Die Ausgangslage war vielversprechend: Die demokratischen Parteien hatten in ihren Wahlprogrammen der letzten Jahre Positionen der säkularen Verbände aufgegriffen (siehe dazu die MIZ-Ausgaben 2/17 sowie 2/21).1 In dieser Zeit konnte man den Eindruck gewinnen, dass es seit der Gründung der Bundesrepublik nie günstiger war, zwei der wichtigsten Vorhaben der Konfessionslosen endlich umzusetzen: die strikte Trennung von Staat und Kirchen und, damit einhergehend, die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Breite Aufmerksamkeit erhielt denn auch das Thema Staatsleistungen 2020, als eine Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen der Grünen, der FDP sowie der Linken in eine überfraktionellen Initiative mündete.2 Zwar war damit zu rechnen, dass die regierende Große Koalition aus CDU/CSU und SPD alles tun würde, um das Thema aus der Öffentlichkeit rauszuhalten. Aber die Missbrauchsskandale hatten deutliche Spuren hinterlassen. Gesellschaftlich gerieten die Kirchen immer mehr in die Defensive.
Die Große Koalition wurde dann 2021 von der Ampel-Koalition abgelöst. Im Koalitionsvertrag3, der mit der großspurigen Formulierung „Mehr Fortschritt wagen“ überschrieben war, wurden die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts sowie die Umsetzung des Verfassungsauftrags zur Ablösung der Staatsleistungen als anstehende Aufgaben genannt. „Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen.“ (S. 56) Und weiter hieß es: „Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen.“ (S. 88) Trotz vager Formulierungen und Relativierungen gab es berechtigte Hoffnung, dass sich etwas tun würde. Schließlich gehörten zwei der drei Koalitionsparteien zu der interfraktionellen Initiative, die 2020 die Ablösung der Staatsleistungen voranbringen wollte.
So positiv es zunächst klang, das Ergebnis war mehr als ernüchternd. Bereits der gemeinsame Gesetzentwurf der Fraktionen FDP, Grüne und Linke wurde 2020 „nach halbstündiger Aussprache zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen“.4 Ein deliberatives Todesurteil. Doch auch mit der dem Fortschritt verpflichteten Koalition gab es keine Änderungen der bestehenden Verhältnisse. Die Verhandlungen über die Ablösung der Staatsleistungen wurden de facto eingestellt. Die Bundesländer zeigten sich gleich zu Beginn unkooperativ. Der Niedersächsische Ministerpräsident Stephan-Peter Weil (SPD) warnte gar die Bundesregierung, in der seine eigene Partei den Kanzler stellte, vor der Ablösung der Staatsleistungen. Die Ablösung koste viel Geld und die Haushaltslage vieler Bundesländer sei angespannt. Eine Ablösung sei auf absehbare Zeit finanziell nicht möglich.5 Einen weiteren Grund sah das Domradio in der Mär der barmherzigen Kirchen: „Nicht zuletzt auch, weil sie [die Ministerpräsident*innen] wissen, wie viele kirchliche Angebote, die dem Sozialstaat zugute kommen – von Altenheimen über Schulen bis hin zu einem vielfältigen Beratungs- und Hilfenetzwerk – dann vermutlich wegfallen würden.“6
Zum Thema kirchliches Arbeitsrecht gab es einen Dialog zwischen Vertreter*innen aus Politik, Gewerkschaften und Kirchen. Dieser fand jedoch hinter verschlossenen Türen statt, so dass nicht nachvollziehbar ist, welche Themen tatsächlich besprochen wurden und welche weiteren Schritte geplant sind. Auch hier gab es keine weiteren Initiativen. Das kirchennahe Fazit fällt dementsprechend aus: „Formal hat die Koalition mit diesem Prüfprozess den Koalitionsvertrag jedoch erfüllt, schließlich war die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts dort nur als ‚Prüfauftrag‘ vereinbart worden.“7
Über die Gründe des Scheiterns lässt sich nur spekulieren. Drei der möglichen Gründe sollen hier kurz angerissen werden, ohne sie in die Tiefe gehend darstellen zu können. Da ist zum einen der Kirchenlobbyismus. Es ist kein Geheimnis mehr, dass die beiden Kirchen wie kaum eine andere gesellschaftliche Kraft in Gesetzgebungsprozesse eingebunden sind. Sofern Themen politisch verhandelt werden, die für die Kirchen relevant sind bzw. Auswirkungen auf die Kirchen haben, werden ihre Vertreter*innen einbezogen. Dieser „Lobbyismus mit Heiligenschein“8 ist gerade im Hinblick auf Themen wie Staatsleistungen oder Arbeitsrecht von immenser Bedeutung. Wie sehr alle beteiligten Akteur*innen daran interessiert sind, dass über diese Einflussnahme Stillschweigen herrscht, zeigt nicht zuletzt eine Entscheidung der Ampel-Koalition im Jahr 2023. Dort wurde entschieden, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften „auch zukünftig von einer Eintragungspflicht in ein bundesweites Lobbyregister ausgenommen bleiben“.9
Ein weiterer Grund liegt in der kirchenfreundlichen Haltung vieler Politiker*innen. Diese hintertreiben wichtige Projekte eher, als dass sie sie vorantreiben. Als aktuelles Beispiel lassen sich die religionspolitischen Sprecher*innen der Fraktion von SPD, FDP und Grüne heranziehen. Als es 2024, kurz vor dem Bruch der Ampel-Koalition, um die Verhandlungen über die Ablösung der Staatsleistungen ging, erklärten die Sprecher*innen Lars Castellucci, Konstantin von Notz und Sandra Bubendorfer-Licht dass die Ablösung „mit großem eigenem Spielraum und jahrzehntelangen Übergangsfristen“ vonstattengehen sollte.10 Anhand dieses Beispiels lässt sich der dritte Grund exemplifizieren. Die generelle Unfähigkeit der Ampel-Koalition, ihre religionspolitischen Projekte gegen Widerstand durchzusetzen. Dies ist insofern bedenklich, als dass sowohl sich eine deutliche Mehrheit in der deutschen Bevölkerung als auch unter den Kirchenmitgliedern für eine grundsätzliche Änderung der bestehenden Verhältnisse aussprechen.
