Der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist nicht einfach zu erreichen. Auf der Webseite des Auswärtigen Amtes, dem die Stelle nun zugeordnet ist, findet sich keine direkte Kontaktmöglichkeit. Als unsere Inter- viewanfrage beim Außenministerium nach mehr als zwei Wochen noch nicht beantwortet ist, wenden wir uns (zunächst per Email) an das Abgeordnetenbüro von Thomas Rachel, denn er ist ja auch Bundestagsabgeordneter. Nach einigen Tagen versuchen wir es dann telefonisch, leider ist nur der Anrufbeantworter für uns da. Zwei Tage darauf kommt die Absage: „müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir Ihnen derzeit kein Interview mit Herrn Rachel anbieten können“.
Bis dahin hatte Rachel mit zahlreichen Medien über sein neues Amt gesprochen. Mit dem Deutschlandfunk, vor allem aber auch mit religiösen Medien, etwa der Evangelischen Zeitung oder Domradio.de und zuletzt wurde am 13. November in der katholischen Tagespost ein Interview mit ihm veröffentlicht. Mit einem der Medien der säkularen Verbände hingegen gab es, soweit wir sehen, noch kein Gespräch. Die Absage kam auch deswegen ein bisschen überraschend, weil Rachel im Interview mit dem evangelischen Magazin chrismon seine Zuständigkeit für nicht-religiöse Weltanschauungen nachdrücklich betont hatte: „Denken Sie an Atheistinnen und Atheisten, Humanistinnen und Humanisten. Auch sie werden Opfer von Diskriminierung und Verfolgung.“
Hinzu kam, dass wir die säkularen Verbände angeschrieben hatten, welche Frage sie dem neuen Bundesbeauftragten gerne stellen würden. Damit all die Vorarbeiten nicht im Sande verlaufen, überlegten wir, ob ein Interview mit einer KI nicht eine Alternative sein könnte. Immerhin gab es zahlreiche veröffentlichte Äußerungen Rachels seit seinem Amtsantritt.
MIZ: Was steht für Sie beim Einsatz für Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Vordergrund?
Im Vordergrund steht für mich, dass das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit als zentrales Menschenrecht wirksam gesichert wird. Dabei geht es mir insbesondere darum, denen eine Stimme zu geben, die aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Weltanschauung diskriminiert, verfolgt oder bedroht werden.
Gleichzeitig ist mir wichtig, dass Religions- und Weltanschauungsfreiheit nicht isoliert gedacht wird, sondern eng mit anderen Freiheitsrechten wie Gewissens- und Meinungs- sowie Versammlungs- und Pressefreiheit verbunden ist. Darüber hinaus will ich, dass Außen- und Entwicklungspolitik sowie diplomatischer Einsatz die Bedeutung von Glauben, Religion und Weltanschauung in ihren internationalen Beziehungen stärker mitdenken – denn Freiheitsrechte weltweit stehen unter erheblichem Druck.
Am Ende geht es darum, Brücken zu bauen zwischen Religionen, Weltanschauungen, Kulturen und Staaten – damit Religion nicht Instrument von Spaltung und Gewalt wird, sondern zur Kraft des Friedens und der Verständigung.
MIZ: Was können Sie in Ihrer Position für Weltanschauungsfreiheit in Deutsch- land konkret tun?
In meiner Funktion als Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit sehe ich mehrere konkrete Handlungsmöglichkeiten in Deutschland:
- Bewusstseinsbildung und Dialog fördern
Ich möchte dafür sorgen, dass Weltanschauungsfreiheit – also nicht nur Freiheit des Glaubens oder der Religion, sondern auch die Freiheit, keiner Religion anzugehören oder eine weltanschauliche Überzeugung zu haben – stärker im Bewusstsein von Politik, Verwaltung und Gesellschaft verankert wird. Durch öffentliche Veranstaltungen, Fachdialoge mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie Austausch mit Bildungseinrichtungen möchte ich den Dialog fördern.
