Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 1/22 | Geschrieben von David Farago

David gegen Goliath

Seit 2014 engagiert sich David Farago als Aktionskünstler gegen die staatliche Finanzierung von Kirchentagen und die mangelnde Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Für die MIZ hat er nun seine ganz persönlichen Erfahrungen im Kampf gegen die Ungerechtigkeiten des Lebens zu Papier gebracht. Er nimmt uns mit auf eine schmerzliche Reise, geprägt von Leid aber auch von der Hoffnung, die Dinge verändern zu können.

Das Leben und seine Ungerechtigkeit und Inhumanität haben mich sehr geprägt. So musste ich als Kind erleben, dass es in Deutschland möglich ist, der eigenen Mutter entrissen zu werden. Der Kampf gegen die Ungerechtigkeit ist daher die Grundlage meiner täglichen Gedanken und des daraus resultierenden Handelns. Ein glücklicher Zufall führte dazu, dass sich mein „Auf-dieser-verrückten-Welt-Sein“ zu einem wundervollen dazu passenden Leben entwickelt hat. Heute ist es mir möglich, einer Tätigkeit für Gerechtigkeit und Lebensgewinne nachzugehen, was mich unbeschreiblich glücklich und zufrieden macht.

Der Startpunkt meines Lebenspro­jektes war der Humanisten­tag 2014, bei dem der Bund für Geistesfreiheit Bayern die Erfahrung machen musste, ganz anders als die Kirchen keine finanzielle Unterstützung durch den Staat zu bekommen. Während die Kirchen also große öffentlichkeitswirksame Parties schmeißen konnten, saßen wir in fast unsichtbaren geschlossenen Räumen. „Wenn der Staat einer säkularen Körperschaft eine kleine Mitfinanzierung ihres Festes ablehnt, sollen die Kirchen auch keine Millionensubventionen für ihre Sommerparty bekommen!“ Mit diesem Motto wollte ich auf die Straße und in der Giordano-Bruno-Stiftung fand ich den Partner, um dies umzusetzen. Das Projekt 11. Gebot war geboren. Von nun an sollte die Kirche unserem mahnenden Moses nicht mehr entkommen.

Auftritt Moses

Nach dem ersten Auftritt 2014 auf dem Katholikentag in Regensburg mit unserem Moses und seiner Gebotstafel, der mit erhobenen Zeigefinger und düsterem Blick gegen die staatliche Finanzierung von Kirchentagen demonstriert, sind bereits im selben Jahr weitere Aktionen in anderen Städten durchgeführt worden. Über die Jahre hinweg bis heute sind neben unzähligen Auftritten mit unserem Moses weitere Skulpturen und Kunstinstallation auf die Reise geschickt worden. Mit dem „Sterbeklempner“ protestierten wir gegen die Wiederwahl von Frank Ulrich Montgomery – wegen seiner Aussage zur Sterbehilfedebatte. Mit dem „Nackten Luther“ protestierten wir gegen die einseitige Betrachtung Luthers während des Huldigungsjahres. Der „Quengelbischof“gab eine provokante Antwort zu christlicher Nächstenliebe und kirchlichen Mythen und mit unserem „Söderling“ gingen wir gegen den Kreuzerlass in Bayern vor. Ein besonders wichtiges Thema war für uns Missbrauch in der katholischen Kirche. Hier schickten wir den „Eichelbischof“, den „Hängemattenbischof“ und die „Lange Bank“ als Kunstinstallation in die Schlacht um Aufmerksamkeit und Gerechtigkeit.

Was alle unsere Aktionen verbindet, ist das Ziel, die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Auf Straßen, auf Plätzen und in Fußgängerzonen. Dort finden unsere Protest- und Kunstaktionen statt. Von Anfang an war es unser Ziel, nicht nur Fans, sondern die breite Öffentlichkeit mit unseren Aktionen zu erreichen und politische Debatten gezielt anzustoßen. Seit der Geburt der Aktionsgruppe des 11. Gebots haben wir zehntausende Kilometer in ganz Deutschland und bis in die Schweiz zurückgelegt und dabei mehr als 80 Städte besucht.

