Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 4/22 | Geschrieben von Romo Runt

Grundordnung oder Gesetz?

Im November hat die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands beschlossen, den Bistümern eine Neufassung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes zu empfehlen. Damit soll das diskriminierende Kirchliche Arbeitsrecht für die Einrichtungen der katholischen Kirche reformiert werden. In der Öffentlichkeit halten sich Zustimmung und Kritik die Waage – aber das ganze Verfahren ist prinzipiell Teil des Problems und nicht der Lösung.

Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien 
findet sich ein Punkt, dessen Umsetzung 
von der säkularen Szene seit Jahr­zehnten gefordert wird: Das kirch­liche Ar­beits­recht soll dem staatlichen Ar­beits­recht angeglichen werden. Die Einschränkung, dies möge „gemeinsam mit den Kirchen“ geschehen, lässt zwar eine Hintertür offen, trotzdem erscheint eine Gesetzesinitiative nicht völlig unwahrscheinlich.

Die Neufassung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes kann als kluger Schachzug der katholischen Kirche gewertet werden. Die Intention, das Thema wieder von der politischen Tagesordnung herunterzubekommen, ist leicht erkennbar. Und auch wenn die Neuerungen in manchen Kirchen­kreisen als „Revolution“ oder „Meilen­stein“ angesehen werden, ändert sich eigentlich nicht viel und vor allem nichts Grundlegendes.
Nach wie vor geht die katholische Kirche davon aus, dass ihre sozialen Dienste auf der Grundlage eines „Sendungsauftrags“ (Art. 2,3) stattfinden und infolgedessen anders organisiert werden müssen, als die gleiche Arbeit bei anderen Sozialträgern. Tarifverträge werden nach wie vor ab­gelehnt, auch ein Streikrecht ist nicht vorgesehen (Art. 9,3). Lediglich bei den „Loyalitätsobliegenheiten“ ist Be­wegung zu erkennen.
In der Pressemitteilung der Bischofs-
­konferenz heißt es dazu vollmundig: „Der Kernbereich privater Lebens­gestaltung unterliegt keinen recht­lichen Bewertungen und entzieht sich dem Zugriff des Dienstgebers.“ Tatsächlich jedoch stimmt das in dieser Form nicht. Denn ein Kirchenaustritt führt nach wie vor zur Kündigung (Art. 7.4) und die Möglichkeit, jemanden wegen einer „kirchenfeindlichen Betätigung“ (Art. 6.5) nicht einzustellen, kann als Disziplinierungsinstrument gegen die innerkirchliche Opposition angesehen werden. Leitungsaufgaben bleiben Katholik:innen vorbehalten (Art. 6.4).
Für Konfessionslose ändert sich also wenig. Denn die demographischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte haben die kirchlichen Sozialträger in vielen Regionen längst gezwungen, auf Personal zurückzugreifen, das nicht Mitglied in einer christlichen Kirche ist. Die medienwirksam vorgestellte Reform bezieht sich in erster Linie auf die eigene Klientel: Wer katholisch ist und in einer homosexuellen Partnerschaft lebt oder sich nach einer Scheidung neu verheiratet, muss nun nicht länger eine Entlassung fürchten.
Die öffentlichen Reaktionen waren differenziert. Neben Zustimmung, vor allem aus kirchennahen Kreise, gab es auch Kritik. Die katholische Queer-Bewegung outinchurch sieht zwar ein „Umdenken“ bei den Bischöfen, sorgt sich jedoch, dass „transidente Personen“ weiterhin Diskriminierung erfahren könnten. Grundlegender fällt die Kritik der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di aus. Die Veränderungen seien „völlig unzureichend“, den Mitarbeitern würden „grundlegende Rechte verweigert“ und auch bei der Mitbestimmung mangele es: Tarifverhandlungen auf Augenhöhe seien nicht in Sicht. Das schätzten auch die 220 Teilnehmer:innen einer Tagung kirchlicher Mitarbeitervertreter so ein und erklärten wenige Tage vor der Bekanntgabe der Arbeitsrechtsreform in einer Resolution deutlich: „Wir fordern ausnahmslos die gleichen Rechte, wie unsere Kolleg*innen in nichtkirchlichen Betrieben.“ Als Fazit kann ein Zitat aus der soeben im Bund Verlag veröffentlichten Stellungnahme des ehemaligen Arbeitsrichters Peter Stein gelten, der meint: „Individualrechtlich zeichnen sich hier bemerkenswerte Fortschritte ab. Gleichwohl erscheint die Neufassung zwiespältig und halbherzig.“
Aus der Ampelkoalition war wenig zu hören. Die Süddeutsche Zeitung zitiert einen nichtssagenden Twitter-Tweet von FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann: „Als Katholik begrüße ich jeden Schritt, mit dem sich die Kirche der Wirklichkeit liebender Menschen öffnet.“ Die religionspolitische Sprecherin der Bun­destagsfraktion von Bündnis 90/Die 
Grünen, Lamya Kaddor, begrüßt zwar, dass der „Kernbereich privater Le­bensgestaltung, Beziehungsleben und Intimsphäre, einer rechtlichen Be­wertung fortan entzogen sein soll“, sieht aber den Begriff der „kirchenfeindliche Betätigung“ kritisch und im kollektiven Arbeitsrecht nach wie vor Handlungsbedarf.
Am deutlichsten wurde die Bun­desbeauftragte für Antidiskrimi­nie­rung, Ferda Ataman (die in säkularen Kreisen aufgrund von Äußerungen aus ihrer Zeit als Journalistin eher kritisch gesehen wird). Sie forderte unmissverständlich die „Abschaffung aller Ausnahmeregeln für verkündungsferne Arbeitsverhältnisse“. Es sei „überfällig, dass sich die katholische Kirche nicht mehr in das Privatleben“ ihrer Angestellten einmische. Die Beschäftigten seien immer „noch nicht umfassend vor Diskriminierungen geschützt“; explizit wird das Beispiel einer Krankenpflegerin genannt, die ihren Job verliert, wenn sie aus der katholischen Kirche austritt.
Und sie gibt die Lösung des Problems vor: Die im Allgemeinen Gleich­behand­lungsgesetz (AGG) festgeschriebene „Kirchenklausel“, die weitreichende Ausnahmerechte für kirchliche Arbeit­geber festschreibt und Grundrechte einschränkt, müsse überarbeitet werden. Das kann als Aufforderung an die Ampelkoalition verstanden werden, endlich gesetzgeberisch tätig zu werden. Denn dass nicht Gesetze, sondern Grundordnungen von Kirchen die Le­bensverhältnisse bestimmen, ist in einer Demokratie nicht akzeptabel.