Prisma | Veröffentlicht in MIZ 1/24 | Geschrieben von Romo Runt

Atheist Day 2024

Allmählich etabliert sich der 23. März als Tag, an dem Atheismus öffentlich sichtbar gemacht werden soll – am Atheist Day. Auch dieses Jahr haben wieder mehrere säkulare Organisationen mit Fotoaktionen in den sozialen Netzwerken auf das Anliegen aufmerksam gemacht, darunter die Regionalgruppe Rhein-Neckar der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) oder die gbs Neu-Isenburg. Projekt 48 veröffentlicht zu diesem Datum seit letztem Jahr eine Liste der säkularen Gefangenen.

Diese Aktion soll die öffentliche Auf­merk­samkeit darauf lenken, dass weltweit immer noch viele Menschen für ein Bekenntnis zum Atheismus, die Kritik von Göttern und Heiligkeiten oder die Forderung nach einer säkularen Gesellschaftsordnung mit Gefängnis bedroht werden oder in Haft sitzen.

Mit Blick auf die vier Fälle, die im vergangenen Jahr vorgestellt wurden, muss leider vermeldet werden, dass laut dem Freedom of Thought Report 2023 die Todesurteile gegen Youssef Mehrad und Saadullah Fazli (Iran) im Mai 2023 vollstreckt worden sind. Für Mubarak Bala (Nigeria) gibt es dagegen möglicherweise einen schmalen Silberstreifen am Horizont: Laut Humanists International ist sein Fall im Februar zur Berufung angenommen worden. Ein Urteil des Berufungsgerichts wird für den 21. Mai erwartet. Rusthum Russo (Malediven) lebt derzeit in Freiheit, ist aber untergetaucht, weil ihm gegenüber Drohungen geäußert wurden. Über die Situation von Othman Mohamed Lehbib (Mauretanien) konnte nichts Neues in Erfahrung gebracht werden.

Die Beteiligung an den Fotoaktionen könnte größer sein, doch immer mehr Organisationen – wie beispielsweise der Bund für Geistesfreiheit (bfg) München oder der Humanistische Verband Österreich – verweisen auf ihren Webseiten auf den Atheist Day. Und auch die Medien beginnen zu reagieren. In der Schweiz nahm das Internetmagazin Basel jetzt den Tag zum Anlass, über Atheismus im Allgemeinen aufzuklären. Der ORF berichtete auf seiner Webseite in der Sparte „Religion“ über Atheismus als Flucht­grund.

Das Foto zum Artikel zeigt Kurosh Sheibani, der einen der Hingerichteten kannte und heute in Berlin lebt.

Liste der säkularen Gefangenen — 23. März 2024

Tan Meng Kheng & Khairi Anwar Jailani, Malaysia
Filmschaffenden droht Haftstrafe wegen Verletzung religiöser Gefühle

Regisseur und Produzent des Films Mentega Terbang müssen sich wegen des Vorwurfs, bewusst religiöse Gefühle verletzt zu haben, vor Gericht verantworten. Im Fall einer Verurteilung droht den beiden eine Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnis.
Die Anklage beruft sich auf Abschnitt 298 des Strafgesetzbuches von Malaysia, der die Verletzung religiöser Gefühle behandelt. Der bereits 2021 veröffentlichte Film zeigt die Geschichte einer Teenagerin, die in einer liberal-muslimischen Familie aufwächst und sich angesichts einer schweren Erkrankung ihrer Mutter mit existenziellen Fragen beschäftigt.
Auf Druck der muslimischen Rechten wurde der Film im September 2023 nach Abschnitt 26 des Filmzensurgesetzes verboten und von den Streaming-Plattformen gelöscht. In einer ersten Anhörung am 17. Januar mussten Kheng und Jailani jeweils eine Kaution hinterlegen, um auf freiem Fuß zu bleiben. Außerdem ordnete das Gericht an, dass sie sich während des Verfahrens nicht öffentlich zur Sache äußern dürfen.

Eduard Sharlot, Russland
Untersuchungshaft und Strafverfahren wegen der Verletzung der Gefühle von Gläubigen

Der russische Sänger Eduard Sharlot sitzt seit November in Haft. Einer der Gründe ist der Vorwurf der Verletzung der Gefühle von Gläubigen (Strafgesetzbuch der Russi­schen Förderation, Artikel 148). Im Juli hatte Sharlot ein elf Sekunden dauerndes Video gepostet, das ihn zeigt, wie er ein Foto des Oberhauptes der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, sowie seinen Militärausweis unter ein Kruzifix nagelt. Bei seiner Rückkehr von einem Aufenthalt in Armenien wurde Sharlot festgenommen; seitdem ist er inhaftiert.
Die Kunstaktion steht im Zusammenhang von Sharlots Kritik am Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine. Für die Anklage nach Artikel 148 drohen dem Sänger bis zu einem Jahr Haft oder Zwangsarbeit.

Shakila Monfared, Iran
Mehrjährige Haftstrafen für Bürgerrechtsaktivistin

Seit Januar 2021 ist Shakila Monfared inhaftiert, mittlerweile im berüchtigten Evin-Gefängnis. In einem ersten Verfahren wurde sie zunächst zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt; die Strafe wurde von einem Berufungsgericht dann auf vier Jahre und zwei Monate verkürzt. Vorgeworfen wurde ihr u.a. die Beleidigung der „Heiligtümer“ des Islams (Strafgesetzbuch der Islamischen Republik, Art. 513), die sich in verschiedenen Posts finden, mit denen sie das politische System der Islamischen Republik kritisiert hatte.
Im Februar 2022 kam es zu einer weiteren Verurteilung (zwei Jahre und acht Monate), diesmal wegen der vorgeblichen Mitgliedschaft in einer regierungsfeindlichen Vereinigung und der „Verbreitung von Lügen“. Ende Februar 2024 teilte das Center for Human Rights in Iran auf Instagram mit, dass Monfared eine zusätzliche 15-monatige Haftstrafe auferlegt worden sei, da sie durch ihre Äußerungen aus der Haft heraus die nationale Sicherheit beeinträchtigt habe.

Lina Lutfiawati (Lina Mukherjee), Indonesien
Haftstrafe für TikTok-Video

Auf den ersten Blick unpolitisch erscheint der Fall der indonesischen Influencerin Lina Lutfiawati. Die junge Frau hatte auf TikTok ein Video gepostet, das sie dabei zeigt, wie sie Schweinefleisch verzehrt. Dabei sprach sie die religiöse Formel „Bismillah“, was etwa „im Namen Gottes“ bedeutet.
Dies rief Proteste der muslimischen Rechten hervor. Im Mai 2023 kam es daraufhin zur Anklage, die zu einer Verurteilung Mitte September führte. Das Strafmaß beläuft sich auf zwei Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von umgerechnet rund 15.000 Euro. Lutfiawati soll durch ihr Handeln zum Hass gegen religiöse Gemeinschaften angestiftet haben.

Gekürzte Fassung der unter www.projekt-48.de ver­öffentlichten Liste der säkularen Gefangenen 2024. Gern Hinweise auf ähnliche Fälle an Projekt 48: info@projekt-48.de.