Blätterwald | Veröffentlicht in MIZ 1/08 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Blätterwald … Ethik ohne Kirche / Humanistinnen / Deschner-Preis

Ethik ohne Kirche

Mit der Frage einer „Ethik ohne Kirche“ setzte sich im Januar 2007 ein Seminar des Dachverbands Freier Weltanschauungen auseinander; nun sind die Vorträge in Form einer Broschüre erschienen. Vor dem Hintergrund der Bemühungen der Kirchen, den Gottesbezug in einer europäischen Verfassung zu verankern, suchten die Referenten nach alternativen Fundamenten allgemein gültiger Werte. Horst Prem von der Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft überschrieb seinen Beitrag „Monopol der Religion oder Allianz für Toleranz“, wobei er unter letzterer die Zusammenarbeit der diversen „freigeistigen, freireligiösen und unitarischen Verbände“ versteht und die alte Leier anstimmt, säkulare Interessen würden aufgrund der „Zersplitterung“ der Konfessionslosen nicht wahrgenommen. Bezogen auf Europa müsse das Ziel sein, die Ansätze in den europäischen Institutionen zu unterstützen und eine „säkulare Zukunftsvision für Europa“ zu entwickeln, „die bis in den Werteunterricht der Schulen vordringt“. Joachim Kahl umreißt in seinem Aufsatz die Grenzen der Toleranz, die er vor allem in Abgrenzung zum „islamisch inspirierten Totalitarismus unserer Tage“ bestimmt; hier zeigten sich zugleich auch die Grenzen der Aufklärung und der Verständigung. Michael Schmidt-Salomon entwirft anknüpfend an sein Manifest einige Grundpositionen einer humanistisch-naturalistischen Ethik und erläutert, warum die moralistische Argumentation der Religionen zu unethischem Verhalten führt. Beiträge von Heribert Lumpe zur Ethik Spinozas (wobei auch der Lebensweg des niederländischen
jüdischen Philosophen etwas ausführlicher dargestellt wird) und von Ute Janz über „Freie Religion“ vervollständigen die Dokumentation.

Volker Mueller / Horst Prem: Ethik ohne Kirche. Neustadt: Angelika Lenz Verlag 2007. 85 Seiten, geheftet, Euro 8,80, ISBN 3-933037-067-0

Humanistinnen

Wer die frühe Frauenbewegungen ins Auge fasst, muss sich die Rahmenbedingungen klar machen, unter denen diese entstand: in fast allen deutschen Ländern war Frauen die „öffentliche politische Betätigung“ verboten (und das konnte bereits der Besuch einer politischen Versammlung sein), die Universitäten blieben ihnen bis 1908 verschlossen. Angesichts dessen erscheint die Leistung der Frauen, die sich damals im mehrfachen Wortsinn emanzipierten, umso bedeutsamer. Die Frauengruppe des Berliner Landesverbands des Humanistischen Verbandes Deutschlands hat nun eine Broschüre mit 22 kurzen Biographien solcher Streiterinnen vorgelegt.

Die Auswahl erfolgte dabei nach weltanschaulichen Kriterien: alle vorgestellten Frauen standen entweder in Verbindung mit freigeistigen Organisationen (von den Deutschkatholiken über die Deutsche Gesellschaft für Ethische Kultur bis hin zu den Freidenkerverbänden) oder engagierten sich explizit für ein Leben ohne Religion bzw. ohne Dominanz der Religion. Gerade im sozialen Bereich, insbesondere in der Kindererziehung, sahen diese Frauen die Notwendigkeit, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und deshalb Angebote ohne missionarische Hintergedanken zu schaffen. Das ging nicht ohne Kollision mit der Staatsgewalt, die in der Religion eine wichtige Stütze der Gesellschaft sah, und die Frauen kriminalisierte oder psychiatrisierte, ihre Projekte immer wieder verbot. Viele der Frauen waren im Umfeld der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien aktiv, andere wie Louise Franziska Aston durchbrachen durch ihren Lebenswandel die traditionelle Frauenrolle und versuchten ein selbstbestimmtes Leben.

