Allgemeines | Veröffentlicht in MIZ 4/11 | Geschrieben von Daniela Wakonigg

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“

Die berühmte Gretchenfrage. In Goethes Faust richtet Gretchen ihre Frage an den grüblerischen Helden des Dramas. Wir drehen in dieser MIZ die Frage um und richten sie an Gretchen selbst: „Nun sagt, Frauen, wie habt ihr’s mit der Religion?“ Frauen und Religion – ein weites Feld.

Was nicht weiter verwunderlich ist, denn immerhin geht es um die Hälfte der Menschheit, die ebenso vielfältig gestrickt ist, wie die andere, die männliche Hälfte. Religionsbetrachtende Studien werden häufig nicht geschlechtsspezifisch durchgeführt. Dass dies jedoch eventuell sinnvoll sein könnte, darauf weist unter anderem die in jüngster Zeit zunehmende Beschäftigung mit Fragen geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Religiosität hin. So widmete sich zum Beispiel im November 2011 die Tagung Religion und Geschlecht der Deutschen Gesellschaft für Soziologie drei Tage lang dieser Thematik und aktuell findet im norddeutschen Münster ein ganzes Semester lang eine Ringvorlesung zum selben Thema statt.

In der säkularen Welt kümmert man sich zumeist um die Frage der Erniedrigung, Unterdrückung und  Entrechtung von Frauen durch Religionen. Wie stark diese Abqualifizierung der Frau in den Weltreligionen ausgeprägt ist, verdeutliche unsere Artikel über die Rolle der Frau in Judentum, Christentum, Islam und Buddhismus.

Viel interessanter ist jedoch eine andere Frage, die sich geradezu aufdrängt, wenn frau oder man sich die Ausführungen zur Rolle der Frau in den verschiedenen Religionen zu Gemüte führt: Warum lassen Frauen das mit sich machen? Und nicht nur das: Warum um alles in der Welt tragen sie diese religiösen Systeme sogar mit? Systeme, die ihnen nicht nur die Teilhabe an dem jeweiligen religiösen Machtgefüge verweigern, sondern sie noch dazu (im besten Fall) zu Menschen zweiter Klasse abwerten. Statt aufzubegehren, unterwerfen sie sich und geben das System, das sie erniedrigt, in der Kindererziehung voller Überzeugung an die nächste Generation weiter. So ist es nicht zuletzt das breite Fundament an religiösen Frauen, das für den Erhalt der frauenfeindlichen Religionen verantwortlich ist. Eine Hingabe, die an Masochismus grenzt.

Mit ungläubigen Augen steht frau als Ungläubige vor diesem Sachverhalt, sieht auf Kirchbänken zumeist Mitglieder ihres eigenen Geschlechts sitzen, hört diese in Esoterikläden Fachgespräche über Engel führen und fühlt sich auf säkularen Versammlungen geschlechtlich deutlich in der Minderheit. In der Tat drängt sich hier die Frage auf, ob Frauen vielleicht eine höhere Affinität zu Religion und Spiritualität haben als Männer. Warum sonst sieht man sie mit Engelchen und Globuli hantieren, während sie in atheistischen Vereinigungen nur knapp ein Zehntel der aktiven Mitglieder ausmachen?

In Ermangelung umfassender wissenschaftlicher Untersuchungen zu dieser Thematik haben wir uns entschlossen, diesen wichtigen Fragen nachzuspüren, indem wir Gespräche mit ExpertInnen aus verschiedenen Wissenschafts- und Erfahrungsbereichen führen. Ihre Antworten sind informativ, erstaunlich, erschütternd und zugleich äußerst erhellend. Allerdings werden sie nicht jedermann schmecken. Auch nicht jederfrau.

Besonders interessant für die säkulare – und größtenteils männliche – LeserInnenschaft unseres Heftes dürften hierbei die Antworten auf die Frage sein, warum atheistische Vereinigungen für Frauen vielfach unattraktiv sind. Abgesehen von gesamtgesellschaftlichen Problematiken gibt es auch ganz klare Kritik an den Normalitäten des säkularen Vereinslebens. Während Mann mit seinen säkularen Kumpeln über die Unterdrückung der Frau in den Religionen schwadroniert, darf häufig genug Mutti in der Küche Schnittchen schmieren und fürs Catering sorgen. Es ist also nicht nur gesellschaftliche Aufklärungsarbeit über die Abqualifizierung und Unterdrückung von Frauen in und durch Religionen vonnöten, sondern auch gründliches Fegen vor der eigenen säkularen Haustür.