Bleibt die Frage, haben wir eine Wahl? Die Antwort darauf lautet Ja und Nein. Ja, wir haben eine Wahl und zwar am 23. Februar. Und damit einhergehend haben wir sogar Pflicht, alles zu tun, um das demokratische Gemeinwesen zu schützen, die gesellschaftlichen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu verteidigen und uns der völkischen Bewegung, allen voran die AfD, entgegenzustellen. Denn eines ist klar: Auch wenn sich die AfD bei der Frage zur Trennung von Staat und Kirchen für eine solche ausspricht, steht die Partei und stehen ihre Vertreter (Alice Weidel, Bernd Höcke etc.) für eine antiaufklärerische und reaktionäre Politik. Was das für Folgen haben würde, zeigt der Blick in die Vereinigten Staaten. Und nein, wir haben keine gute Wahlaussicht. Es bleibt die Erkenntnis, dass es bis auf Weiteres ein Traum bleibt, dass wir in naher Zukunft die Jahrhunderte andauernde Verflechtung von Staat und Kirchen werden lösen können. Aber steter Tropfen höhlt der Stein. Insofern gilt das, was schon immer galt: Geschichte wird gemacht!
Anmerkungen
1 Vgl. MIZ 2/17, https://miz-online.de/miz_ausgabe/miz-2-17/; MIZ 2/21. https://miz-online.de/miz_ausgabe/miz-2-21/ [Letzter Zugriff: 15.1.2025].
2 Vgl. Entwurf eines Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen. Gesetzentwurf der Fraktionen FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Drucksache 19/19273, https://dserver.bundestag.de/btd/19/192/1919273.pdf [Letzter Zugriff: 15.1.2025].
3 Vgl. Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf [Letzter Zugriff: 15.1.2025].
4 FDP, Linke und Grüne für „Ablösung der Staatsleistungen an Kirchen“, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw45-de-staatsleistungen-802488 [Letzter Zugriff: 15.1.2025].
5 Vgl. Weil warnt Bundesregierung vor Ablöse der Staatsleistungen an die Kirchen, https://www.deutschlandfunk.de/weil-warnt-bundesregierung-vor-abloese-der-staatsleistungen-an-die-kirchen-102.html [Letzter Zugriff: 15.1.2025].
6 Wollschläger, Karin: Thema „Ablösung der Staatsleistungen“ offen, https://www.domradio.de/artikel/religionspolitische-projekte-der-ampel-bleiben-als-offene-baustellen [Letzter Zugriff: 15.1.2025].
7 Zimmermann, Steffen: Mehr Schatten als Licht: Eine Bilanz der Ampel aus kirchlicher Sicht, https://www.katholisch.de/artikel/57346-mehr-schatten-als-licht-eine-bilanz-der-ampel-aus-kirchlicher-sicht [Letzter Zugriff: 15.1.2025].
8 Krum, Horsta: Lobbyismus mit Heiligenschein, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187776.kirchen-und-staat-lobbyismus-mit-heiligenschein.html [Letzter Zugriff: 15.1.2025].
9 Alle Religionsgemeinschaften sind ausgenommen, https://www.domradio.de/artikel/kirchen-auch-kuenftig-ohne-lobbyregister-eintragungspflicht [Letzter Zugriff: 15.1.2025].
10 Zeitung: Ampel will Gesetzentwurf zu Staatsleistungen im Herbst. https://katholisch.de/artikel/55514-zeitung-ampel-will-gesetzentwurf-zu-staatsleistungen-im-herbst [Letzter Zugriff: 15.1.2025].