Dies sollte jedoch niemanden überraschen. Laut der Umfrage The Global Index of Religiosity and Atheism1 (Globaler Index zu Religiosität und Atheismus), die kürzlich weltweit durchgeführt wurde, ist Afrika die strenggläubigste Region der Welt. Der schwarze Kontinent hat weltweit die wenigsten bekennenden Atheisten. Ich denke, diese Umfrage spiegelt ganz klar den Status der Atheisten und des Atheismus in der Region wider. Bezogen auf Religion liegt Nigeria hinter Ghana, wobei 93 Prozent angaben, religiös zu sein. Ich denke, weniger Nigerianer würden sich als religiös bezeichnen, wenn ihnen Sicherheit versprochen würde und sie nicht schikaniert würden, sobald sie sich öffentlich als Atheisten zu erkennen geben.
Atheismus als Tabu
Atheismus ist somit ein Tabu in Nigeria. Es ist verabscheuungswürdig, öffentlich zu verkünden, dass Gott nicht existiert. Es ist nicht sicher und auch nicht üblich zuzugeben, ein Atheist zu sein. Die Reaktionen reichen von hämischem Unglauben über Schock und Wut bis hin zu Hass. Atheismus geht mit hohen Kosten einher – soziale und politische Konsequenzen, die viele Menschen sich nicht leisten können. Im Allgemeinen wird Atheisten kein Respekt gezollt. Sie werden nicht mit Würde, als gleichberechtigte Menschen behandelt. Tatsächlich ist es in Nigeria besser und sozial mehr akzeptiert, sich zum Glauben an irgendeinen Gott oder irgendeine Religion zu bekennen, als sich zu keiner zu bekennen und an keinen Gott zu glauben. Viele Menschen würden keinen Atheisten in ihr Haus einladen. Der landläufige Glaube ist, dass Atheisten schreckliche Menschen sind, Agenten des Teufels, denen es am üblichen moralischen Anstand fehlt. Viele Menschen werden glauben gemacht, dass Atheisten ihren Verstand oder ihre „Seelen“ verderben können, sie dazu bringen können, vom rechten Weg abzukommen, und sie ins Höllenfeuer und die ewige Verdammnis führen.2 Tatsächlich macht die Idee des Atheismus den meisten Nigerianern Angst. Viele Menschen möchten nicht mit diesem Etikett versehen werden, nicht mit diesen Ansichten in Verbindung gebracht werden. Die meisten Nigerianer glauben, dass sämtliche Bestrebungen sich auf Gott gründen sollten, egal wie absurd oder vage eine solche Idee ist.
Atheismus und Heirat
Die meisten Nigerianer knüpfen Kontakte und heiraten entlang religiöser und theistischer Linien. Das Thema der Religion und des Glaubens an Gott spielt eine große Rolle, wenn Ehen geschlossen werden. Somit haben es Atheisten – selbst erklärte Atheisten – schwer, Partner zu finden, es sei denn, sie sind bereit zu konvertieren, ihrem Atheismus zu entsagen oder ihn geheim zu halten. Leider ist es der Traum der meisten jungen Nigerianer, in einer Kirche oder Moschee zu heiraten, oder sie möchten, wenn eine solche Ehe in einem Gericht oder einer Kanzlei geschlossen wird, ihre Heirat von einem Geistlichen segnen lassen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass gesegnete Ehen besser verlaufen als die ohne solch theistische Theatralik.
Atheismus und Familienunterstützung
In Nigeria riskiert jeder, der mit seinem oder ihrem Atheismus an die Öffentlichkeit geht, die Unterstützung, Obhut und Solidarität seiner Familie zu verlieren. Während einer Veranstaltung in Abuja besuchte 2003 eine muslimische Frau, die landesweit für ihre liberalen und fortschrittlichen Ideen gefeiert wird, unseren humanistischen Infostand. Nach einer kurzen Erklärung, worum es beim Humanismus geht, sagte sie, sie würde nichts mehr mit ihren Kindern zu tun haben wollen, wenn diese sich vom Islam lossagen würden. Und viele Kinder sind nicht bereit, sich gegen den oft als göttlich empfundenen Willen ihrer Eltern zu stellen, besonders wenn es um religiöse Angelegenheiten geht. In Nigeria sind die Verbindungen in der Familie und der Gemeinde sehr stark. Der nigerianische Staat ist nicht so entwickelt wie Staaten in der westlichen Welt. Viele Menschen verlassen sich auf ihre Familie und andere Gemeindemitglieder, wenn es um Fürsorge und Unterstützung geht. Somit gibt es oft Tyrannei im Bezug auf das Leben und die Entscheidungen einzelner Mitglieder. Die meisten, die zum Beispiel in eine christliche Familie hinein geboren werden, werden christlich erzogen, gehen auf eine christliche Schule und heiraten einen christlichen Partner. Die Eltern sehen es als ihre Pflicht an, ihre Kinder auf religiöse und theistische Weise zu erziehen. Bekennt sich ein Kind zum Atheismus, wird dies im Allgemeinen als elterliches, familiäres und soziales Versagen angesehen. Atheismus geht mit einem Stigma einher, welches die meisten Familien verabscheuen und mit dem sie nicht in Verbindung gebracht werden möchten.
