Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 3/25 | Geschrieben von Helmut Lechner

Wenn der Papst über Frauen entscheidet

Zur Fusion der Flensburger Kliniken und ihren verhängnisvollen Folgen für das Recht auf Abtreibung

Das katholische Malteser Krankenhaus St. Franziskus-Hospital und das evangelische Diakonissenkrankenhaus (DIAKO) schließen sich unter dem Namen „Fördeklinikum Katharinen-Hospital“ zu­sammen: Aus wirtschaftlichen Gründen und getrieben von einem gewinnorientiert ausgerichteten Krankenhaussystem. Der Neubau am Standort Peelwatt soll 2030 bezogen werden.

Was nach Modernisierung und Effi­zienz klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als folgenschwerer Rückschritt – moralisch, sozial und rechtlich. Denn unter der harmlosen Überschrift „ökumenische Fusion“ vollzieht sich ein Schritt, der tief in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen eingreift: Im neuen Zentralklinikum sollen keine Schwangerschaftsabbrüche mehr vorgenommen werden.

Ist Abtreibung Mord?!

Bundesweit werden Krankenhäuser von säkularen oder konfessionellen, sogenannten Freien Trägern geführt. In Flensburg fusionieren derzeit zwei kirchliche Träger. „Eine ökumenische Fusion zweier christlicher Kranken­häuser für eine moderne Gesund­heitsversorgung im Norden Schleswig-Holsteins ist beispielhaft und zukunftsweisend“, lobt Geschäftsführer Thorsten Stolpe auf der Homepage das Modell des neuen Klinikums. Doch das „Zukunftsweisende“ liegt im Argen: Die katholischen Malteser haben durch­gesetzt, dass Abtreibungen dort künftig generell ausgeschlossen werden sollen. Schon jetzt werden legale Schwangerschaftsabbrüche in beiden Kliniken schrittweise eingestellt – lange bevor der Neubau überhaupt eröffnet ist.

Die Empörung in Flensburg ist groß! Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), die SPD und verschiedene feministische Gruppen warnen vor einem drohenden Versorgungsengpass für ungewollt Schwangere. Sie fordern daher von der Landesregierung, Alternativen zu schaffen und ambulante Angebote auszubauen. Es könne doch nicht sein, dass die Landesregierung den Klinik-Neubau mit Millionen Euro unterstütze, sich aber aus der Verantwortung stehle, wenn es um dieses brisante Thema gehe. Die Flensburger Gleich­stellungsbeauftragte, Pro Familia und der Flensburger Frauennotruf schlagen Alarm und haben eine Petition für ein „niedrigschwelliges, medizinisch vielfältiges und würdevolles Versorgungsangebot bei Schwan­ger­schaftsabbrüchen in Flensburg“ gestartet: „Das Wegbrechen des stationären Angebotes bedeutet für betroffene Frauen, dass sie nun zukünftig weite Strecken bewältigen müssen, wenn sie den Schwangerschaftsabbruch in einer Klinik vornehmen lassen möchten. Für Mütter mit kleinen Kindern oder für Frauen ohne Auto und Führerschein wird solch eine Strecke zum unüberwindbaren Problem.“ Die Versorgungslage in Flensburg sei bereits jetzt schlecht: „Denn auch die Anzahl der Praxen in Flensburg, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, hat sich seit 2012 von neun auf vier Praxen reduziert. Für die betroffenen Frauen ist es oft schwierig, zeitnah einen Termin zu bekommen, da die Praxen stark ausgelastet sind.“ Pro Familia kennt die prekäre Lage – sie hat allein im vergangenen Jahr 233 Frauen zu einem Schwangerschaftsabbruch beraten.