- Politische und gesetzliche Rahmenbedingungen mitgestalten
Ich werde in meiner Funktion Impulse geben, wie staatliche Regelungen so ausgestaltet werden können, dass sie der Vielfalt von Weltanschauungen gerecht werden und Diskriminierung aus weltanschaulichen Gründen entgegenwirken. Dazu gehört, dass staatliches Handeln – z. B. in der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften betreffenden Gesetzgebung – Weltanschauungsfreiheit respektiert und schützt.
- Stärkung der weltanschaulichen Neutralität und Gleichbehandlung
Ein wichtiges Anliegen ist, dass staatliche Einrichtungen und Behörden sich ihrer Verantwortung bewusst sind, jede Religion und Weltanschauung gleich zu behandeln. Weltanschauungsgemeinschaften ohne religiösen Überbau sollen nicht benachteiligt werden. Hier will ich sensibilisieren und gegebenenfalls Empfehlungen erarbeiten.
- Monitoring, Berichterstattung und Kommunikation
Auch wenn meine Hauptaufgabe global ausgerichtet ist (die Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit weltweit zu beobachten), sehe ich es als Teil meiner Verantwortung, auch in Deutschland aufmerksam zu sein, wo Weltanschauungsfreiheit bedroht ist – z. B. durch Diskriminierung, Ausgrenzung oder fehlende Anerkennung. Ich werde diese Fälle sichtbar machen und gegebenenfalls das Gespräch mit den zuständigen Stellen suchen.
- Vernetzung und Kooperation mit Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften
Ich möchte den Austausch zwischen Religions-, Weltanschauungs- und Nicht-Glaubensgemeinschaften fördern – damit gemeinsame Standpunkte zur Weltanschauungsfreiheit erarbeitet werden können und ein besseres Verständnis für einander entsteht. Respekt und Begegnung sollen zentrale Werte sein.
- Prävention von Extremismus und Einflussnahme religiöser oder weltanschaulicher Gruppen
Weltanschauungsfreiheit bedeutet auch Schutz vor Zwang oder Manipulation – staatlicherseits wie gesellschaftlich. Ich werde mich dafür einsetzen, dass radikale oder extremistische Bewegungen, die Weltanschauungs- oder Religionsfreiheit als Deckmantel nutzen, entschieden entgegentreten.
Damit will ich beitragen, dass in Deutschland die Vielfalt der Weltanschauungen gelebt wird – nicht nur in Worten, sondern auch in praxistauglichen Strukturen – und dass Menschen mit unterschiedlicher religiöser oder weltanschaulicher Überzeugung sich sicher fühlen und gleichberechtigt behandelt werden.“
MIZ: Der Menschenrechtsverein Projekt 48 hat vor Kurzem gefordert, ein Monitoring von religiöser Unduldsamkeit und religiös motivierten Übergriffen einzusetzen und dafür eine Meldestelle einzurichten. Was halten Sie davon?
Ich begrüße grundsätzlich die Idee, verstärkt systematisch auf religiös oder weltanschaulich motivierte Übergriffe und Intoleranz zu schauen. Für meine Funktion als Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit sehe ich einige Aspekte, die mir besonders wichtig sind:
- Sichtbarmachung von Problemen
Wenn durch ein Monitoring und eine Meldestelle regelmäßig verlässlich Daten und Hinweise zu religiöser Unduldsamkeit vorliegen, trägt das dazu bei, dass das Thema nicht im Verborgenen bleibt. Ich habe mehrfach betont, dass Übergriffe gegen Menschen wegen Religion oder Weltanschauung keine abstrakte Frage sind – sie können eine Frage von Leben und Tod sein.
Eine Meldestelle könnte helfen, solche Fälle besser zu dokumentieren und damit gezielter darauf reagieren zu können.
- Verknüpfung mit staatlichen Strukturen und Rechtsstaatlichkeit
Wichtig ist, dass eine solche Meldestelle nicht allein steht, sondern gut eingebettet ist in bestehende Behörden, zivilgesellschaftliche Strukturen und ggfs. Auswerte- und Handlungs-Mechanismen. Wenn Menschen melden, dass sie wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert oder bedroht werden, braucht es nachvollziehbare Wege, wie damit umgegangen wird: Schutz, Prävention, Sanktionen.