Atheismus und Erwerbstätigkeit
In Nigeria herrscht extreme Arbeitslosigkeit und es kann schwer für Atheisten sein, Arbeit zu finden. Während des Einstellungsverfahrens fragen Arbeitgeber sehr häufig nach der religiösen Zugehörigkeit. Viele Menschen werden gezwungen, sich zum Theismus oder einer bestimmten Religion zu bekennen, um sich einen Job zu sichern. Viele Atheisten ziehen es vor, ihre atheistische Identität nicht öffentlich zu machen aus Angst vor Schikane. Sie wollen ihre Chancen auf einen Job (und somit einen Lebensunterhalt) beziehungsweise ein bestehendes Arbeitsverhältnis nicht gefährden. Tatsächlich riskieren Atheisten die ihre gottlosen Anschauungen öffentlich machen, arbeitslos zu bleiben, gefeuert oder zurückgestuft zu werden. Die meisten Betriebe mit staatlichen Aufgaben beginnen den Tag mit Gebeten und es wird erwartet, dass jeder sie aufsagt, und sei es nur als Ausdruck des guten Willens. Als Atheist könnte die Weigerung zu beten sehr leicht als Böswilligkeit interpretiert werden.
Atheismus und Erziehung
Sogar auf dem Gebiet der Bildung sehen sich Atheisten vielen Herausforderungen gegenüber. Schulen in Nigeria wurden ursprünglich von hauptsächlich religiösen – christlichen und islamischen – Einrichtungen aufgebaut und werden noch immer von ihnen betrieben.3 Religiöse Belehrung ist sehr vorherrschend im Schulsystem. Es ist eine Mischung aus schulischer Ausbildung und der Vermittlung von Glaubenstraditionen. Lehren und predigen, Unterricht und Gehirnwäsche gehen Hand in Hand. In Wirklichkeit sind die Klassenzimmer und Vorlesungssäle Erweiterungen der Kirchen und Moscheen. Atheisten in Nigeria haben keine Wahl: entweder sie erhalten eine auf den Glauben an Gott basierte Erziehung oder aber gar keine.
Atheismus und Politik
Vor einigen Jahren sagte ein ehemaliger nigerianischer Präsident, dass niemand, der gegen den Islam ist, politischen Erfolg in Nordnigeria haben würde. In ähnlicher Weise kann kein bekennender Atheist im heutigen Nigeria politisch erfolgreich sein. Atheisten haben wenig, beziehungsweise keine Chancen, in ein Amt gewählt zu werden. Nigerianer stimmen entlang religiöser Linien ab und machen auf diese Weise Politik. Nigeria hatte nie einen atheistischen Präsidenten oder Gouverneur und wird wohl auch in absehbarer Zukunft keinen haben. Der politische Islam ist im Norden sehr stark, während das politische Christentum im größten Teil des Südens vorherrschend ist. Religiöse Zugehörigkeit spielt eine Schlüsselrolle bei der Auswahl, der Wahl und der Ernennung von politischen Kandidaten. Geht man mit seinem Atheismus an die Öffentlichkeit, macht man sich politisch unwählbar. Tatsächlich kommt es politischem Selbstmord gleich.