Die Evangelische Diakonie Schleswig-Holstein ist ein riesiger Sozial­konzern mit über 30.000 Beschäftig­ten. Die katholischen Malteser wirken daneben beinahe klein. Sie unterhalten in Deutschland nur zwei Krankenhäuser: in Erlangen und in Flensburg. Trotz­dem setzten sie sich ideologisch durch. Nach ihrer katholischen Lehre gilt Abtreibung als Mord; selbst nach Inzest, Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch sind Ausnahmen nicht erlaubt. Einzig wenn das Leben der Frau unmittelbar bedroht ist, dürfen ÄrztInnen durch eine Abtreibung helfen. Papst Franziskus hat diese Position mehrfach bekräftigt und Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen, als „Auftragsmörder“ bezeichnet. Dabei ist diese Haltung der katholischen Kirche keineswegs so alt und ewig, wie es gerne dargestellt wird. Erst 1869 erklärte Papst Pius IX. den Embryo ab dem Moment der Befruchtung für „beseelt“. Zuvor galt ein Abbruch in den ersten drei Monaten durchaus als hinnehmbar, weil nach der damaligen Lehre die lebendige Seele des Menschen erst nach 40, bzw. nach 80 Tagen vorhanden sei. Die Neuregelung kommt von einem Papst, der sich 1871 selbst für unfehlbar erklärte und wirkt hierzulande bis heute in die Rechts- und Gesundheitspolitik hinein.

Die Evangelische Kirche verspielt ihre Glaubwürdigkeit

Die evangelische Ethik erkennt hingegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau an. Deshalb sind für sie Schwangerschaftsabbrüche nach geltendem Recht möglich. Umso unverständlicher, dass die Evangelische Kirche in Flensburg „ohne Not“ die katholische Doktrin übernimmt. Die zuständige Bischöfin für den landeskirchlichen Bezirk Schleswig, Nora Stehen (sie ist übrigens zugleich Aufsichtsratsvorsitzende der Diakonie in Schleswig-Holstein), erklärte dazu im Flensburger Tageblatt, sie bedauere zwar die katholische Haltung, wolle aber im „ökumenischen Geist“ mit der Katholischen Kirche weiter im Gespräch bleiben. Die Evangelische Kirche hat damit ein massives Glaub­würdigkeitsproblem auch gegenüber ihren eigenen Mitgliedern.

Der Sozialethiker Professor Hart­mut Kreß von der Universität Bonn weist dagegen darauf hin, dass kirchliche Fusionsentscheidungen nicht einfach am allgemein gültigen kirchlichen Arbeitsrecht vorbeigeschleust werden dürfen. Wenn einzelne evangelische Einrichtungen die Grundsätze der eigenen Kirche aufgeben, um katholische Dogmen zu übernehmen, müsse im Einzelfall geprüft werden, ob das überhaupt rechtmäßig sei. Denn das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Grundsatzentscheidung 1993 zum § 218 StGB vorgeschrieben, dass solche einzelnen konfessionellen Ein­richtungen, wie z.B. Krankenhäuser, nicht von sich aus ethische Pflichten vorschreiben dürften. Sie müssen von der jeweiligen verfassten Kirche, also ihrer Synode, festgelegt werden.

Auch die Verfassungsrechtlerin Anna Katharina Mangold, Professorin für Europarecht an der Europauniversität in Flensburg, vertritt eine derartige Position: „Es gibt kein kollektives religiöses Weigerungsrecht.“ Das Grundgesetz schützt zwar die Gewissensfreiheit des Einzelnen, nicht aber das Dogma einer Institution. Ein Krankenhaus darf seine Ärztinnen und Ärzte nicht zwingen, sich an die moralischen Vorstellungen einer Religion zu halten, die nicht die ihrige ist. Schon gar nicht, wenn es sich – wie in Flensburg – um eine gemischt-konfessionelle Trägergesellschaft han­delt. Eine solche Klinik kann sich schlicht nicht auf eine gemeinsame Glaubenslehre berufen. Theologisch gesehen gibt es nun mal je eine katholische und eine evangelische Dogmatik – aber keine gemeinsame „ökumenische Lehre“, die Schwangerschaftsabbrüche verbietet. Bei dieser Thematik stehen sich die katholische und evangelische Position diametral gegenüber. Wenn sich in einer Fusion die restriktivere Seite durchsetzt, verliert die andere ihre religiöse und ethische Identität – und das Grundrecht auf individuelle Gewissensfreiheit wird dadurch kollektiv abgeschafft.