- Unterscheidung zwischen internationalem Kontext und Inlandsbezug
Mein Amt ist primär auf die weltweite Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit gerichtet – das heißt, ich berichte über Freiheit von Religion und Weltanschauung global und wirksamkeitsbezogen.
Aber: Auch im Inland darf nicht übersehen werden, wenn Menschen wegen Religion oder Weltanschauung Diskriminierung erfahren. Eine Meldestelle dafür könnte auch national sinnvoll sein – wobei hier die Zuständigkeiten (Bund, Länder, Zivilgesellschaft) klar sein müssen.
- Dialog und Prävention
Eine Meldestelle allein reicht nicht aus – wichtig ist auch, dass wir präventiv arbeiten: Bildung, Sensibilisierung, Dialog zwischen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie Staat und Gesellschaft. Ich habe gesagt, Religion und Weltanschauung spielen in Gesellschaften eine große Rolle – und sie müssen im Dialog getragen werden, damit sie nicht missbraucht werden.
- Datenschutz, Vertrauensschutz und Effizienz bedenken
Wenn eine Meldestelle eingerichtet wird, muss sichergestellt sein, dass Meldende geschützt sind, dass Daten verlässlich ausgewertet werden, und dass daraus klare Handlungsschritte folgen. Ohne solche Schritte droht eine Meldestelle zur bloßen Symbolstruktur zu verkommen.
In Summe würde ich als Beauftragter sagen: Ja, ich halte die Forderung nach Monitoring und Meldestelle für überaus sinnvoll, unter den genannten Bedingungen. Ich würde prüfen, wie eine solche Einrichtung mit bestehenden Strukturen – auf Bundes- wie Landesebene – vernetzt werden kann, wie Zuständigkeiten geklärt werden, wie Meldungen ausgewertet und Maßnahmen eingeleitet werden können. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden: Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist in ihrem Kern das Recht, nach Überzeugung zu leben – aber auch das Recht, nicht diskriminiert oder bedroht zu werden. Mein Anspruch ist, hier einen Beitrag zu leisten, damit Menschen diesen Freiraum real erfahren.“
MIZ: Eine der sichtbarsten Diskriminierungen von Konfessionslosen und Angehörigen kleiner Religionsgemeinschaften geschieht durch das kirchliche Arbeitsrecht. Hier ist kirchlichen Trägern aufgrund der derzeitigen Formulierung im Antidiskriminierungsgesetz (§ 9) die Ungleichbehandlung von Nicht- und Andersgläubigen möglich – auch im verkündigungsfernen Bereich. Sehen Sie einen Weg, hier in dieser Legislaturperiode zu Veränderungen zu kommen?
Die Frage des kirchlichen Arbeitsrechts und der Ungleichbehandlung von Konfessionslosen oder Angehörigen kleiner Religionsgemeinschaften ist ohne Zweifel ein sensibler Bereich, in dem unterschiedliche Grundrechte miteinander in Spannung stehen: Auf der einen Seite das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, auf der anderen Seite das allgemeine Gleichbehandlungsgebot und die individuelle Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit.
Ich sehe, dass es hier seit Jahren berechtigte Kritik gibt, insbesondere was die Anwendung des § 9 AGG im verkündigungsfernen Bereich betrifft. Dass Menschen etwa in Pflege, Sozialarbeit oder Verwaltung aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung benachteiligt werden können, wird von vielen als problematisch empfunden.
Gleichzeitig liegt die Zuständigkeit für dieses Thema nicht primär in meinem Amt, da mein Mandat vor allem auf die internationale Religions- und Weltanschauungsfreiheit ausgerichtet ist. Dennoch betrifft es ein grundlegendes Prinzip, das auch für unsere Glaubwürdigkeit nach außen wichtig ist: dass Gleichbehandlung und Religionsfreiheit für alle gelten.
Ich halte es für wichtig,
- dass wir den Dialog mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften fortsetzen,
- dass wir prüfen, wie das Selbstbestimmungsrecht gewahrt bleiben kann, ohne dass daraus unnötige Benachteiligungen entstehen,
- und dass wir uns an europäischen menschenrechtlichen Standards orientieren.