Die biographischen Skizzen verstehen sich als Bestandsaufnahme und verzichten weitestgehend auf Quellenangaben. Zwar enthalten die Beiträge ein paar Widersprüchlichkeiten (die durch ein gemeinsames Schlusslektorat wohl zu beheben gewesen wären) und haben bei manchen Biographien „Mut zur Lücke“; trotzdem sind sie eine Fundgrube für alle, die sich für die Geschichte der freigeistigen Bewegung in Deutschland interessieren.

HVD Berlin (Hrsg.): frei denkend selbstbestimmt. 22 Porträts freigeistiger Frauen. Berlin 2007. 86 Seiten, Abbildungen, kartoniert, Euro 5.-, ISBN 978-3-924041-27-4

Deschner-Preis

Im Oktober wurde erstmals der von der Giordano Bruno Stiftung (gbs) gestiftete Deschner-Preis verliehen. Die vier auf dem Festakt in der Johann-Wolfgang- Goethe-Universität in Frankfurt zu hörenden Redebeiträge erscheinen nun als Broschüre.

Sprecher Michael Schmidt-Salomon verweist in der Begründung, warum die Wahl auf Richard Dawkins gefallen ist, darauf, dass dieser den „einseitigen Nichtangriffspakt“, der der Wissenschaft gegenüber der Religion abverlangt werde, aufgekündigt habe und Klartext rede, wenn „bestimmte gesellschaftlich privilegierte Wahnideen“ Schaden anrichten. Doch nicht allein seine Beiträge zur Religionskritik und zur Evolutionstheorie machten Dawkins zu einem würdigen Preisträger, auch durch seine Fähigkeit zur Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse leiste er wertvolle Dienste für Aufklärung und Humanismus. Karlheinz Deschner findet, nachdem er sich zunächst über den nach ihm benannten Preis so seine Gedanken gemacht hat, sehr persönliche Worte für Dawkins, lobt dessen „inselwindfrischen Optimismus“ und intellektuelle Redlichkeit sowie „das Unverblümte und oft so angelsächsisch Erzählfrohe [seiner] Textur“.

Die Laudatio von Franz M. Wuketits, Beirat der gbs und selbst Evolutionstheoretiker, betont Dawkins’ humanistisches Weltbild – und zitiert dazu ausgerechnet aus dem Egoistischen Gen, jenem Werk, das dem Autor den Ruf eingebracht hat, rücksichtslosen Egoismus zu propagieren. Als „Botschaft“ des Preisträgers arbeitet Wuketits heraus, dass eine richtig verstandene Theorie der Evolution dem Menschen die Möglichkeit bietet, sich von „metaphysischem Müll“ zu befreien und die eigenen Möglichkeiten und Beschränkungen bewusst zu reflektieren.

In seiner Dankesrede knüpft Dawkins an die Metapher der „Meme“ an und spricht vom „Virus des religiösen Glaubens“, der „nette, anständige junge Männer“ befalle und sie dazu veranlasse, Züge voller Pendler in die Luft zu sprengen. Und er ruft in Erinnerung, dass die meisten jener jungen Männer zunächst mit einer moderaten Variante jenes Virus in Kontakt gekommen sind. Es seien in den seltensten Fällen die „durchgeknallten, extremistischen Mullahs“, sondern Religionslehrer, „die selbst keiner Fliege etwas zu Leide tun würden“, gewesen, die ihnen die Inhalte der betreffenden Religion vermittelt und so den Grundstein für die spätere Beeinflussung gelegt haben. Insofern sei der „moderate Mainstream“ nicht ganz unschuldig am Erfolg religiöser Extremisten.

Vom Virus des Glaubens. Deschner-Preis 2007. Redebeiträge von Richard Dawkins, Karlheinz Deschner, Michael Schmidt-Salomon und Franz M. Wuketits. Aschaffenburg: Alibri 2008. 42 Sei- ten, Fotos, geheftet, Euro 5.-, ISBN 978-3-86569- 201-6