Allgemeines | Veröffentlicht in MIZ 2/13 | Geschrieben von Gunnar Schedel

Armutsrhetorik

Die Frage ist nicht eben neu und selbst die Kulturindustrie bedient sich der damit verbundenen Bilder. In Umberto Ecos Der Name der Rose gibt es eine Szene, in der Franziskanermönche mit einer Delegation des Papstes zusammentreffen und darüber streiten, ob Jesus ein Armer gewesen sei und was das denn für die Kirche bedeute. Franziskus von Assisi und sein Orden werden der Papstkirche gegenübergestellt, als alternative Form des Christentums, als Hoffnung für all jene, die so gerne glauben würden, aber daran verzweifeln, dass sich Rom vor allem als mächtig, prunkvoll und korrupt erweist. Wie viel davon echter innerkirchlicher Konflikt und wie viel Kommunikationsstrategie (im Sinne von „Standbein, Spielbein“) ist, auch das ist Thema der Beiträge unseres aktuellen Schwerpunktes.

Dass Kirche und Armut in einer engeren Beziehung stehen, ist nicht von der Hand zu weisen. Nur in welcher? Wäre die Kirche richtig verstanden eine „arme Kirche“? Eine Organisation, die allen Menschen ihre Botschaft beibiegen will, deren Zweigstellen den ganzen Erdball umspannen, und die trotzdem darauf verzichtet, Reichtum anzuhäufen und die daraus resultierenden Machtmittel zur Verbreitung des Evangeliums einzusetzen? Eine spirituelle Gemeinschaft, die sich vom Ballast weltlicher Herrschaft befreit und dadurch umso überzeugender auftreten kann? Eine Kirche, materiell arm, aber reich im Geiste?

Oder finden wir die Armut vor allem auf Seiten der Gläubigen? Ist die Kirche Sammelbecken der bedrängten Kreaturen, die keine Perspektive sehen, ihrer Armut in diesem Leben zu entfliehen? Lieferantin von Hoffnung für jene, die vor den scheinbar übermächtigen Verhältnissen kapituliert haben, aber sich dennoch zumindest nach einer Erzählung sehen, dass es auch in ihrem Leben noch anders kommt, im nächsten halt.
Ein Blick auf deutsche Verhältnisse lässt diese Fragen seltsam erscheinen. Jährliche Kirchensteuereinnahmen in Mil­liardenhöhe, Zuschüsse der öffentlichen Hand in einer ähnlichen Größenordnung, beachtlicher Immobilienbesitz und ein Wohlfahrtsimperium mit über einer Mil­lion abhängig Beschäftigten – wer könnte da von „armer Kirche“ sprechen. Hier sitzt die Kirche mit den Mächtigen am Tisch. Die wachsende Armut im Land wird von kirchlichen Sozialkonzernen mitverwaltet, deren Führungspersonal durchaus mal mit einem Jahresgehalt von 500.000 Euro nach Hause geht.1 Wenn da die Glaubensfestigkeit zunimmt, liegt es daran, dass für Caritas-Beschäftigte der Job dran hängt.

Und so war die Verwunderung groß, als Papst Benedikt XVI. während seines letzten Deutschland-Besuches mit Blick auf die katholische Kirche von Armut sprach: „Die Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder Ähnliches – bedeuteten nämlich jedes Mal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich ja dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößte und wieder ganz ihre weltliche Armut annahm.“ Indem sie sich von ihren „materiellen Bindungen“ löste, „wurde auch ihr missionarisches Handeln wieder glaubhaft“.2

Und Franziskus I. scheint ins selbe Horn zu stoßen: „Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!“,3 verkündete er in einer Ansprache gleich nach seiner Wahl. Und seitdem kolportieren die Medien das Bild des bescheidenen Papstes, der die Armut in der Welt sieht und mit dem Reichtum der Kirche verantwortlich umgehen wird. (Dass der neue Papst sein Bekenntnis zur Armut just bei einer „Audienz für die Medienvertreter“ äußerte, war insofern möglicherweise kein Zufall.) Und wie immer, wenn Wunschbilder bedient werden, dauert es, bis die Inszenierung hinterfragt wird. Dabei wäre das dringend geboten.

Denn mal ganz abgesehen davon, dass in Deutschland von „Armut“ der Kirche insgesamt auch nach der Säkularisation nicht die Rede sein konnte (Klöster und Stifte traf es vor allem), war schon auffällig, wie schnell sich im September 2011 die deutschen Bischöfe zu Wort meldeten, um das Papstwort von der Entweltlichung dahingehend zu erläutern, dass es keineswegs zu einer Veränderung des Status quo führe. Und auch diesmal helfen uns die Bischöfe, die wohlklingenden päpstlichen Worte zu verstehen: „Es ist eine interessante intellektuelle aber auch strukturelle Frage, ob Entweltlichung und Armut sich nicht wie zwei Seiten derselben Medaille begreifen können; das eine als die intellektuelle Ansage, die nachdenklich machende Frage wie weit wir ein Selbstbewusstsein haben, das aus dem Glauben kommt. In dieser Weise ist es wirklich angesagt, arm zu werden, nämlich ganz auf Gott zu vertrauen. Auf der anderen Seite gehört zur Entweltlichung auf keinen Fall, die vielen positiven Elemente der Kirche in Deutschland zu vernachlässigen, mit denen wir vielen anderen helfen können.“4 Armut als Gottvertrauen – ein ebenso
beeindruckendes wie bezeichnendes Er­gebnis seiner Worthülsen-Jonglage, das uns Bischof Franz-Josef Overbeck bietet.

Und so wird es wohl auch diesmal in der Realität nichts werden mit der Armut der Kirche. Die ganze Armutsrhetorik muss im weltkirchlichen Zusammenhang gesehen werden. Als Südamerikaner kennt Bergoglio die Erfolge der Evangelikalen und auch Overbeck spricht von der „Herausforderung durch Sekten und durch andere Religiöse Bewegungen“. Die verkaufen Hoffnung derzeit besser als die katholische Kirche. Um hier wieder Boden gut zu machen, strebt der Vatikan nach einem besseren Image.

Und in einem sind sich evangelikale Prediger und katholische Bischöfe ohnehin einig: Armut muss Armut bleiben. Und gesellschaftliche Veränderungen, die hier Abhilfe schaffen, stehen nicht auf dem Programm.

Anmerkungen

1 So der ehemalige Geschäftsführer der Stiftung katholisches Krankenhaus Marien-Hospital, vgl. http://www.halloherne.de/gerichtssaal/9577-marien-hospital-arbeitet-sachverhalt-weiter-auf (Zugriff 30.7.2013).
2 Rede Benedikts XVI. im Konzerthaus in Freiburg am 25.9.2011; http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/2.2294/papst-benedikt-xvi-die-entweltlichung-der-kirche-11370087.html (Zugriff 30.7.2013).
3 Ansprache Franziskus’ I. vom 16.3.2013; http://www.vatican.va/holy_father/francesco/speeches/2013/march/documents/papa-francesco_20130316_rappresentanti-media_ge.html (Zugriff 30.7.2013).
4 „Arme Kirche“ und „Entweltlichung“: Zwei Seiten derselben Medaille?, http://www.muenchner-kirchenradio.de/weltkirche/weltkirche/article/arme-kirche-und-entweltlichung-zwei-seiten-derselben-medaille.html (Zugriff 30.7.2013).