Offener Brief
Anlässlich der Debatte um das Berliner Neutralitätsgesetz haben der Landesverband Berlin/Brandenburg des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und die Evolutionären Humanisten Berlin/Brandenburg (ehbb) einen offenen Brief an die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus versendet. Darin zeigen sie sich bestürzt über die Anträge, die das Gesetz abschaffen wollen, und legen ihre Gegenargumente dar.
So sei es eine „grobe Verfälschung“, wenn behauptet werde, das Neutralitätsgesetz enthalte ein pauschales Kopftuchverbot. „Denn außerhalb des Dienstes kann jeder tragen, was er möchte, ob Kruzifix, Kippa, Hijab oder ein T-Shirt mit der Aufschrift ‘Ich bin Atheist und das ist gut so’.“ Zudem sei es nicht das Neutralitätsgesetz, das die Frauen benachteilige, „sondern die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern im Islam. Eine religiöse Kleiderordnung, die Frauen vorschreibt, sich zu verhüllen, weil sie als Verführerinnen für das Verhalten von Männern verantwortlich seien, ist zutiefst frauenverachtend.“
Im Brief wird auf die geänderte Rechtslage verwiesen: Im Jahr 2003, „nach dem ersten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, [reichte] noch eine abstrakte Gefahr für den Schulfrieden [aus], um das Tragen religiös konnotierter Kleidung im Schulgesetz von Bundesländern verbieten zu können“, seit 2015 müsse es „eine konkrete Gefahr“ sein. Die Folge: In den letzten 10 Jahren habe die Zahl innerreligiöser Konflikte an Schulen zugenommen: „Muslimische Schüler bedrängen ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, sich islamisch zu verhalten, im Ramadan zu fasten, Hijab zu tragen etc. Das sind zweifellos Störungen des Schulfriedens. In einem solchen Konflikt kann sich eine Lehrerin mit Hijab, die durch ihre Klagen vor Gericht gezeigt hat, dass sie vor allem im Sinne ihrer religiösen Überzeugung handeln will, nicht glaubhaft auf die Seite derer stellen, die ihre tatsächliche oder vermeintliche Religiosität nicht oder nur moderat ausleben wollen.“ Auch für die Rechtsprechung und die Polizei gelte, dass ihre Vertreter nur dann glaubhaft als unvoreingenommen gesehen werden können, wenn sie im Dienst auf religiöse Kleidung und Symbole verzichten.
Der offene Brief endet mit der Aufforderung, „sich für den vollständigen Erhalt des Neutralitätsgesetzes stark zu machen“.
Geantwortet hat bis Redaktionsschluss lediglich die Linkspartei (die neben den Grünen die Abschaffung des Gesetzes beantragt hat). Das Schreiben der Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Elif Eralp zeigt deutlich, dass die Linke in Berlin auf dem rechten Auge blind ist, sobald es um die islamische Rechte geht. Dass es an Berliner Schulen Konflikte „im Zusammenhang mit dem Kopftuch oder einem anderen religiösen Kleidungsstück“ gebe, wird ebenso in Abrede gestellt wie die Annahme, dass der Hijab neben der religiösen auch eine politische Bedeutung habe. Wenn Eralp schreibt, dass ein Verschleierungsverbot im öffentlichen Dienst „eventuell Männer, für die entsprechenden religiöse Klei
dungsregelungen nicht gelten“, begünstige, erkennt sie zwar einen wichtigen Teilaspekt des Problems, versteht aber offenbar nicht, dass das Verschleierungsgebot des orthodoxen Islams das Problem der Ungleichbehandlung von Mann und Frau hier erst herstellt.
Brosius-Gersdorf-Debatte
Mehrere säkulare Verbände haben sich in der Auseinandersetzung um die Kandidatin für einen Sitz im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts, Frauke Brosius-Gersdorf (die ihre Kandidatur mittlerweile zurückgezogen hat), geäußert. Die Humanistische Union (HU) forderte die Unionsabgeordneten dazu auf, „sich nicht vor den Karren der gezielten, offenbar von extrem rechten Medien und Interessenverbänden initiierten Schmutzkampagne“ spannen zu lassen. Die Vorwürfe gegen die Juristin basierten teilweise auf Lügen (z.B. die Behauptung, sie befürworte die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur Geburt), teilweise werde eine Skandalisierung von Positionen betrieben, anstatt diese sachlich kontrovers zu diskutieren. Die HU hält in diesem Zusammenhang „die Verleumdung von Brosius-Gersdorf als ‘ultralinks’, ‘linksradikal’ oder ‘linksextrem’ und die Unterstellung, sie würde sich in ihren juristischen Entscheidungen von politischen Einstellungen leiten lassen, die im Gegensatz zum demokratischen Spektrum stehen, für nicht hinnehmbar“.
