Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 2/25 | Geschrieben von Projekt 48

Moderne Religionspolitik

Im Grundgesetz wird die Bedeutung von Religion betont und als An­sprechpartner für Politik und Medien spielen Religionsgemeinschaften eine große Rolle. Im Alltag jedoch ist für die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Menschen ein weltlich begründeter Humanismus Richtschnur ihrer Entscheidungen. Eine moderne Religionspolitik müsste diesem Umstand Rechnung tragen.

Eine moderne Religions­politik muss vom Gleichheits­grundsatz ausgehen

Die Religionsgesellschaften sollten ihren Platz fortan in der Zivilgesellschaft auf Augenhöhe mit den zahlreichen anderen Akteuren finden. Alle Privilegien, sowohl rechtlicher und finanzieller Art als auch bei der Repräsentation in gesellschaftlichen Gremien, sind sukzessive abzuschaffen. Die Religions­gesellschaften agieren dann im Rahmen der für alle zivilgesellschaftlichen Kräfte geltenden Gesetze, Regeln und Mög­lichkeiten.

Konkret bedeutet das:

– die Abschaffung des diskriminie­renden Kirchlichen Arbeitsrechts durch Anwendung der einschlägigen Richtlinien der EU auf das Allgemeine Gleichbehand­lungs­gesetz
– die Streichung der historischen „Staatsleistungen“ an die Kirchen
– die Beendigung der überpropor­tionalen Vertretung der Reli­gions­gesellschaften in den Rundfunk­räten
– eine Neudefinition der Körper­schaft des öffentlichen Rechts „sui generis“, um deren Privilegien einzuschränken

Eine moderne Religionspolitik muss universalistisch aus­gerichtet sein

Gläubige wie Ungläubige sind in erster Linie Staatsbürger:innen mit gleichen Rechten und Pflichten. Aus einer (vermeintlichen) religiösen oder weltanschaulichen Identität darf weder eine Sonderstellung abgeleitet werden noch darf damit die Nichteinhaltung von Gesetzen oder allgemeingültigen Verhaltensregeln legitimiert werden. Wenn auf diese Weise religiöses Recht für alle verbindlich gemacht werden soll („Tanzverbot“ an kirchlichen Feiertagen, verordnete Rücksichtnahme auf das Ramadan-Fasten), muss dem entgegengetreten werden. Auch gesellschaftliche Standards dürfen nicht unter Verweis auf religiöses Recht unterlaufen werden.

Der Rechtsstaat hat versagt, indem er duldete, dass die Kirchen Miss­brauchsfälle jahrzehntelang in eigener Regie nach kirchlichen Rechts­vorstellungen behandelten. Wenn toleriert wird, dass Vertreter islamischer Organisationen oder Staaten bei öffentlichen Anlässen islamische Vorstellungen zum Verhältnis der Geschlechter durchsetzen (z.B. durch die Sitzordnung), verzichtet der Staat damit auf die Gleichbehandlung von Mann und Frau.

Eine moderne Religionspolitik muss die individuelle Reli­gionsfreiheit ins Zentrum ihres Handelns stellen

Durch die Möglichkeit, die Religion zu wechseln, aber auch ganz ohne religiöse Zugehörigkeit zu leben, sowie durch Zuwanderung ist in Deutschland eine sehr vielfältige weltanschaulich-religiöse Situation entstanden. Dies stellt das bisherige System der Förderung von Religionsgesellschaften infrage. Denn die großen Organisationen repräsentieren zunehmend weniger Menschen. Hinzu kommen angesichts der wachsenden Zahl an religiösen Vereinigungen Gerechtigkeitsprobleme, wenn kleineren oder nicht kirchlich verfassten Religions- und Welt­anschauungsgemeinschaften bestimmte Privilegien nicht gewährt werden.

Notwendig ist ein Paradigmen­wechsel bei der Rolle des Staates. Dazu muss das Verständnis von „positiver Religionsfreiheit“ stärker als bisher am Individuum ausgerichtet werden. Gilt derzeit noch die För­derung der Religionsgesellschaften als Ausdruck der Unterstützung „posi­tiver Religionsfreiheit“, muss in Zukunft der Schutz der einzelnen Gläubigen und Ungläubigen bei Ausübung ihres Glaubens bzw. Unglaubens im Vordergrund stehen. Dies umfasst ausdrücklich auch den Schutz vor Diskriminierung, Bedrän­gung und Verfolgung durch religiöse Gemeinschaften oder deren Vertreter. In einer identitär aufgeladenen Atmosphäre muss der Staat auf diese Weise Religions- und Welt­anschauungsfreiheit gewährleisten.
Damit der Staat diese neue Rolle einnehmen kann, müssen einige Vor­aussetzungen geschaffen werden. So erscheint es wichtig, ein Monitoring von religiöser Unduldsamkeit und religiös motivierten Übergriffen einzusetzen. Um hier Transparenz zu schaffen, müssten derartige Konflikte (z.B. in der Schule) von einer entsprechenden Meldestelle dokumentiert und bewertet werden. Als Ziel empfiehlt sich, ein Neutralitätsgesetz einzuführen, das Versuchen der großen Religionsgemeinschaften, auf öffentliche Einrichtungen Einfluss zu nehmen, einen Riegel vorschiebt.

Welche Folgerungen sich daraus für die Verbände, die sich als Inter­essen­vertretung der Konfes­sionslosen ver­stehen, ergeben, sollte von diesen in einem regelmäßig tagenden Koor­dinierungsgremium offen diskutiert werden.