Rechte Hetze in der taz
Julia Neumann ist Auslandskorrespondentin der taz für Westasien, zu ihren Lieblingsthemen, so ist auf ihrer Webseite zu lesen, gehören „Gender und Geschlechterrollen“. Nach eigenen Angaben verfolgt sie den „Ansatz des konstruktiven Journalismus“. In einem Artikel, den die taz am 11.8.2022 abgedruckt hat, präsentiert sie sich allerdings als Kollaborateurin der religiösen Rechten, indem sie in deren Hetze gegen säkulare Oppositionelle einstimmt.
Anlass war eine Dokumentation in der ARD über die Aktivistin Masih Alinejad, die unter anderem mit ihrer Kampagne My Stealthy Freedom den Frauen im Iran, die unverschleiert leben wollen, eine Stimme gibt. Diese Tatsache hat Julia Neumann ebensowenig gefallen wie die von Alinejad verfolgte Strategie, iranische Frauen dazu zu ermutigen, ihr „Kopftuch“ für einen Moment abzulegen und ein Foto von diesem „heimlichen“ Moment der Freiheit in den sozialen Medien zu posten (was dazu führt, dass viele andere Frauen, die den Verschleierungszwang auch ablehnen, erfahren, dass sie nicht alleine sind).
So startet Neumann in ihrem Artikel einen Angriff auf Masih Alinejad mit dem Ziel, deren Einsatz für iranische Frauen zu delegitimieren. Dabei bedient sie sich der Verleumdungsstrategien, die religiöse Rechte in islamisch dominierten Ländern seit langem gegen Emanzipationsbewegungen in Stellung bringen. Schon die Unterüberschrift ihres Beitrags gibt die Richtung vor: „Die Protestaktionen der iranischstämmigen US-Aktivistin Masih Alinejad stehen für westliche Ideologien“. Die Bezeichnung der Exil-Iranerin als „US-Aktivistin“ soll ganz offensichtlich dazu dienen, ihr die Berechtigung abzusprechen, als „westliche Auswärtige“ Einfluss auf die iranische Innenpolitik zu nehmen. Das bereitet die Hauptargumentation vor: „Alinejad bedient in ihren Äußerungen die Erzählung, dass Frauen vom Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten – und die USA als Land der Demokratie und Freiheit sie retten könne. Die Vorstellung des Kopftuchs als Gradmesser von Freiheit wurde vom Westen erst populär gemacht. Und sie ist verdammt gefährlich.“
Wer Alinejads Autobiographie Der Wind in meinem Haar gelesen hat, wird sich über solche Zuschreibungen wundern. Denn der Wunsch, ohne die „Fahne der Islamisten“ (Naïla Chikhi) leben zu können, ist in den Jahrzehnten entstanden, in denen Alinejad im Iran lebte. Und sie ist keineswegs die einzige Iranerin, die das so sieht. Bereits in Demonstrationen gleich nach der Machtübernahme der Anhänger Ayatollah Khomeinis war das „Kopftuch“ eines der zentralen Themen – und ist seitdem im Iran ein stetiges Konfliktfeld zwischen der religiösen Rechten und der unterdrückten Opposition. Die Befreiung von der „Islamischen Republik“ und dem Zwang zur Verschleierung – für die deutsche Journalistin eine „Erzählung“ des „Westens“, für unzählige Iranerinnen eine Freiheitsvision, für die sie auf die Straße gehen und ihr Leben riskieren.
Geschickt erweckt Neumann den Eindruck, Alinejad vertrete die Auffassung „dass weiße Männer Frauen of Color vor Männern of Color schützen können [Hervorhebung im Original]“ und setzt diese damit dem zentralen Vorwurf aus, mit dem konservative und reaktionäre Regime säkulare Emanzipationsbewegungen mundtot machen wollen: Wer für gesellschaftliche Veränderungen einritt, insbesondere wer den Einfluss islamische Vorschriften auf das alltägliche Leben zurückdrängen will, agiere im Interesse oder sogar Auftrag des „Westens“.
Sprachlich ist Neumanns Text ganz im Stil derer gehalten, die ständig das Wort „Diversität“ im Mund führen. Doch wie so oft, dient die betonte sprachliche Korrektheit vor allem dazu, die reaktionären Inhalte zu verbergen: Tatsächlich beruht ihre Einschätzung auf einem holzschnittartigen Weltbild, das in der Konsequenz gegen Diversität in der iranischen Gesellschaft gerichtet ist. Im Tonfall unterscheiden sich die von Neumann vorgetragenen Auffassungen von der Hetze der religiösen Rechten, in ihren politischen Folgen nicht.
Perfekt illustriert wird Neumanns Verachtung für die iranische Opposition durch den auf Alinejads Aktivitäten bezogenen Satz: „Als ob Frauen noch eine Stimme bräuchten, die statt ihnen für sie spricht.“ Angesichts der alltäglichen Repression im Iran eine unfassbar zynische Aussage.