Das Vorstandsmitglied im Humanistischen Verband Deutschland (HVD) Katrin Raczynski äußerte in einem Kommentar in diesseits die Einschätzung, dass die „liberalen Grundlagen unseres demokratischen Zusammenlebens“ manipulationsanfällig geworden seien. Sie verweist darauf, dass die Wahl einer Richterin am Bundesverfassungsgericht selbstverständlich ein politischer Akt sei und insofern auch verständlich sei, dass dieser Prozess von vielen auch als „weltanschauliche Positionsbestimmung“ gesehen werde. Die Gefahr sieht Raczynski darin, dass „die tradierten und einseitigen Verflechtungen zwischen Kirche, Medien und Politik“ in diesem Fall genutzt wurden, „um liberale Stimmen zu diskreditieren“. Und sie stellt die Frage, wer morgen den Rechtsstaat schützt, „wenn selbst die politische Mitte in Frage gestellt wird, weil sie nicht mehr in ein zunehmend illiberales Raster passt“.
René Hartmann, der Zweite Vorsitzende des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), konzentriert sich in seiner Kritik auf „das Bestreben religiöser Kreise, insbesondere großer Teile der katholischen Kirche, die Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Sinne zu beeinflussen“. Die Äußerungen von katholischen Funktionsträger lassen für ihn keinen anderen Schluss zu, als dass es der Kirche darum gehe, „Auffassungen, die von der kirchlichen Morallehre abweichen, zu tabuisieren und so eine Auslegung des Grundgesetzes entsprechend katholischer Dogmen festzuschreiben“. Demokratische Mehrheiten spielten bei deren Überlegungen keine Rolle. Religionsgemeinschaften dürfe jedoch nicht erlaubt werden, ihre Auslegung von Rechtsbegriffen wie Menschenwürde für die gesamte Gesellschaft verbindlich zu machen.
Dissident Club
Mit mehreren Veranstaltungen startet die Graphic Novel Dissident Club, die Anfang August im Alibri Verlag erschienen ist, in die deutschsprachige Öffentlichkeit. Das Buch erzählt die Geschichte des pakistanischen Journalisten Taha Siddiqui, schildert seine Konflikte mit dem fundamentalistischen Islam seit frühester Jugend und wie er als Journalist mit dem Militär aneinandergerät, so dass er letztlich nach Frankreich fliehen muss. Heute betreibt er in Paris den Dissident Club, eine Bar, in der sich „Andersdenkende“ aus aller Welt treffen.
Die Graphic Novel hat Siddiqui zusammen mit Hubert Maury verfasst, der auch die Illustration übernahm. Sie gewährt tiefe Einblicke ins Alltagsleben der Menschen in Saudi-Arabien (wo Siddiqui aufwuchs und wo sich sein Vater radikalisierte) und Pakistan. Es wird deutlich, wie weit islamische Vorstellungen das Leben gerade von Heranwachsenden einschränken, wie schwer es für Abweichler ist, sich in diesem Umfeld zu behaupten (und für Abweichlerinnen gilt das in noch höherem Maße). Trotzdem lernen wir neben Siddiqui selbst weitere widerständige Charaktere kennen, wenn auch viele von ihnen letztlich an den Verhältnissen scheitern.
Zugleich erfährt das Publikum viel über die politischen Konstellationen in Pakistan, über das Verhältnis der Militärs, die de facto die Macht in Händen halten, zu den islamischen Dschihadisten, über Korruption und die Spaltung der Gesellschaft.
Anfang September wird Taha Siddiqui sein Buch in der deutschsprachigen Schweiz, unter anderem in Bern, vorstellen. Wer Interesse an einer Buchpräsentation mit Online-Live-Zuschaltung des Autors hat, kann mit dem Verlag in Kontakt treten.