Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 2/20 | Geschrieben von Frank Welker

Das Virus und der Glaube

Wie Religiosität eine Pandemie begünstigt hat

Das Coronavirus hat in beispielloser Rücksichtslosigkeit die Schwächen einer global vernetzten Menschheit aufgedeckt. Wo früher ein umgefallener Reissack in China eben ein umgefallener Reissack in China war, kann heute in der Weltrisikogesellschaft ein regional begrenztes Ereignis in Rekordgeschwindigkeit zu einer globalen Katastrophe führen. Die Religion hat sich dabei als Brandbeschleuniger erwiesen.

Religiöse Massen­veranstaltungen

Massenveranstaltungen sind in Zeiten einer grassierenden Pandemie generell keine gute Idee. Nicht ohne Grund wurden diese von vielen Regierungen wegen der hohen Gefahr, das Virus stark zu verbreiten, auch als erstes verboten. Bei religiösen Veranstaltungen kommt jedoch oft erschwerend hinzu, dass Gebräuche und Rituale nicht hygienisch sind. Zudem versammeln sich hier häufig ältere Menschen.

Das prominenteste Beispiel in der Coronakrise für einen religiös geförderten Ausbruch waren die Vorkommnisse in Südkorea. Dort hatte die christliche Kirchengemeinschaft Shincheonji in der Region um Daegu massiv zur Ausbreitung beigetragen. Mehr als die Hälfte der Krankheitsfälle ließen sich in der Anfangsphase der Epidemie in der Millionenstadt auf Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft zurückführen. Förderlich für die rasante Ausbreitung waren Rituale wie etwas das Beten und Singen ohne Abstand. Die Gruppierung hat sich inzwischen für ihr Verhalten entschuldigt.

Ähnliches ereignete sich auch in Bangladesch. Dort kamen Gläubige noch nach einem Verbot der Regierung zum Beten zusammen. Rund 25.000 Menschen wollten mit dem Aufrufen „heilender Worte“ aus dem Koran das Coronavirus bekämpfen und trugen wahrscheinlich doch nur zu dessen Verbreitung bei. Denn kurz zuvor hatte eine religiöse Veranstaltung mit 16.000 Muslimen in Malaysia mehr als 500 Infektionen verursacht und das Virus wurde in den Nachbarländern verteilt. Auch im Elsass ging der Ausbruch des Erregers auf eine religiöse Massenveranstaltung zurück. Bei einer Veranstaltung einer evangelikalen Kirche hatten sich zahlreiche Gläubige angesteckt und in der Folge die Krankheit im ganzen Land verteilt. Kurz darauf verhängte dann Frankreichs Regierung ein Verbot von Großveranstaltungen.

Irrationales Verhalten von Gläubigen

Wie sehr individuelles religiöses Verhalten dazu beitragen kann, die Ausbreitung eines Virus zu fördern, zeigt eindrucksvoll die Betrachtung der Vorgänge in Israel. Dort hatte man sehr früh auf die Ausbreitung des Coronavirus reagiert. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte man den Erreger sogar vollständig eindämmen können, wenn sich nicht sehr viele ultraorthodoxe Juden kontraproduktiv verhalten hätten. Diese leben in ihrer eigenen Welt, folgen den Anweisungen ihrer religiösen Führer, benutzen koschere Kommunikationsmittel und besuchen eigene Schulen. Auch den Versammlungsverboten kamen viele nicht nach. An der Klagemauer hatten sich Orthodoxe sogar zu einem Massengebet gegen die Krankheit versammelt. Das Ergebnis war, dass religiös geprägte Viertel sich zu Corona-Hotspots entwickelten.

Fairerweise muss man jedoch sagen, dass religiös bedingte technische Rückständigkeit nicht zwingend ein Nachteil sein muss. Die religiöse Gemeinschaft der Amischen, welche moderne Technik strikt ablehnen und im Wesentlichen noch wie im 19. Jahrhundert leben, konnten im Bundesstaat New York bei der Fertigung von Schutzmasken helfen, da die Amischen im Gegensatz zu modernen Amerikanern noch in der Lage waren, mit Nadel und Faden umzugehen.

Nun könnte man meinen, irrationales Verhalten wäre in den modernen europäischen Staaten weniger ein Problem. Doch weit gefehlt. Auch hierzulande sind noch genug Menschen mit dem Virus des Glaubens infiziert, um eine Pandemie voranzutreiben. Wenn es nun um irrationales Verhalten geht, dann kann die katholische Kirche natürlich nicht weit sein. So warnte Papst Franziskus schon sehr früh davor, klassische Gottesdienste zu untersagen. Bei medialen Übertragungen seien die Menschen „zusammen und doch nicht zusammen“, meinte der Papst und betonte die Wichtigkeit der Sakramente. Noch weiter ging der Churer Weihbischof Eleganti, der in einem Videointerview die von der Schweizer Bischofskonferenz beschlossenen Anweisungen zur Leerung der Weihwasserbecken und zum Verzicht der Mundkommunion kritisierte und darauf verwies, dass von der Kommunion kein Unheil ausgehen könne. Selbst nach einer umfassenden Diskussion blieb der Bischof uneinsichtig und legte auf kath.net noch einmal nach: „Die hl. Eucharistie wurde von Christus nicht dazu eingesetzt, dass sie mir Krankheiten und Tod bringt. Aus meiner gläubigen Sicht bleibt das für Gott ein absolutes NO GO! Ich entschuldige mich für den Ausdruck, aber darin gründet meine feste und kritisierte Überzeugung. Abgesehen davon, sind wir immer in der Hand Gottes. Jede andere Sicherheit ist im Grunde eine Pseudosicherheit, d.h. eine sehr fragwürdige und zerbrechliche.“1

