Karl Hepfer: Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Transcript Verlag, Bielefeld 2015. 189 Seiten, kartoniert, Euro 24,99 Euro, ISBN 978-3-8376-3102-9
Wer sich in den Tiefen der sozialen Netzwerke im Internet bewegt, findet, neben den klassischen Informationsangeboten, weitere Plattformen, die sich der (vermeintlichen) Wahrheitsfindung verschrieben haben. Ob Kennedy-Attentat, Mondlandung, Impfung, Chem- trails oder der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo. Hinter der öffentlichen Geschichte verbergen sich Vertuschungsaktionen, Halbwahrheiten und Lügen, die es aufzudecken gilt.
Karl Hepfer, Privatdozent für Philosophie an der Universität Erfurt hat sich auf die Suche nach einer Erklärung für dieses Phänomen gemacht. Herausgekommen ist ein über- aus lesenswertes Buch zu der Thematik. Hepfer geht es in seiner zweiteiligen Arbeit „um theoretische Grundstrukturen“ und um die Frage, wie Verschwörungstheorien „unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit formen“. Mit einer Fülle von Beispielen bietet der Autor einen Überblick über die verschiedenen Formen der Verschwörungen – reale, vermutete, fiktive und mythische.
Interessant ist Hepfers Arbeit schon deshalb, weil er einen Grund für den Er- folg anbietet: „Weil sie gekonnt an entwicklungsgeschichtich ältere und unter anderen Bedingungen einst sehr erfolgreicher Bewältigungsstrategien des Menschen anknüpfen.“ Es ist also die Sehnsucht nach einer Komplexitätsreduktion, die Menschen zu Verschwörungstheorien führt.
Lange Zeit galten die Religionen als Garanten der Komplexitätsreduktion. Ihr Ordnungssystem war darauf angelegt, den Menschen mit Vorschriften, Verboten und Strafmaßnahmen ein gottgefälliges Leben aufzunötigen. Doch je tiefer die Wissenschaft in ihr Gefilde vordringt, umso häufiger versagt die Religion als Erklärungsansatz. Die Zunahme an Komplexität führt zu einer Unübersichtlichkeit, die weder von den Religionsgemeinschaften, dem Staat noch von den Medien befriedigend erklärt und bewältigt wird. Die Folge davon ist im Internet mit wenigen Klicks zu beobachten: Verschwörungstheorien machen sich die Unübersichtlichkeit zu eigen, decken (vermeintliche) Ungereimtheiten auf, führen eine analogisch funktionierende Argumentationskette hinzu und diffamieren Kritiker_innen dieses geschlossenen Weltbildes.
Das Problem liegt für Hepfer auf der Hand: „Je größer die Bereitschaft der Leute wird, hermetischen Denksystemen zuzuneigen, desto garstiger wird es.“ Der Erfolg ist vorprogrammiert, denn Menschen überlassen sich und ihr Leben nur sehr ungern dem Zufall. Für alles wird eine Erklärung verlangt. Der Verschwörungstheoretiker sammelt Daten, passt diese dem bereits im Vorfeld formulierten Ergebnis an und fügt die Quellen hinzu, die gerade noch so zur Erklärung passen.
Hepfer lehnt es jedoch ab, Verschwörungstheorien reflexhaft abzulehnen bzw. sie in das Reich der Mythen zu verbannen. Sich jedoch allein darauf zu beziehen, wie es immer mehr Menschen tun, ist nicht nur zum Schaden für den Einzelnen, sondern auch zum Schaden für die Gesellschaft.