Selbst über das Ende des eigenen Lebens zu bestimmen, ist kein Bedürfnis, das erst mit der Idee der Selbstbestimmung aufgekommen wäre. Suizide lassen sich nachweisen, seit es schriftliche Aufzeichnungen gibt, sie kommen in den unterschiedlichsten Kulturen vor. Dabei scheint es nicht von zentraler Bedeutung zu sein, ob der „Selbstmord“ oder „Freitod“ in einer Gesellschaft negativ oder positiv bewertet wird, ob er tabuisiert oder sogar mit schlimmsten Strafvorstellungen verknüpft ist. Menschen haben diese Entscheidung offenbar schon immer „für sich“ getroffen – und haben sich von gesellschaftlichen Widerständen oder religiösen Verboten nicht abhalten lassen.
Wurde der Suizid in der Antike noch kontrovers diskutiert, lehnen Christentum und Islam diesen grundsätzlich ab. Im Kern geht es dabei um die Vorstellung, dass das Leben nicht dem Menschen selbst gehöre; Gott allein habe das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden. Diese Idee mag bei einigen, die sich für eine sehr restriktive Handhabung der Suizidhilfe aussprechen, im Hintergrund noch mitschwingen, aber als ausdrückliche Begründung ist sie heute kaum noch zu hören. Das heißt jedoch nicht, dass mit dem Allmächtigen auch die Allmachtsphantasien aus der Debatte verschwunden wären.
Obwohl kaum eine Entscheidung so „persönlich“ ist, wie der Entschluss, sein eigenes Leben zu beenden, wegzugehen, und obwohl in allen einschlägigen Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland sich wünscht, in dieser Frage selbstbestimmt handeln zu können, gibt es eine erstaunlich große Anzahl von Politiker:innen aus allen Parteien, die das schlicht nicht interessiert. Entgegen dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, das vom mündigen Bürger resp. der mündigen Bürgerin ausgeht, halten sie daran fest, dass sie grundsätzlich besser wissen als die Betroffenen, was gut und richtig für diese ist. In ein Gesetz gegossen heißt das, dass Suizidwilligen Hilfe angeboten wird für Probleme, die sie nicht haben oder längst für sich abschließend erörtern konnten, und die Hilfe, die sie bräuchten und erwarten, in einem Verfahren erbitten müssen, das sich nicht wesentlich von einem Bauantrag unterscheidet.
Auf der persönlichen Ebene wäre ein solches Verhalten verständlich. Wäre mein Jugendfreund damals zu mir gekommen und hätte mir seinen Entschluss mitgeteilt, hätte ich wahrscheinlich auch mit „Haste denn schon...“ und „Willste nicht noch...“ reagiert. Und je näher einem der Mensch, der weggehen will, steht, desto schwerer dürfte es sein, nicht in paternalistische Muster zu verfallen. Als politisches Konzept hingegen, als abstrakte Handlungsanweisung für staatliche Einrichtungen, die auf alle betreffenden „Fälle“ anzuwenden ist, taugt es nicht. Im Gegenteil, es zeugt von Selbstüberschätzung und tiefer Menschenverachtung.
Denn die Gründe, warum jemand den letzten Weg gehen möchte, zu beurteilen, ist schon bei einer Person, die du halbwegs kennst, nicht einfach. Die vorgetragenen Gründe als illegitim einzustufen, stellt einen sehr weitreichenden Schritt dar, weil dadurch dem Gegenüber die Entscheidungsfähigkeit in einer Frage, die in erster Linie ihn (oder sie) betrifft, abgesprochen wird. Natürlich kann es für eine solche Einschätzung Gründe geben. Und dass jemand, der über die Ausgabe eines den Tod bringenden Arzneimittels entscheidet, im Zweifelsfall „auf der sicheren Seite“ sein möchte, ist nachvollziehbar. Dass es dabei zu Fehleinschätzungen kommen kann mit dramatischen Folgen für die Betroffenen, ist nicht auszuschließen und wahrscheinlich auch bei sorgfältigstem Vorgehen nicht völlig vermeidbar. Dieses Risiko ist Teil unseres Lebens und wird auch nicht daraus verschwinden, bevor sich die Kontrollgesellschaft der allerletzten Facette unseres Lebens angenommen hat.
Die Bemühungen, Suizidhilfe weiterhin grundsätzlich zu kriminalisieren oder den Zugang zu das Leben beendenden Medikamenten durch bürokratische Hürden zu kontrollieren (und damit de facto zu erschweren), verweisen auf ein tiefes Misstrauen gegenüber der Urteilsfähigkeit jenes Teils der Bevölkerung, die sich in der Frage des eigenen Todes weder von Gott noch vom Staat Vorschriften machen lassen möchte. Es ist sicher kein Zufall, dass sich unter den Unterzeichner:innen des konservativsten Entwurfes für eine gesetzliche Neuregelung, viele Abgeordnete finden, die als kirchennah einzustufen sind. Die unausgesprochene Grundlage der Gesetzesvorlage ist die Vorstellung, dass Menschen, die sich dafür entschieden haben, ihrem Leben ein Ende zu setzen, allein schon durch diese Entscheidung gezeigt haben, dass sie nicht in der Lage sind, moralisch verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Deshalb muss ihnen grundsätzlich misstraut, mit Strafgesetzbuch und Beratungspflicht begegnet werden.
Dabei sind es gerade nichtreligiöse Menschen, die sehr genau um die Ein zigartigkeit des Lebens wissen. Wenn jemand gegangen ist, ist sie (oder er) tatsächlich weg aus unserem Leben, kein Auferstehn, kein Wiedersehn. Für die Unterstellung, leichtfertig mit dem Suizid umzugehen, gibt es keine Grundlage. Wahrscheinlich handelt es sich sogar um eine Projektion. Denn die Überheblichkeit liegt auf Seiten derer, die meinen, als Repräsentanten des säkularen Staates in die Rolle Gottes schlüpfen zu können, indem sie ihre religiösen oder paternalistischen Positionen als Maßstab setzen, staatliches Handeln danach ausrichten und in einer sehr intimen Frage Menschen mit anderen Wertvorstellungen als Unmündige behandeln.