeit zu leben, die kein Synonym für Herrschaft ist, sondern Gerechtigkeit mehr liebt als Macht und Dominanz.“1

1 Asha Hedayati: Die stille Gewalt. Wie der Staat Frauen alleinlässt. Reinbek 2023.