Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 1/18 | Geschrieben von Redaktion MIZ

„Der schlechteste Tag des Jahres für einen religionsübergreifenden Feiertag“

Ein Gespräch mit Michael Fürst über den Reformationstag als gesetzlichen Feiertag

Nach Schleswig-Holstein und Hamburg will nun auch Niedersachsen den Reformationstag zum gesetzlichen Feiertag machen – obwohl die Entscheidung aus unterschiedlichen Richtungen kritisiert wurde. Auch aus den Jüdischen Gemeinden wurde Ablehnung signalisiert. Für die MIZ sprach Petra Bruns mit Michael Fürst, dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen.

MIZ: Herr Fürst, ist aus Sicht der Jüdischen Gemeinden der Reforma­tionstag ein geeigneter Feiertag für Nie­dersachsen?

Michael Fürst: Auf keinen Fall. Es ist der schlechteste Tag des Jahres für den von der Landesregierung vorgesehenen religionsübergreifenden Feiertag.

MIZ: Die evangelische Kirche betont gern, dass der Reformationstag kein „Luther-Heldentag“ ist, wie sehen Sie das?

Michael Fürst: Das ist eine nachgeschobene Argumentation, als man merkte, dass sich offensichtlich übersehene Probleme auftaten. Der Refor­mationstag ist für Jedermann mit dem Lutherschen Thesenanschlag synonym. Die Reformation selbst ist an allen anderen 364 Tagen ebenfalls erinnerungswert.

MIZ: Die antisemitischen Schriften von Luther sind bekannt. Die Tradition bis zu den Nationalsozialisten ist be
kannt. Wie schätzen sie das Geschichts­verständnis derzeit ein? Sind Luthers Schriften antijudaistisch? Sind Luthers Schriften antisemitisch?

Michael Fürst: Den Begriff antisemitisch gab es vor 500 Jahren nicht. Der Antijudaismus ist aber gleichbedeutend. Das fehlende Geschichtsverständnis und die fehlende Feinfühligkeit sind für mich unverständlich und stimmen mich traurig. Vielleicht ist den Mitgliedern der Landesregierungen und den Ab­geordneten der norddeutschen Bundesländer nicht bekannt, was einer der Chefideologen der Nazis, der Herausgeber des Stürmers Julius Streicher, auf der Anklagebank beim Nürnberger Tribunal sagte: Wenn ich hier als Angeklagter sitze, dann müsste neben mir auch Dr. Martin Luther sitzen. Luther war ein bekennender Antisemit in seinen letzten Lebensjahrzehnten. Das lässt sich nicht mit „in seiner Zeit“ begründen und erst recht nicht rechtfertigen.

MIZ: Wird Ihrer Meinung nach damit die antijudaistische Position Luthers mit der Einführung des Luther-Re­formationstag in Niedersachsen salonfähig gemacht?

Michael Fürst: Nein, das sicherlich nicht, weder gewollt noch fahrlässig herbeigeführt.

MIZ: Ist das Treffen mit Minister­präsident Weil bezüglich einer Dis­kussion über einen neuen Feiertag Ihrer Meinung nach vom Ergebnis her offen gewesen?

Michael Fürst: Das glauben die jüdischen Beteiligten nicht. Es war ein Versuch, eine zwingend notwendige vorherige Anhörung der Verbände, also vor der Festlegung auf den Tag, nachdem es schiefgelaufen war, scheinbar offen zu gestalten.

MIZ: Die evangelische Kirche hat den Reformationstag nicht gefordert, die Jüdischen Gemeinden und die katholische Kirche lehnen ihn ab, säkulare Verbände fordern einen weltlichen Feiertag – warum hält Herr Weil Ihrer Meinung nach dennoch ausgerechnet am Reformationstag fest?

Michael Fürst: Wenn ich das wüsste, könnte man offen diskutieren. So erschließt sich mir die Festlegung nicht.

MIZ: Sehen Sie resp. die Jüdische Ge­meinde es als einen Weg hin zu mehr Gleichstellung an, wenn kleinere Reli­gionsgemeinschaften gesetzliche (und 
nicht nur geschützte) Feiertage bekommen, z.B. die (sunnitischen) Muslime (auch angesichts von über einem Drittel Konfessionslosen und mittlerweile über 150 bestehenden Religionsgemeinschaften in Deutsch­land)?

Michael Fürst: Nein, das sehe ich nicht. Wir fühlen uns durchaus gleichgestellt und haben auch weiterhin ein hervorragendes Verhältnis zur Landesregierung und zu den anderen Religionsgemeinschaften, auch wenn wir im konkreten eine deftige Auseinandersetzung haben.

Information
Der Reformationstag in Norddeutschland

Der „Reformationstag“ liegt auf dem 31. Oktober, dem legendären Datum von Luthers Thesenanschlag an der Witten­berger Schlosskirche. Evangelische Chris
ten gedenken an diesem Tag der Refor­mation, aus der ihre Konfessionen hervorgegangen sind. Seit dem 17. Jahrhundert galt der Tag als kirchlicher Feiertag (wobei das „Reformationsfest“ teils auf den folgenden Sonntag gelegt wurde). Im Laufe des 20. Jahrhunderts ging der Status als „staatlicher“ Feiertag in ganz Deutschland verloren.
Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 wurde der Reformationstag in allen neuen Bundesländern zum gesetzlichen Feiertag. Anfang Februar 2018 kamen die Ministerpräsidenten der norddeutschen Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen überein, die Einführung des Reformationstages als gesetzlicher Feiertag zu empfehlen bzw. den Landesparlamenten zur Ab­stimmung vorzulegen. Noch im selben Monat wurden die Feiertagsgesetze in Schleswig-Holstein und Hamburg entsprechend geändert.
In Niedersachsen erfolgte Anfang März ein Kabinettsbeschluss. Anders als im Kieler Landtag, wo eine Allianz aus CDU und Alternative für Deutschland (AfD) den Reformationstag als neuen Feiertag gegen Forderungen nach einem säkularen Feiertag durchsetzte, wird dies in Hannover von einer großen Koalition betrieben.
Kritik kam nicht nur aus den jüdischen Gemeinden, auch säkulare Verbände wenden sich gegen einen Feiertag, dem eine vor allem religiöse Bedeutung zukommt, und auch aus der eigenen Partei bekommt Ministerpräsident Weil Gegenwind. Als weltliche Alternativen sind u.a. das Datum des Kieler Matrosenaufstandes, der Weltfrauentag oder die Tage, an denen Grundgesetz oder Landesverfassung in Kraft traten, im Gespräch.