Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 1/22 | Geschrieben von Gunnar Schedel

Keine Dokumentationsstelle für religiös motiviertes Mobbing in Berlin

Wer sich öfter mal mit Lehrkräften oder Menschen, die im weiten Feld der Sozialen Arbeit tätig sind, unterhält, kennt das Problem seit etwa zwei Jahrzehnten: Religiöse Unduldsamkeit kehrt in den Alltag zurück. Wer die Situation über Einzelfälle hinaus anspricht, darf sich heftiger Attacken sicher sein. Als jüngstes Beispiel dafür kann die Debatte um die vom Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung (DEVI e.V.) erstellte Bestandsaufnahme Konfrontative Religionsbekundungen in Neukölln gelten.

Der Verein unterhält verschiedene Pro
jekte gegen Rechtsextremis­mus, Grup­pen­bezogene Menschenfeind­lich­keit und Diskriminierung, berät Schulen und bietet Fortbildungen für das Lehr­personal an. Eines dieser Angebote ist (seit 2017) die Beratungs- und Fortbildungsstelle für weltanschauliche und religiöse Vielfalt. Die hat ihren Schwerpunkt in der Prävention von religiös begründeter Demokratie- und Menschenrechtsfeindlichkeit sowie im pädagogischen Umgang mit religiösem Mobbing, konfrontativer Religionsbekundung und islamistischer Ideologisierung. In den Schulen stieß das auf positive Resonanz, in der Bildungsverwaltung hingegen weniger: Schon für das Jahr 2021 gab es nur noch eine eingeschränkte öffentliche Förderung des Projektes.

Auf Initiative des Neuköllner Be­zirks­bürgermeisters hin wurde DEVI im Herbst 2021 damit beauftragt, eine Bestandsaufnahme zu erstellen, um den Bedarf einer „Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundung in Berlin-Neu­kölln“ auszuloten. Mit geringen Mitteln ausgestattet wurde diese Studie innerhalb weniger Wochen auf der Grundlage von Tiefeninterviews erstellt; evaluiert wurde das Vorhaben von der Ethnologie-Professorin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam Susanne Schröter.

Als im Dezember die 45-seitige Bestandsaufnahme vorlag, kam umgehend Gegenwind auf. „Unwissen­schaftlichkeit“ war dabei noch einer der freundlichsten Vorwürfe, mit dem sich DEVI konfroniert sah. Die Grünen-Politikerin Susanna Kahlefeld bezeichnete der Tageszeitung Die Welt gegenüber das Projekt als „fachlich falsch aufgesetzt“. Statt Lehrerkräften eine Hilfestellung zu bieten, wenn sich Schüler provozierend verhalten, sei „das Ziel einzig und allein, Religion an sich als ein Problem darzustellen“. Kahlefeld hat Theologie studiert und spricht sich seit Jahren für die Abschaffung des Berliner Neutralitätsgesetzes aus. Eine Grenze nach rechts ist bei ihr nur schwer auszumachen: 2016 nahm sie an einer Wahlveranstaltung in der Dar-as-Salam-Moschee teil und lobte in diesem Zusammenhang die „sehr gute Integrationsarbeit“ der Moschee, wie der Deutschlandfunk berichtete. Die Einschätzung, des Berliner Verfassungsschutzes, der Verbindungen der Moschee und ihres Trägervereins, der Neuköllner Begegnungsstätte, zur Muslimbruderschaft sieht, wischte Kahlefeld damals mit einer wissenschaftlich vielleicht auch nicht sonderlich soliden Beobachtung vom Tisch: „Ich war hier bei einem tollen großen Essen, wo uns die Geflüchteten eingeladen und bekocht haben. Da waren ganz viele Geflüchtete da. Und so etwas kann man nicht inszenieren.“

Tatsächlich ist die Debatte geprägt vom Kontext der Auseinandersetzungen um das Neutralitätsgesetz, in denen Teile von SPD, Grünen und Linken auf der Seite der religiösen Rechten stehen. Zudem erfährt derzeit in Deutschland jede Kontroverse, in der ein beliebiger Aspekt des Islams eine Rolle spielt, umgehend eine Zuspitzung auf die plumpe Gegenüberstellung „hier Migrationsgesellschaft, dort AfD“. Dass die Opfer religiös motivierten Mobbings in ihrer überwiegenden Zahl selbst Migrant:innen sind, fällt dabei unter den Tisch. Sie „stören“ die einfältige Schwarz-Weiß-Malerei von Kahlefeld & Co.

Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist die Stellungnahme von rund 100 Wissenschaftler:innen Was ist konfrontative Religionsbekundung? „Es 
ist ja schon das Wort ‘Allah’“. Ohne sich lange mit den wegen ihres abweichenden Verhaltens oder als unangemessen angesehener Kleidung drangsalierten Schüler:innen aufzuhalten, wird sofort auf Täter-Opfer-Umkehr umgeschaltet: „Vor dem Hintergrund der in der Gesellschaft weit verbreiteten antimuslimischen Einstellungen birgt dieses Projekt die Gefahr, die Diskriminierung einer bereits vielfach abgelehnten religiösen Minderheit zu befördern.“ Anstatt zu registrieren, dass „religiöse Minderheiten“ in der Größen­ordnung einiger Millionen Menschen selten homogen sind, sondern ihrerseits in unterschiedliche Gruppie­rungen zerfallen, die durchaus konkurrierende Lebensauffassungen vertreten, die zu Konflikten innerhalb der „religiösen Minderheit“ führen, wird das von der religiösen Rechten aufgebaute Bild der durch das Neutrali­täts­gesetz („Kopf­tuchverbot“) diskriminierten Minderheit bedient. Und das ist dann ungefähr so differenziert wie das Islambild der AfD.

Wer sich die Liste der Unterzeich­ner:innen genauer ansieht, bekommt eine Ahnung, warum die Ablehnung einer Dokumentation von Mobbingfällen durch einen Verein, der klar als säkular einzustufen ist, so aggressiv ausfällt: Ein auffällig großer Anteil der „Wissenschaftler:innen“ (streng genommen trifft diese Selbstbezeichnung nur auf etwa zwei Drittel der Personen zu) kommt aus theologischen Bereichen oder ist auf eine andere Weise mit religiösen Institutionen verbunden. Andere wie Prof. Dr. Iman Attia agieren seit Jahren gegen Menschenrechtspolitik, sofern sie mit Religionskritik einhergeht, oder haben wie Werner Schiffauer in ihren Publikationen eine weitestgehend unkritische Perspektive auf die religiöse Rechte erkennen lassen. Die Stellungnahme muss insofern vor allem als Versuch religionsnaher Kreise verstanden werden, kein Stück von ihrer Definitionsmacht abzugeben, mit was Religion in Beziehung gebracht werden darf und mit was nicht. Religion als Auslöser von Diskriminierung liegt in dieser Vorstellungswelt außerhalb des Bereiches des Denkbaren und darf folglich weder analysiert noch dokumentiert werden.

Die Diffamierung der Bestandsauf­nahme sowie derer, die sich positiv dazu geäußert hatten, fand dann in einer Art „Arbeitsteilung“ in der Parlamentsdebatte vom 10. Februar 2022 statt. Der Untersuchung wurde vorgehalten, dass sie „rassistische Sprachbilder reproduziert“ (Orkan Özdemir, SPD), die Gutachterin wurde als „eine Professorin, die regelmäßig in rechten Netzwerken publiziert“, beschrieben (Susanna Kahlefeld, Grüne). Und natürlich, das gehört zur Standard­rhetorik der Handlanger:innen der religiösen Rechten, wurde DEVI (eine Einrichtung, die seit Jahren an Schulen Aufklärungsarbeit gegen Rechts­popu­lismus leistet) mit der AfD in einem Atemzug genannt.

Da sich die AfD dann tatsächlich dafür aussprach, eine Beobachtungsstelle für Konfrontative Religionsbekundungen einzurichten, war klar, dass es für das Projekt in absehbarer Zeit keine öffentliche Finanzierung geben würde. Trotzdem haben der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und Projekt 48 von den zuständigen Senatsverwaltungen in einem Brief gefordert, eine entsprechende Stelle einzurichten, die religiös motiviertes Mobbing dokumentiert. Die Parteien, die sich gegen das Konzept ausgesprochen hatten, wurden mit Argumenten konfrontiert, die klar machen sollen, dass ihre Haltung der religiösen Rechten in die Hände spielt und dass sie die säkularen Migrant:innen im Stich lassen.

Spendenaufruf

DEVI e.V., der „Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung“, betreibt diverse Projekte zur Förderung demokratischen Denkens im schulischen Raum.
Während es für den Bereich der Rechtsextremismus-Prävention öffentliche Mittel gibt, erhielten die „Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundung“ keine öffentliche Förderung. Um diesbezüglich weiterhin für die Schulen ansprechbar zu sein, benötigt der Verein eine Summe von 25.000 Euro.

Die Kontoverbindung:

DEVI e.V. – Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung

IBAN DE56430609671147817300
BIC GENODEM1GLS