Heftige Gegenwehr

Da wir mit unseren aufsehenerregenden Aktionen und Skulpturen nicht nur groß und laut auftreten, wurden wir nach anfänglichem Belächeln immer wieder und zum Teil heftig von Behörden, Polizei und Veranstaltern attackiert. Was schlimmer einzuordnen ist als Beleidigungen von Passanten, die leider zur Straßenarbeit gehören. Wenn selbst gewalttätige Angriffe auf unsere Versammlung, wie 2018 in Münster, trotz Strafantrag von der Staatsanwaltschaft ohne Ermittlungen eingestellt und nicht juristisch verfolgt werden. Da selbst Klagen gegen Übergriffigkeit von Polizeibehörden abgewiesen werden, schwindet das Vertrauen auf den Rechtsstaat. Aus aktionstaktischen Gründen haben wir nicht alle Fälle juristisch verfolgt. Vor Gericht waren wir dennoch nicht selten, um unsere Anliegen durchzuboxen. So haben wir einen Prozess gegen die Polizeidirektion Dessau vor dem Verwaltungsgericht in Halle sehr klar gewonnen. Das macht Mut und ist nicht nur eine Motivation weiterzumachen, sondern bietet eine Grundlage für die noch folgende Arbeit und weitere juristische Auseinandersetzungen. Ich übertreibe sicher nicht, dass alle Erfahrungen dazu beitragen, dass wir unsere Aktionen immer professioneller vorbereiten. Als Nichtjurist konnte ich mir über die Jahre ein Wissen über Verwaltungs- und Versammlungsrecht aneignen. So sind die Anmeldungen unserer „Kunstaktionen mit politischer Willens­bildung“ als Versammlungen für mich immer der Höhepunkt in jeder Pla­nungs-Phase und zunehmend mit Heidenspaß verbunden.

Die mit Sicherheit polizeilich bekannteste Kunstaktion ist die Skulptur des „Nackten Luther“. Gleich beim ersten Einsatz 2017 in Berlin wurde ich wegen Volksverhetzung angezeigt, was zu einem zweiminütigen Beitrag in den 20-Uhr-Nachrichten führte. Wir bekamen wegen dieser Figur zunächst ein berlinweites Auftrittsverbot. Was aber ebenso wie die Strafanzeige nach massivem öffentlichen Druck wieder fallengelassen wurde. Der „Nackte Luther“ führte aber in weiteren Städten zu erneuten Anzeigen; in nicht wenigen sogar zu mehreren. So kündigte die Polizei auf dem Kirchentag letztes Jahr in Frankfurt mehrfach an, der Staatsschutz würde die Figur abbauen, wenn ich es als Verantwortlicher nicht machen würde. Natürlich bin ich der Aufforderung nicht nachgekommen. Ich bat den Beamten sogar darum, denn ein solch rechtswidriges Verhalten hätte uns mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder in die 20-Uhr-Nachrichten gebracht. Statt des Abbaus folgten stundenlange Telefonate mit den höchsten Ebenen der Polizei bis zur Landesebene und ich telefonierte mit der Stiftung und unseren Juristen. Die Figur und wir blieben standhaft. Die angedrohte Aktion des Staates blieb aus.

Reaktionen vor Ort

Egal mit welchem Thema und welcher Kunstaktion wir auftreten, die deutliche Mehrheit der Passanten ist begeistert von unseren Aktionen und die Reaktionen sind geprägt von Zustimmung, Interesse, Fotowünschen und manchmal ist sogar die Spendenbereitschaft unerwartet hoch. Darum übertreibe ich sicher nicht, wenn die wenige, jedoch zum Teil heftige Gegenwehr von Passanten, Behördenmitarbeiter und Beamten als unverzichtbares Zeichen für den Sportsgeist der Straßenaufklärung bezeichnet werden darf, der mich meist mehr erfreut, als gegenstandslose Zu­stimmung.

