Zumal das kirchliche Arbeitsrecht mit seinen „Loyalitätspflichten“ für die Beschäftigten und der Ablehnung von Betriebsräten und Tarifverträgen auch unter Kirchenmitgliedern keine allzugroße Zustimmung erfährt. Und selbst für diejenigen, die in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft arbeiten, spielen, wie Umfragen zeigen, Vorstellungen wie die „Dienstgemeinschaft“ keine Rolle.
Im letzten Bundestag hätte es sogar eine (rechnerische) Mehrheit für eine Abschaffung der diskriminierenden Sonderregelungen gegeben (wenn wir die Aussagen der Wahlprogramme mal ernst nehmen). Doch im Frühjahr blieb es ziemlich still. Die Fraktionen von SPD und FDP hatten zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nichts zu sagen, die AfD-Abgeordneten auch nicht (sie beantragten dafür in der betreffenden Sitzungswoche, die weltweite „Christenverfolgung [zu] stoppen und [zu] sanktionieren“).
Lediglich die Fraktionen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen äußerten sich. Doch während der Beauftragte für Religion und Weltanschauungen Konstantin von Notz, die klare Forderung aufstellte, das AGG umgehend zu reformieren, erklärte die religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion Christine Buchholz in dürren Worten, dass es gut sei, „wenn die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber kirchlichen Arbeitgebern gestärkt“ würden – um die völlig unsinnige Forderung anzuschließen, die Bundesregierung müsse „tätig werden und entsprechende Änderungen des Kirchenrechtes [sic!] auf den Weg bringen“.
Dass die kleinste Oppositionspartei alleine das kirchliche Arbeitsrecht zu Fall bringen wird, ist unwahrscheinlich. Von den organisierten Konfessionslosen muss die Entwickung als Alarmsignal verstanden werden. Buchholz’ Äußerung ist wahrscheinlich nur ein „Versprecher“, aber illustriert das Problem sehr gut: In maßgeblichen Teilen der Politik, bis weit hinein ins linke Spektrum, herrscht wieder die Vorstellung, dass Religionen außerhalb der für alle geltenden Regeln stehen, dass es prinzipiell in Ordnung ist, wenn Religionsgemeinschaften Bereiche abstecken, in denen Verfassung, Bürger- und Menschenrechte nur eingeschränkt gelten. Dann ist es eben auch „logisch“ nicht eine Änderung staatlicher Gesetze zu fordern, hier: die Streichung der Ausnahmestellung der Kirchen in AGG und Betriebsverfassungsgesetz, sondern an eine Änderung des „Kirchenrechts“ zu denken (was nicht in der Kompetenz staatlicher Organe liegt).
Eigentlich ist es eine Grundlage des Rechtsstaates, dass Gesetze für alle gel- ten, und eigentlich müsste der Missbrauchsskandal zur Genüge klar gemacht haben, was herauskommen kann, wenn eine Religionsgemeinschaft der Auffassung ist, dass für sie bestimmte Vorschriften keine Bedeutung haben. Der Begriff der „Selbstbestimmung“ (den die Verfassung nicht kennt, dort ist nur von einem Selbstverwaltungsrecht in den Schranken der für alle geltenden Gesetze die Rede) hat dem Vorschub geleistet.
Hinzu kommt, dass in der Debatte um religiöse Minderheiten die Kultur- relativisten aller politischen Lager die Auflösung der Vorstellung von Gleichheit betreiben. Unter dem Vorwand, sich für deren Gleichberechtigung einzusetzen, wird Gläubigen das Recht zugebilligt, nach den Vorgaben ihrer Religion (bzw. nach ihrer oft genug reaktionären Interpretation derselben) gesellschaftliche Fragen für alle verbindlich zu beantworten. Das hart erkämpfte Recht auf Meinungsfreiheit (beispielsweise) gilt dann nicht mehr, wenn eine religiöse Gruppierung der Meinung ist, dass irgendein religiöses Symbol oder jemand aus dem göttlichen Personal nicht (oder nicht so) dargestellt werden darf. Durch die Hintertür hält so wieder Einzug, was seit der Aufklärung mühsam „ausgetrieben“ wurde: das Vorrecht der Kirchen, die Gesellschaft nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.
Die teils ausgesprochen aggressiven Verbalattacken auf politisch Aktive, die sich für das Berliner Neutralitätsgesetz aussprechen, haben die Zielsetzung, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Insofern wäre eine Debatte über die Rolle von Religion respektive religiösen Organisationen in der Gesellschaft angesagt. In meinen Augen, wären dabei drei Fragen zu diskutieren:
- Wie viel Einfluss dürfen Religionen auf die Gestaltung der Gesellschaft haben? Welches Gewicht steht ihnen im Vergleich zu anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen zu? Welche Einflusskanäle sind legitim (und welche nicht)?
- Inwieweit dürfen Religionsgemeinschaften anderen Gruppen oder Einzelpersonen vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben? Gibt es hier legitime Tabus, die nicht durch die allgemeinen Gesetze abgedeckt sind?
- Wie weit geht das Recht von Religionsgemeinschaften, von ihren eigenen Mitgliedern ein bestimmtes Verhalten zu verlangen und dies durchzusetzen?
Das Kirchliche Arbeitsrecht wäre ein gutes Beispiel, dies durchzuexerzieren. Darin könnte auch ein Ansatz liegen, von einer „Islamdebatte“ wegzukommen, in der sich AfD, konservative Islamverbände und ihre Steigbügelhalter in allen politischen Lagern die Bälle zuspielen und gemeinsam den gesellschaftlichen Rückschritt einleiten.