Doch es geht tatsächlich noch dümmer. Eine Gruppe konservativer katholischer Geistlicher witterte gleich eine Weltverschwörung hinter den Ereignissen und rief im Internet zum Widerstand auf: „Wir haben Grund zu der Annahme – und das auf Grundlage offizieller Daten der Epidemie in Bezug auf die Anzahl der Todesfälle – dass es Kräfte gibt, die daran interessiert sind, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen. Auf diese Weise wollen sie dauerhaft Formen inakzeptabler Freiheitsbegrenzung und der damit verbundenen Kontrolle über Personen und der Verfolgung all ihrer Bewegungen durchsetzen. Diese illiberalen Steuerungsversuche sind der beunruhigender Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht.“2 Wer genau diese dunklen Kräfte sein sollen, darüber schwieg man sich aus. Prominentester deutscher Unterzeichner war übrigens niemand geringerer als Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ehemaliger Leiter der Kongregation für die Glaubenslehre.

Ähnlich fanatisch anmutende An­sichten sind allerdings auch bei den bekanntermaßen streng gläubigen Evangelikalen zu finden. Sowohl in Brasilien als auch in den USA wurde das Virus als Gottesrache oder Teufelswerk angesehen, geschickt, um die Menschheit für ihren dekadenten Le­bensstil zu bestrafen. In den USA ignorierten einige evangelikale Prediger zudem die Versammlungsverbote, was den einen oder anderen Gotteskrieger dann kurzzeitig hinter Gitter brachte. In Deutschland beschränkten sich die Evangelikalen dagegen auf peinliche Missionierungsversuche wie das Missionswerk Bruderhand mit einer fragwürdigen Broschüre oder führte metaphysische Diskussionen darüber, ob das Virus jetzt eine Strafe Gottes sei oder eben nicht.

Natürlich verschonte das Virus auch die muslimische Welt nicht. Die Reaktionen darauf waren ebenfalls mitunter nur schwer nachzuvollziehen. Besonders die Mullahs im Iran fielen dadurch auf, das Virus erst zu verharmlosen und dann mit religiösen Durchhalteparolen zu agieren. Noch bizarrer war allerdings das Verhalten einiger einfacher Gläubiger. Dort leckten doch tatsächlich Gläubige die Türen von Moscheen ab, um Allah zu preisen und zu demonstrieren, dass das Virus Gläubige nicht trifft. Videos davon waren in den sozialen Medien zu sehen. Im Irak wusste man dagegen sofort, wer der Schuldige für die Pandemie war. Wenig überraschend soll es sich um ein amerikanisch-jüdisches Komplott handeln.

Aber auch in Deutschland gab es mit einigen Muslimen Probleme. So sorgte eine muslimische Bestattung in Berlin für mächtigen Ärger. Bei einer arabischen Großfamilie aus Neukölln war eine in der Hierarchie hoch stehende Mutter gestorben. Eigentlich durften nach dem Infektionsschutzgesetz nur maximal 20 Personen eine Beerdigung besuchen. Für die muslimische Großfamilie wurde jedoch eine Ausnahme gemacht und rund 100 Trauernde konnten teilnehmen. Doch damit nicht genug. Um einen sicheren Ablauf zu gewährleisten, war ein Großaufgebot der Polizei im Einsatz. Sogar ein Hubschrauber überwachte die Veranstaltung.

Ohnehin scheint Neukölln ein Brennpunkt für entsprechende Verstöße zu sein. So hatten sich mitten in der Hochphase der Pandemie rund 300 Menschen vor einer vom Verfas­sungsschutz beobachteten Moschee versammelt, die den Muslim­brüdern zu­geordnet wird. Auslöser für diesen Massenauflauf war ein über Lautsprecher übertragener Gebets­ausruf, dem die Gläubigen dann folgten, ohne auf Abstände zu achten. Auch Ermahnungen der Polizei zeigten nur geringe Wirkung. Öffentlich Gebetsrufe sind im Übrigen seit Corona keine Seltenheit mehr. Gerade während des Ramadans wollten viele Gemeinden den Muslimen diesen nicht verwehren. Hier hat man geschickt die Gunst der Stunde genutzt.