Ein Highlight aller Reaktionen auf unsere Proteste der letzten Jahre dürfte sicherlich die Zusage von Bischof Ackermann gewesen sein, mit mir zusammen während der DBK-Herbst­konferenz in Fulda vor laufender Kamera ein „sex Zentimeter“ langes Stück unserer Kunstinstallation „Die lange Bank“ abzusägen. Im Anschluss daran fand ebenfalls vor laufenden Kameras spontan ein so nie dagewesenes öffentliches Gespräch zwischen ihm und dem Vertreter des Eckigen Tischs Matthias Katsch statt.
Für mich persönlich war der bewegendste Moment der Besuch eines Missbrauchsbetroffenen, der extra in die Innenstadt von Köln gefahren war, um mir als erster Person in seinem Leben nach Jahrzehnten seinen erlebten Missbrauch zu gestehen, und der sich weinend für meine Arbeit bedankte. In solchen Momenten spürt man, dass man sich für das Richtige engagiert. Als Handwerksmeister ist mir nie Vergleichbares passiert. Schon für diesen einen Menschen haben sich die vielen Jahre Arbeit gelohnt.

Der Kampf geht weiter

Nüchtern betrachtet ist der Einfluss unserer Aktionen gegenüber der politischen Entscheidungsbene doch sehr begrenzt. Mitunter haben wir auch sehr ernüchternde und enttäuschende Erfahrungen gemacht. So dürfte zu unseren größten politischen Erfolgen und gleichzeitig Niederlagen die Ablehnung des Stadtrats in Münster zur Finanzierung des Katholikentages 2018 aus Steuermitteln gehören. Dort fand leider zwischen Ablehnung und Veranstaltung eine Kommunalwahl statt. Aus Machtgeilheit wollten danach zwei die Finanzierung zunächst ablehnende Parteien davon nichts mehr wissen und stimmten schließlich einer „Sachleistung“ zu, die dem Veranstalter „in bar“ überwiesen wurde. Selbst die vertraglich bestimmten Verwendungen wurden vom Katholikentag nicht eingehalten und die „Sachleistungsgelder“ zweckentfremdet. Juristisch wurde das bis heute nicht aufgearbeitet. Eine Anzeige inklusive Strafantrag von mir gegen den politisch Verantwortlichen wurde abgewiesen. Die nie aufgenommenen Ermittlungen „eingestellt“. Das dämpft natürlich das Vertrauen in einen Rechtsstaat erheblich. Aber das ist nichts im Vergleich zum positiven Feedback von der Straße und einer mittlerweile großen bundesweiten Fan­gemeinde.

Insgesamt haben wir dennoch viel bewegt. Wir konnten unzählige Menschen erreichen und haben wichtige Themen in der Öffentlichkeit platziert. Besonders seit dem Start der Aktion „Die Lange Bank“ mit allen damit verbundene öffentlichen Auftritten, kommt für unser Team ein nicht zu unterschätzender humanitärer Wert für eine Vielzahl von Betroffenen sexualisierter Gewalt hinzu. In diesen zwei Jahren arbeiteten wir immer wieder mit Betroffenen für ihre Interessen und die Stärkung ihrer Vernetzung zusammen. Sogar ein bundesweites Aktionsbündnis ist so entstanden.

Die Kunstaktion „Die Lange Bank“ habe ich in Zusammenarbeit mit der gbs vor zwei Jahren gegründet, da ich nicht mehr zusehen wollte, dass viele tausend Missbrauchsbetroffene nicht nur von den Täterorganisationen, der Justiz und der Politik, sondern auch von der Gesellschaft mit ihren Problemen alleine gelassen werden. Die „Lange Bank“ ist meine gebaute Anwort auf die seit 10 Jahren wiederholte Aus­sage des Missbrauchsbeauftragten Bischof Ackermann, dass „die Kirche die Aufarbeitung“ in Bezug auf den Missbrauchsskandal „nicht auf die Lange Bank schiebt“. Als Heimkind, Pflegekind und Ministrant, der nur wenig Gewalt erlebt hat, wollte ich meine Wut darüber nicht mehr hinter dem Nichtstun verstecken und in Mut umwandeln. Dieser Kampf „David gegen Goliath“ wird weitergehen. Doch David ist nicht allein. Ohne das seit der Erfindung des „11. Gebots“ gewachsene Team aus Giordano-Bruno-Stiftung, ihren Förderern und unzähligen Spen­dern, den Juristen vom Institut für Weltanschauungsrecht, dem unfassbaren Wissen von der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland wäre dieser Kampf nicht möglich.