Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 2/25 | Geschrieben von Bruno Osuch und Katrin Raczynski

Wie könnte eine moderne Religions- bzw. Weltanschauungspolitik aussehen?

Mit welchen Themen befasst sie sich?

Eine moderne Religions- und Welt­anschauungspolitik muss den weltanschaulichen Pluralismus unserer Gesellschaft als Realität anerkennen – und politisch gestalten. Sie ist Grundrechtspolitik und Demokratie­politik zugleich: Es geht um die konsequente Umsetzung von Artikel 4 Grundgesetz, der nicht nur die Religionsfreiheit, sondern ausdrücklich auch die Freiheit und Gleichbehandlung nichtreligiöser Weltanschauungen garantiert.

Der Status quo ist davon jedoch weit entfernt. In Deutschland haben nichtreligiöse Menschen strukturell schlechtere Bedingungen, wenn sie etwa weltanschauliche Bildungs- oder Beratungsangebote etablieren oder institutionelle Förderung erfahren wollen. Diese Benachteiligungen, dokumentiert u.a. im Bericht Gläserne Wände (Humanistischer Verband Deutschlands, 2015) und auch im Free­dom of Thought Report von Humanists International, sind strukturell: Rechte sind nominell vorhanden, aber faktisch oft nicht zugänglich – vergleichbar einer „gläsernen Wand“. Deutschland wird im Freedom of Thought Report (Humanists International, 2024) als Land mit struktureller Diskriminierung eingestuft – in einer Kategorie, in der sonst vor allem Staaten aus Afrika oder Lateinamerika genannt werden. Das mag für ein freies und demokratisches Land kontraintuitiv sein, zeigt aber, wie sehr hierzulande die Gleichbehandlung von Weltanschauungsgemeinschaften verbessert werden muss.

1. Rechtliche und institutionelle Gleich-
­stellung Eine der wichtigsten Aufgaben besteht darin, das kirchenförmig gewachsene Religions­verfassungsrecht in Richtung echter Parität weiterzuentwickeln. Das bedeutet: die konsequente Anwendung weltanschaulicher Gleichbehandlung in Bildung, Medien, öffentlicher Daseinsvorsorge, beim Arbeitsrecht, in der Bundeswehr oder in Ethikräten. Dazu gehört auch, dass die weltanschauliche Perspektive systematisch in politischen Gremien berücksichtigt wird – z.B. durch Sprecher*innen für Religions- und Weltanschauungspolitik in Parlamenten (wie inzwischen in der SPD-Bundestagsfraktion eingeführt).

2. Weltanschauungspolitik als positive Gestaltungsaufgabe Humanistische Weltanschauung ist kein Abfallprodukt verlorener Religion, sondern eine eigenständige ethische Orientierung. Weltanschauungspolitik darf nicht nur defensiv diskriminierungsfrei verwalten – sie muss aktiv Räume schaffen für gleichberechtigte Teilhabe. Das umfasst die institutionelle Förderung praktischer humanistischer Angebote in Bildung (z.B. Lebenskundeunterricht, Hochschulen), Beratung (z.B. Schwan­gerschaft, Lebensende) und Kultur (z. B. weltliche Feiern, Gedenkformen). Eine moderne Politik muss diese Pluralität ermöglichen und sichtbar machen – auf Augenhöhe mit religiösen Akteuren.

3. Öffnung über die Religionsfrage hinaus Humanistische Positionierung heißt nicht nur: „Nicht Kirche“. Die Zukunft liegt nicht in der bloßen Trennung oder Ablehnung, sondern in einer positiven Positionierung: Humanismus als demokratische, soziale und kulturelle Kraft – als ethisches Angebot, das sich in konkrete Praxis übersetzt. Der Humanistische Verband Deutschlands versteht sich nicht als „Anti-Religion“, sondern als konstruktiver Akteur einer vielfältigen Gesellschaft. Daher steht für uns die Kooperation mit allen Bündnispartner*innen im Zentrum, die sich für Menschenrechte, Demokratie und Nachhaltigkeit einsetzen – unabhängig von deren weltanschaulicher Orientierung.

4. Politische Repräsentation und Aner­kennung Weltanschauungs­politik muss sich auch mit der Repräsentationslücke befassen: Während große Religions­gemeinschaften in politischen, ethischen und gesellschaftlichen Gremien präsent sind, fehlen Perspektiven eines weltanschaulichen Humanismus oft völlig. Eine moderne Politik muss hier für strukturelle Sichtbarkeit sorgen, etwa durch institutionelle Beteiligung an Ethik- oder Rundfunkräten.

5. Internationale Dimension Auch global ist Weltanschauungsfreiheit gefährdet. Humanistische Organisationen setzen sich weltweit gegen die Diskriminierung von Atheist*innen, Humanist*innen und Säkularen ein – auch in Part­nerschaft mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Der Schutz der Gedanken-, Gewissens- und Welt­anschauungsfreiheit darf nicht länger religionszentriert gedacht werden.

Eine positive Vision: Weltanschauungspolitik 
als Demokratiepolitik

Statt anachronistische Privilegien ein­zelner Kirchen zu verteidigen oder Religion und Weltanschauung gänzlich aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, stehen wir für eine Demokratie, die weltanschaulich offen ist und gleichberechtigte Teilhabe aktiv gestaltet. Ein solcher Staat ist nicht weltanschauungsfrei, sondern weltanschauungsfreundlich – und zwar für alle. Humanismus, verstanden als ethisch fundierte und praktisch wirksame Le­bensauffassung, hat hier seinen selbst­verständlichen Platz.

Blickwinkel und Verbesserungspotenziale einer modernen Weltanschauungspolitik

Die hier skizzierte Politik verfolgt einen menschenrechtlich orientierten, pluralitätsfreundlichen Blickwinkel. Sie begreift Weltanschauungsfreiheit nicht als Sonderfall, sondern als gleichrangiges Grundrecht neben der Religionsfreiheit – und macht sichtbar, dass humanistische Perspektiven zum demokratischen Gemeinwesen dazugehören.

Indem sie das Denken in kirchlichen Organisationsformen überwindet, erkennt sie auch neue Formen individueller Weltanschauung an – jenseits formalisierter Mitgliedschaft. Sie nimmt ernst, dass Menschenrechte, Selbstbestimmung und weltanschauliche Vielfalt die normativen Fun­da­mente einer offenen Gesellschaft bilden. Der Fokus verschiebt sich damit: von der bloßen Toleranz hin zur aktiven Ermöglichung weltanschaulicher Teilhabe.
Die damit verbundenen Verbesse­rungen sind konkret: mehr institutionelle Sichtbarkeit für Humanist*innen, faire Zugänge zu öffentlicher Förderung, Gleichstellung in Bildung und Beratung, Präsenz in staatlichen Gremien und ethischen Debatten, bessere rechtliche und finanzielle Absicherung humanistischer Angebote – kurzum: eine demokratisch legitimierte, strukturelle Gleichstellung aller Weltanschauungen. Das stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt, weil sich alle gleichermaßen gesehen und vertreten fühlen können.