Die Gunst der Stunde nutzen wollten auch einige Salafisten, um Gelder für den Glaubenskampf vom Staat zu kassieren. So hat in Berlin eine Gruppe dieser Fanatiker versucht, Corona-Soforthilfen abzugreifen. Mehrfach sollen die fünf Beteiligten über die Förderbank IBB Hilfen beantragt und dann auch bekommen haben. Der Schaden soll sich dabei auf 45.000 Euro belaufen. Unter den Verdächtigen soll auch ein Freund des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri gewesen sein.

Virus, Religion und Politik

Wenn Politiker mit einer Krise konfrontiert werden, dann zeigt sich, ob jemand zu verantwortungsvollem Handel fähig ist oder nicht. Ein religiöser Hintergrund kann dabei nicht nur hinderlich sein, sondern auch in einer Katastrophe enden, wie man anhand des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro erkennen kann. Obwohl Brasilien vom Virus massiv getroffen wurde, spielte der streng religiöse und extrem konservative Bolsonaro die Gefahren herunter, bezeichnete das Virus mal als „einfache Grippe“, mal als „Fantasie“, mal als „Hysterie“. Er ging sogar soweit, eine Verschwörung gegen ihn und Donald Trump hinter dem Virus zu vermuten.

Apropos Donald Trump. Über dessen Coronapolitik kann man ebenfalls wenig Positives sagen. Nach einer Phase der Verharmlosung folgte eine Phase von sinnlosem Aktionismus begleitet von religiösen Durchhalteparolen. Ein Malariamedikament, dessen Wirkung zweifelhaft und noch nicht belegt ist, bezeichnete er sogar als „Gottesgeschenk“.

Wenn es um peinliche Religions­propaganda geht, dann führt kein Weg an der CSU vorbei. Allen voran natürlich deren Chefkreuzzügler Ministerpräsident Markus Söder, der kaum eine Gelegenheit ausließ, um ein göttliches Eingreifen zu beschwören: „Gemeinsam beten verbindet über die Religionen hinweg. Der Glaube gibt Kraft – gerade in dieser außergewöhnlichen Zeit. Halten wir zusammen.“3 Noch dreister war allerdings Reiner Erich Haseloff, der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt. Bei einer Video-Pressekonferenz der Landesregierung gab dieser ernsthaft Folgendes zu Protokoll: „Händewaschen mit Wasser 10-40 Grad. Mit Seife waschen, so lange wie ein Vaterunser. Ein Vaterunser dauert 25-40 Sekunden, hat der heilige Vater gesagt.“

In der Stunde der Krise schlägt auch die Stunde der Lobbyisten. Ayman Mazyek, der allgegenwärtige Vertreter des Zentralrats der Muslime, forderte sogleich finanzielle Unterstützung für geschlossene Moscheen und damit verbundene Einnahmeverluste. Ganz so als könnten Gläubige nicht dennoch Geld an ihre religiösen Vereine spenden. Im Interview mit dem Spiegel sagte er: „Deshalb muss auch staatlicherseits eine Kompensation in Form eines Ausgleichs der durch die Schließung verursachten Einnahmeverluste erfolgen. Hier haben bereits einige Länder dankenswerterweise Programme aufgelegt. Andere Länder sollten nachziehen. Geschieht das nicht, werden nicht wenige Moscheen nach der Coronakrise nicht mehr existieren. Und mit ihnen wird die Wohlfahrt, die Seelsorge und die soziale Integration verschwinden, die sie derzeit für unsere Gesellschaft leisten.“4

Wie sehr die Politik nach der Pfeife religiöse Lobbyisten tanzt, ließ sich eindrucksvoll an der Prioritätensetzung bei den Lockerungen sehen. Während die Belange von Familien mit Kindern ganz hintenan gestellt wurden, konnten Gläubige schon wieder sehr schnell in ihre Gotteshäuser zurück. Es dauerte allerdings nur wenige Tage und schon war ein Gottesdienst für einen großen Ausbruch verantwortlich. In Frankfurt hatte sich eine baptistische Gemeinde versammelt mit dramatischen Folgen. Über 200 Menschen infizierten sich in der Folge dieses Gottesdienstes, bei dem weder auf den Gesang verzichtet noch ein Mund-Nasenschutz getragen wurde. Auch die jüngsten Massenausbrüche mit über 90 Infizierten in Neukölln (und mehr als 1500 Infizierten in der Fleischfabrik Tönnies sollen Medienberichten zufolge ursprünglich auf Gottesdienstbesuche zurückzuführen sein. Gott scheint es nicht gut mit seinen Schäfchen zu meinen.

Anmerkungen

1 Das bleibt für Gott ein absolutes NO GO! (abgerufen am 11.5.20).
2 Der Aufruf ist zu finden unter: https://veritasliberabitvos.info/aufruf/ (abgerufen am 9.5.20).
3 Markus Söders Videoaufruf auf Facebook vom 8.4.2020.
4 Spiegel Interview vom 22.4.20 (abgerufen am 11.5.20).