Wir leben in durchaus spannenden Zeiten, wie man gerade dem neuen Heft entnehmen kann. Während sich im Mittelalter Kaiser und Papst erbitterte Kämpfe um die Vorherrschaft im Christentum lieferten, wird für viele Menschen überraschenderweise nunmehr jegliche Trennung von den herrschenden Parteien nicht nur ausgesetzt, sondern geradezu ein Zusammenschluss gesucht. Vermutlich sehen Regierung und Kirchen bzw. ihre Repräsentanten, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen immer mehr verloren gehen und sie so von einem stärkeren Zusammenhalt profitieren. Dazu versucht man sogar, den Islam einzubinden.
Um so erfreulicher ist es, wenn sich Heinz-Werner Kubitza einmal in theologischen Fragen in MIZ 4/24 äußert. Aller Glaube ist Aberglaube. Das sagte nicht nur Karlheinz Deschner, sondern auch Kubitza selbst in seinem sehr lesenswerten Buch Der Jesuswahn. In der „Bewertung“ des Christentums bin ich allerdings anderer Meinung. Sowohl ein Jesus als auch ein Paulus sind für mich fiktive Figuren mit gänzlich unterschiedlichen Funktionen. Und das macht die Geschichte spannend, dazu unten.
Vollständig unglaubwürdig ist deshalb der Einstieg bei Kubitza. Nie und nimmer hätte ein „Christenverfolger“ Saulus es wagen dürfen, im römischen Damaskus tatsächlich Christen „zu verfolgen“. Absurd. Auch von einer Erleuchtung auf dem Weg dorthin, weiß er selbst in seinen Briefen nichts. Im Gegenteil. Er will auch erst einmal für drei Jahre „nach Arabien“ gegangen sein. Wie er allerdings seine Bekehrung erlebt haben will, darüber schweigt er sich aus.
Und dabei hat Kubitza recht: Paulus ist nicht der erste und beste überlieferte Zeuge für das Leben eines Jesus, sondern genau das Gegenteil. Für Jesus waren „die Werke“ ausschlaggebend für das Seelenheil – für Paulus „allein der Glaube“.
Doch das ist bei weitem nicht das Einzige, was sie fundamental trennt. Dass ein Paulus mit seiner „überbordenden Theologie“ mit dem längsten Brief der Antike, dem sogenannten Römerbrief, seinen Antrittsbesuch in einer bereits bestehenden Christengemeinde in Rom angekündigt haben soll, ist ebenfalls absurd. Was sollen denn diese „Christen“ vor seiner Ankunft geglaubt haben?
Von einem Jesus spricht Paulus rund 30 Mal, von einem Christus dagegen über 300 Mal. Und das merkwürdigerweise, obwohl doch gerade die Anwesenheit eines „Gottessohnes“ viele Fragen bei seinem Publikum hätte auslösen müssen. Nichts davon. Während sich ein Jesus nach den Texten ausschließlich dem Judentum zuwendet, wendet sich der paulinische Christus dem ganzen Imperium zu.
Und hier liegt wie bei so vielen Deutern ein großer Irrtum vor (S. 26): Paulus machte nie einen „Jesus“ zu seiner zentralen Heilsgestalt! Er machte einen „aufgefahrenen Geist“ namens Christus zu seiner Heilsgestalt.
Ebenfalls zu den merkwürdigen Umständen ist zu zählen, dass ein Lukas, der angebliche Verfasser der Apostelgeschichte, überhaupt nicht von Briefen seines Hauptprotagonisten weiß. Er weiß allerdings nach den Texten, dass dieser Paulus in diesen kriegerischen Besatzungszeiten sogar das damals durchaus begehrte römische Bürgerrecht besessen haben soll. Von einer Hinrichtung oder einer gemeinsamen Zeit eines Paulus’ und Petrus’ in Rom weiß nur die Kirche.
Erst durch einen verdammten Marcion werden nach 140 überhaupt erst „Briefe eines Paulus“ bekannt. Vorher kannte sie offensichtlich niemand. Und erst recht nicht die Fälschungen von sechs oder sieben Briefen, die man der Einfachheit halber in Theologenkreisen eben mit „Schülern“ vereinnahmt. Und wie darf man sich dann eine „Sammlung von Briefen“ vorstellen, die im ganzen Imperium herumgeschickt worden sein sollen? Kurz: Allesamt Produkte zunächst einer um Anerkennung kämpfenden Gnosis mit anschließender und „bereinigender“ und konstruierender Romkirche. Aus diesem Grund wird auch ersichtlich, dass niemand versteht, gegen welche seiner Verfolger er sich angeblich wehrt und wie schon so kurz nach einer Hinrichtung eines bekannten Propheten überhaupt derart konträre und widersprüchliche Deutungen über seine Theologie, Auftrag und Geschichte aufgekommen sein könnten.
Wer sich wirklich für eine auch nur nachvollziehbare Wahrscheinlichkeit um das Christentum interessiert, sollte den doch deutlich kämpferischen Jesuswahn lesen und wird danach bei der Lektüre meines Buches Jesus, Römer, Christentum noch einige Überraschung erleben – auch hinsichtlich dessen, was an dieser „makabersten Geschichte des Abendlandes“ wirklich dran ist.