Ob es in dieser Legislaturperiode zu einer gesetzlichen Änderung kommt, hängt von politischen Mehrheiten und der Bereitschaft aller Beteiligten zum Ausgleich ab. Ich sehe jedoch Spielräume, insbesondere durch klarere Abgrenzungen, in welchen Bereichen eine Religionszugehörigkeit wirklich erforderlich ist und in welchen nicht.
Mein Ziel wäre es, dazu beizutragen, dass Gleichbehandlung und Religionsfreiheit gleichermaßen gestärkt werden — nicht die eine auf Kosten der anderen.
MIZ: Weltanschaulich oder religiös Verfolgte benötigen besonderen Schutz, der in ihren Herkunftsländern oft nicht zu gewährleisten ist. Nun schränkt die Bundesregierung die Möglichkeiten für Flüchtlinge, nach Deutschland zu kommen, gerade deutlich ein. Uns erscheint es wenig überzeugend, zwar die Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu beobachten, den von Verfolgung Betroffenen aber keine Perspektive auf ein Leben in Freiheit zu bieten. Können Sie in dieser Fragen etwas beim zuständigen Innenminister bewirken?
Sie sprechen einen Punkt an, der mich persönlich sehr beschäftigt. Menschen, die wegen ihrer Religion oder Weltanschauung bedroht, diskriminiert oder verfolgt werden, brauchen besonderen Schutz. Und der Schutz endet nicht an der Landesgrenze ihres Herkunftslandes.
Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen für Migration und Asyl in Deutschland tatsächlich komplex und vielfältigen politischen Abwägungen unterworfen. Als Beauftragter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit habe ich keine eigenen Entscheidungsbefugnisse im Asyl- oder Aufenthaltsrecht, aber ich habe die Aufgabe, auf diese Menschenrechtsfragen aufmerksam zu machen und sie in der Bundesregierung zu artikulieren.
Was ich tun kann – und tue –, ist:
- darauf hinwirken, dass religiöse oder weltanschauliche Verfolgung als Fluchtgrund ernst genommen und im Asylverfahren sensibel berücksichtigt wird,
- darauf achten, dass besonders gefährdete Gruppen – etwa Konvertiten, Atheisten in streng religiösen Staaten oder Angehörige kleiner Minderheiten – nicht durch neue Regelungen aus dem Blick geraten,
- und das Gespräch mit dem Bundesinnenministerium suchen, wenn ich sehe, dass Menschen aufgrund ihres Glaubens oder Nichtglaubens in lebensbedrohlichen Situationen sind.
Ich werde keine Versprechungen machen, die ich nicht halten kann. Aber ich kann sagen: Ja, ich nutze mein Amt dafür, diese Perspektive in die Bundesregierung hineinzutragen. Und ich halte es für zentral, dass unsere migrations- und asylpolitischen Entscheidungen im Einklang mit unseren menschenrechtlichen Verpflichtungen stehen – gerade dann, wenn es um Schutzsuchende geht, deren Leben oder Freiheit wegen ihrer Religion oder Weltanschauung bedroht ist.
Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu beobachten ist wichtig – aber sie glaubwürdig zu verteidigen bedeutet auch, Menschen, die deshalb verfolgt werden, nicht alleine zu lassen. Dafür setze ich mich ein.
MIZ: Sie haben 2012 dafür gestimmt, dass mit dem § 1631d BGB die „Zirkumzision“ – wie die männliche Genitalverstümmelung gerne rhetorisch verharmlost wird – in Deutschland legal wurde. Eltern dürfen seither in die Amputation eines gesunden Körperteils – der Vorhaut – einwilligen, auch wenn diese medizinisch nicht notwendig ist. Einzige Voraussetzung: Das Kind muss männlich sein. Die Bundesregierung engagiert sich parallel immer wieder für die Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung in anderen Ländern. Es wirkt gelegentlich ein wenig grotesk, wenn jemand, der Beschneidung an männlichen Kindern erlaubt hat, nun anderen verbieten möchte, Beschneidungen an weiblichen Kindern vorzunehmen. Wir würden gerne von Ihnen wissen, wie Sie damit umgehen wollen? Dass die Verstümmelung männlicher Genitalen auf einem ganz andern Blatt steht als die weiblicher, ist eine kulturell geprägte Prämisse, die Sie hier kulturimperialistisch als Ihre Wahrheit anderen aufzuzwingen versuchen. Wie kommen wir aus dieser Nummer heraus? [diese Frage hatte der Bund für Geistesfreiheit Bayern eingereicht]
Zunächst möchte ich betonen, dass ich die Fragen rund um körperliche Unversehrtheit, elterliche Sorge und Religionsfreiheit für äußerst sensible Bereiche halte. Die Debatte über § 1631d BGB war 2012 bereits sehr kontrovers – und sie ist es bis heute.