Gegen die Verfassung und sozial verheerend

Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 klar entschieden: Die Bundes­länder müssen eine flächendeckende Versorgung mit Einrichtungen für Schwan­gerschaftsabbrüche sicher
stel­len (BVerfGE 88, 203). Niemand soll dafür länger als einen Tag unterwegs sein müssen. Diese Regelung wurde in § 13, Absatz 2 des Schwan­gerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) über­nommen. Doch in Schleswig-Hol
stein ist dieses Konzept 32 Jahre später immer noch nicht umgesetzt. Schon heute gilt die Versorgungslage im Norden als prekär. Pro Familia berichtet, dass es im Land nur noch etwa 25 Stellen für operative Abbrüche gibt, laut Bundesärztekammer sogar nur zehn. Lange Anfahrtswege und Wartezeiten belasten die Frauen. Noch kritischer ist zum Beispiel die Lage in Nordfriesland. Trotzdem versucht Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) die Lage zu beschwichtigen und winkt ab. Im Landtag meinte sie, in Flensburg sei die Versorgung „stabil und zugänglich“, auch nach der Fusion. Der SSW – die Partei der dänischen Minderheit – bringt es auf den Punkt: „Schwangerschaftsabbrüche sind medizinische Grundversorgung. Wenn das neue Klinikum sie nicht anbietet, ist das Land in der Pflicht!“

Zwischen Dogma und Doppelmoral

Während die katholischen Malteser sich hartnäckig auf ihr angeblich „christliches Menschenbild“ berufen, ist der praktische Effekt verheerend: Frauen, die sich für eine Abtreibung entschieden haben, können ihr Recht nicht wahrnehmen. „Seit Jahren windet sich der gottlose Ritterorden mit der Formulierung – nur bei Lebensgefahr der Schwangeren – aus der Verantwor­tung“, sagt dazu das feministische Netzwerk fem.aktion Flensburg. Der Antifeminismus der katholischen Kirche blockiere die seit 1997 bestehende legale Möglichkeit, in der DIAKO Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Die Stadtverwaltung versucht sich derweil in Zweckoptimismus, doch ihre Vorschläge bleiben halbherzig. Der Preis für diese Haltung wird von den Betroffenen gezahlt. Frauen werden künftig gezwungen sein, stunden-, bzw. tagelang durch Schleswig-Holstein zu fahren, um einen Eingriff vornehmen zu lassen, der legal ist, aber moralisch stigmatisiert wird.

Die Fusion des evangelischen und katholischen Krankenhauses in Flens­burg ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt – ein Lehrstück darüber, wie ökonomische Zwänge, kirchliche Machtinteressen und politisches Lavieren zusammenwirken, um Grundrechte zu schleifen. Wenn religiöse Dogmen bestimmen dürfen, welche medizinischen Leistungen ein öffentlich finanziertes Krankenhaus anbietet, dann ist das kein Ausdruck von Glaubensfreiheit, sondern ein Angriff auf die Selbstbestimmung der Frauen und auf die Neutralität des Staates. Nicht der Papst – sondern das Grundgesetz – muss darüber entscheiden dürfen, welche medizinische Versorgung Frauen in Flensburg zusteht.

Die Petition kann hier unterzeichnet werden.

Julius Evolas Heidnischer Imperialismus erschien in Deutschland 1933. Darin propagiert der italienische Autor einen autoritären Führerstaat, in dem die Legitimation durch übernatürliche, trans­zendentale Fähigkeiten begründet wird.
(Wikipedia)