Atheisten in muslimischen Gemeinschaften
Ich muss betonen, dass die Situation in den muslimisch dominierten Gemeinschaften im Norden Nigerias noch schlimmer ist. In Staaten mit muslimischer Mehrheit in diesem Teil des Landes kommt die Scharia zur Anwendung.4 Und unter dem Gesetz der Scharia wird religiöse Abtrünnigkeit mit dem Tode bestraft. Atheist zu sein, heißt ein Abtrünniger zu sein, ein Krimineller. Für Atheisten gibt es keinen Raum, in dem sie sein oder agieren können. Atheist zu sein, ist eine Frage von Leben oder Tod. Tatsächlich gibt es in Nigeria zwei Orte für Atheisten in muslimischen Gemeinden, die die Scharia anwenden: die Verborgenheit oder das Grab. Sich zum Atheismus zu bekennen, ist wie ein Todesurteil über sich selbst zu verhängen. Atheist zu sein, ist, als würde man sich selbst ergeben, um exekutiert zu werden.
Zusätzlich werden atheistische Äußerungen oft als Blasphemie betrachtet. Und Blasphemie ist ein weiteres Vergehen, das mit dem Tod oder langen Gefängnisstrafen bestraft wird. Jeder sich äußernde Atheist könnte als Gotteslästerer gebrandmarkt werden. Und eine solche Person riskiert, von Allahs selbst ernannten Fußsoldaten kaltblütig ermorden zu werden. 2007 wurde ein christlicher Lehrer im Staat Gombe von einem muslimischen Mob ermordet, weil er den Koran besudelt haben soll.5 In einer Region, die aufgeladen ist von islamistischem Fanatismus und Bigotterie, sind Atheisten eine gefährdete Spezies und können nicht in der Öffentlichkeit überleben.
Somit leben Atheisten in ständiger Angst um ihr Leben. Sie sind sozial und politisch unsichtbar. Atheisten werden als Bürger dritter Klasse behandelt, die weder gesehen noch gehört werden sollen.
Einige positive Zeichen
Ich behaupte dennoch, dass es dort draußen einige positive Anzeichen dafür gibt, dass die Situation der Atheisten in Nigeria sich verbessert, wenn auch langsam. So registrierte zum Beispiel eine Umfrage zu Religiosität und Atheismus einen Rückgang bei den Nigerianern, die sich selbst als religiös bezeichnen. Das bedeutet, dass sich mehr Menschen als Atheisten oder als nicht-religiös bezeichnen als in einer früheren Umfrage. Und diese Entwicklung könnte drei Faktoren zugeschrieben werden.
- Die Ankunft des Internet, welches einen alternativen Raum für Atheisten bietet, um sich zu treffen, zu organisieren und sich in einer Weise auszudrücken, wie es noch nie der Fall war.
- Die zerstörerische Welle religiösen Extremismus, die das Land verwüstet hat, brachte viele Nigerianer dazu, Religion und theistische Behauptungen und Anmaßungen zu hinterfragen.
- Die wachsende Sichtbarkeit einer neuen atheistischen Bewegung, angetrieben durch die Bestseller-Veröffentlichungen von Richard Dawkins, Daniel Dennett, Sam Harris und dem kürzlich verstorbenen Christopher Hitchens hat viele Atheisten ermutigt, sich zu outen.
Dennoch ist es für Atheisten in Nigeria noch ein langer Weg, bevor sie mit Würde und Respekt behandelt werden. Dem gesunden Menschenverstand nach, ist Atheismus die vernünftigste aller Ideen. Doch wie jede fortschrittliche Entwicklung vor der Kulisse religiöser Opposition wird die Verbesserung der Situation der Atheisten keine einfache Sache sein. Es fordert Opfer und Anstrengungen und das wird auch in Zukunft so sein. Und die Anstrengungen haben im heutigen Nigeria schon begonnen; der Kampf wird ausgetragen und ist offensichtlich in der Debatte, die im Parlament,6 an den Schulen, Colleges, Universitäten und in den Medien7 geführt wird.
Aus dem Englischen übersetzt von Julia Poyant.
Anmerkungen
1 http://www.eni.ch/featured/article.php?id=5866 (alle Zugriffe 31.8.2012).
2 http://www.ngrguardiannews.com/index.php?option=com_content&view=article&id=61912:leo-and-his-humanist-group&catid=77:letters&Itemid=613.
3 http://atheismandrace.dreamwidth.org/318.html.
4 http://www.rnw.nl/africa/article/law-and-disorder-nigeria%E2%80%99s-sharia-states-0.
5 http://rosemarysthoughts.wordpress.com/2007/03/23/christian-teacher-murdered-by-muslim-students-in-nigeria/.
6 http://uk.reuters.com/article/2011/11/01/uk-nigeria-antigay-bill-idUKTRE7A03SB20111101.
7 http://dialogueseriesnew.blogspot.de/2011/10/usa-africa-dialogue-series-humanism-and.html.