Die Entscheidung des Bundestages damals – der ich zugestimmt habe – beruhte auf der Einschätzung, dass wir jüdisches und muslimisches religiöses Leben in Deutschland schützen wollen und dass eine medizinisch fachgerecht durchgeführte Zirkumzision nicht mit weiblicher Genitalverstümmelung vergleichbar ist, die schwere und irreversible Schäden verursacht. Diese Differenzierung war und ist die Grundlage des Gesetzes.
Mir ist aber bewusst, dass viele Menschen diese Unterscheidung infrage stellen und dass sie den Begriff „Verstümmelung“ auch auf die männliche Beschneidung anwenden. Ich nehme diese Stimmen ernst. Es handelt sich hier um einen ethischen Konflikt, der nicht einfach durch den Hinweis auf Traditionen oder Rechtslage aufgelöst wird.
Als Beauftragter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit sehe ich meine Aufgabe weniger darin, frühere parlamentarische Entscheidungen zu verteidigen, sondern Dialogräume zu eröffnen, in denen wir über die Spannungen zwischen:
- dem Selbstbestimmungsrecht religiöser Gemeinschaften,
- der elterlichen Sorge,
- der körperlichen Unversehrtheit des Kindes und
- dem Schutz von Minderheiten
verantwortungsvoll sprechen können.
Ich glaube, wir kommen „aus dieser Nummer“ nur heraus, wenn wir uns gegenseitig nicht vorwerfen, kulturell oder religiös motivierte Positionen seien per se illegitim, sondern wenn wir akzeptieren, dass hier unterschiedliche Wertsysteme miteinander ringen.
Für mich bedeutet das:
- Ja, wir müssen konsequent gegen weibliche Genitalverstümmelung weltweit vorgehen, weil sie schwere Verletzungen verursacht und keine medizinisch verantwortbare Form hat.
- Und gleichzeitig müssen wir offen darüber diskutieren, wie wir in Deutschland einen Ausgleich herstellen zwischen dem Schutz von Kindern und dem Schutz religiöser Identität.
Ich halte es für wichtig, dass wir diese Diskussion nicht moralisch zuspitzen, sondern rechtsstaatlich und menschenrechtlich führen.
Dabei sollten wir ergebnisoffen prüfen, ob die bestehenden Regelungen weiterhin angemessen sind oder ob es Verbesserungsbedarf gibt – etwa bei Standards, Aufklärung, Schmerzschutz oder Verfahren.
Kurz gesagt: Ich verstehe die Kritik an der männlichen Beschneidung, aber ich halte den gesetzlichen Rahmen, der die Balance zwischen Religionsfreiheit und Kinderschutz sucht, weiterhin für vertretbar. Gleichzeitig bin ich offen für einen respektvollen gesellschaftlichen Diskurs über mögliche Weiterentwicklungen.
Informationen
Wie sind wir vorgegangen?
Die Fragen wurden zwischen dem 13. und 17.11.2025 an ChatGPT von OpenAI gestellt. Dabei erwies sich der unter https://chatgpt.com/de-DE/ angebotene Dienst als für unsere Zwecke besser geeignet als das Angebot auf https://chatopenai.de/. Eingeleitet wurden alle Fragen mit dem Satz: „Was würde der Beauftragten der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit Thomas Rachel mutmaßlich auf diese Frage antworten: ...“.