In der taz-Community kam der Artikel nicht gut an, es gab zahlreiche kritische, teilweise entsetzte Kommentare vor allem von Leserinnen. Ein paar Tage später brachte die taz dann einen Beitrag von Gilda Sahebi, die klarstellte, dass der Freiheitskampf iranischer Frauen nicht „westlich“ ist, „sondern mutig – und ein universelles Bedürfnis“. Ende September gab die taz schließlich Masih Alinejad selbst die Möglichkeit, in einem Interview über ihre tatsächlich Motivation, sich gegen das „wichtigste Symbol der religiösen Diktatur“ einzusetzen, zu sprechen.
Secular Voices
Ab Herbst 2022 wird im Alibri Verlag eine neue Buchreihe erscheinen: Secular Voices. Sie soll denen eine Stimme geben, die weltweit für eine säkulare Ordnung der Gesellschaft eintreten. Dabei bietet sie Platz für autobiographische Schilderungen ebenso wie für politische Essays und wissenschaftliche Analysen. Indem die Reihe migrantischen Autor:innen Gehör verschafft, soll auch daran erinnert werden, dass säkulare Stimmen in vielen Ländern der Welt Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sind und in Deutschland durch das Vorherrschen identitätspolitischer Diskurse marginalisiert sind.
Die Herausgeberschaft für die Buchreihe hat Projekt 48. Forum für Aufklärung, Emanzipation und Skepsis übernommen. Der Verein hat im März dieses Jahres mit einer Tagung Gemeinsame Kämpfe im Exil: Säkularismus und Feminismus die „politische Bühne“ betreten und wird einen seiner Arbeitsschwerpunkte auf die Sichtbarmachung säkularer Migrant:innen legen.
Die Reihe startet mit einem Text des mauretanischen Dissidenten Yahya Ekhou. Er beschreibt die streng hierarchische mauretanische Gesellschaft, erzählt von seiner Emanzipation von den traditionellen Vorstellungen seiner Umgebung, von ersten Bemühungen, politische Veränderungen herbeizuführen – was dazu führte, dass Islamisten gegen ihn demonstrierten. Nach seiner Flucht lebt er nun als staatenloser Menschenrechtsaktivist in Deutschland. Er schildert sein Leben in Flüchtlingsunterkünften und die auch dort bestehende Bedrohung durch religiöse Zeitgenossen, die eine Abweichung von der gottgegebenen Ordung und einen Abfall vom Glauben als Verbrechen ansehen; aber auch seine Hoffnungen: auf andere Zustände, eine säkulare Welt und ein Leben in Freiheit.
bruno. 2022 erschienen
Seit einigen Jahren legt die Giordano- Bruno-Stiftung (gbs) ihren Tätigkeitsbericht in einem „Jahresmagazin“ vor, das den Vergleich mit einer Zeitschrift nicht zu scheuen braucht. Zentrale Projekte der gbs waren 2021 die Gründung des Bertha-von-Suttner-Studienwerkes (zusammen mit dem Humanistischen Verband Deutschland) sowie die Beteiligung an der In- stallierung des Zentralrats der Konfessionsfreien. Aufmacher sind jedoch die Lebenserinnerungen von Stiftungsgründer Herbert Steffen, worin er über seinen Weg „vom Paulus zum Saulus“ berichtet.
Politische Analyse bietet Michael Schmidt-Salomons Beitrag „Die autoritäre Bedrohung“, der sich mit dem nationalistisch-religiösen politischen Spektrum auseinandersetzt und in diesem Zusammenhang auch die identitäre Linke kritisiert.
bruno. ist kostenlos und kann bei der Giordano-Bruno-Stiftung bezogen werden.
Freidenker-Kalender 2023
Auch für das kommende Jahr gibt es einen Freidenker-Kalender. Diesmal haben die Freidenkerinnen & Freidenker Ulm/Neu-Ulm einen Satz von Georg Büchner als Motto gewählt: „Friede den Hütten – Krieg den Palästen“ hatte der Dichter 1834 im Hessischen Landboten geschrieben. Die Monatsblätter bieten wie immer ein Kunstwerk oder eine historische Abbildung und einige erklärende Zeilen. Vorgestellt werden unter anderem Pablo Picasso oder Victor Jara, dessen Ermordung sich am 16. September zum 50. Mal jährt, es wird aber auch an historische Ereignsse wie die nationalsozialistische Bücherverbrennung erinnert.
Freidenker-Kalender 2023. Freidenker & Freidenkerinnen Ulm/Neu-Ulm, 2022. 12 Blatt, A 4, vierfarbig, Euro 8,50
Zu beziehen bei den Freidenker/innen Ulm/Neu-Ulm, info@ulmer-freidenker.de, Fon (0731) 57 176 oder über den Denkladen.