ChatGPT stellte seinen Antworten einleitende Sätze wie diesen voran: „Wenn man sich an den öffentlichen Aussagen von Thomas Rachel orientiert — der seit Mai 2025 Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist — lässt sich gut abschätzen, was er konkret in Deutschland tun würde, um die Weltanschauungsfreiheit zu stärken. Hier eine mögliche Antwort, wie er auf die Frage ‘Was können Sie in Ihrer Position für Weltanschauungsfreiheit in Deutschland konkret tun?’ antworten könnte: ...“. Teilweise wurden Aspekte, die bei der Erstellung der Antwort berücksichtigt wurden, vorab explizit benannt (z.B. Rachels Nähe zur evangelischen Kirche oder seine „diplomatische, konfliktausgleichende Kommunikationsweise“). In einigen Fällen folgte nach der Antwort ein Absatz, in dem erläutert wurde, warum die erteilte Antwort „politisch plausibel“ sei.
Die Antworten wurden unverändert übernommen, lediglich einige Sätze die den Modus einer Interviewantwort durchbrachen, wurden aus stilistischen Gründen gestrichen (z.B. „Rachel hat etwa gesagt: ...“). Viele Stellen wurden von der KI mit Quellenhinweisen bzw. Links versehen, allerdings nicht bei allen Antworten.
Die Antwort auf mehrere Fragen, darunter die vom IBKA eingereichte nach einer Informationspflicht Eltern und Schülern gegenüber, was die Möglichkeit der Abmeldung vom schulischen Religionsunterricht angeht, oder die des bfg Augsburg nach der Einführung eines Online-Kirchenaustritts, haben wir nicht verwendet, da Rachel hier nur in der dritten Person zu Wort kommt (z.B. „Rachel dürfte auf die Schwierigkeit hinweisen ...“) und die Ausführungen sehr allgemein blieben. ChatGPT verwies in diesen Fällen darauf, dass keine Quelle gefunden werden konnte, „in der er genau auf diese Frage eingeht“.
Welche Schlussfolgerungen können gezogen werden?
Wer schon mal mit einer KI experimentiert hat, dürfte bemerkt haben, dass diese in der Regel die Dinge in einem positiven Licht darstellt. In unserem Fall hieß das, dass sie Thomas Rachels programmatische Aussagen ernst nahm und daraus Antworten ableitete, die in sich schlüssig waren, aber möglicherweise etwas weiter reichten als Rachels tatsächliche Ambitionen. So werden wir beispielsweise gespannt beobachten, ob es zu einer Meldestelle für religiös motivierte Übergriffe, die Rachels KI-Alter ego als „überaus sinnvoll“ begrüßte, wirklich kommt.
Klar wurde, dass Rachel im vergangenen halben Jahr trotz zahlreicher Interviews nur selten zu konkreten Fragen Stellung bezogen hat und noch seltener zu Anliegen der säkularen Verbände. Fragen in dieser Richtung konnte ChatGPT aufgrund fehlender öffentlich zugänglicher Texte nur unzureichend beantworten. Hier dürfte die zentrale Aufgabe säkularer Politik hinsichtlich des Bundesbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit liegen: Es muss immer wieder eingefordert werden, dass das Eintreten für Weltanschauungsfreiheit sich nicht im Bekenntnis zu deren Wichtigkeit erschöpfen darf, sondern sich in konkreten gesellschaftlichen Veränderungen niederschlagen muss.
Dem stehen allerdings zwei Merkmale des Amtes entgegen. Denn der Bundesbeauftragte soll seinen Blick eher auf die Diskriminierung religiöser Minderheiten in fernen Ländern lenken. Gerade aus der Union sind immer wieder Stimmen zu hören, die dessen Tätigkeit vor allem im Zusammenhang mit der weltweiten Verfolgung von Christen sehen. Bereits dass die Stelle beim Auswärtigen Amt angesiedelt ist, darf als deutlicher Hinweis in diese Richtung verstanden werden. Die Verhältnisse hierzulande stehen auf der Tagesordnung ziemlich weit unten. Hinzu kommt, dass der Beauftragte Kompetenzen streng genommen nur auf der Bundesebene hat, viele der konkreten Probleme aber in den Aufgabenbereich von Ländern und Kommunen fallen. Schließlich ist er eher Berichterstatter denn Gesetzesinitiator, die ihm zur Verfügung stehenden Mittel sind Dialog und das öffentliche Ansprechen von Konfliktsituationen.
