Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 1/24 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Karlheinz Deschner (1924–2014)

Welche Bedeutung hatte der Kirchenkritiker für die persönliche Entwicklung?

Für viele Menschen seiner, aber auch der nachfolgenden Gene­ration hatte Karlheinz Deschner eine große persönliche Bedeu­tung. In einer Zeit, als die Abkehr von der Kirche noch als Außen­seiterposition galt, vermittelte er ihnen die Gewissheit, in ihrer Abweichung von gesellschaftlichen Konventionen richtig zu liegen: Er zeigte die blutige Verstrickung von Kirche und Herrschaft, von Glaube und Macht. Und eine Kirche mit dieser Geschichte konnte nicht beanspruchen, moralische Instanz für alle zu sein; sie zu verlassen, war gerechtfertigt. Deschner half diesen Menschen mit seinen Werken über ihre Selbstzweifel hinweg.

Die MIZ hat sich anlässlich von Karlheinz Deschners 100. Geburtstag die Frage gestellt, wie weit Deschners Wirkung reicht. Welche Bedeutung hat Karlheinz Deschner für die heute 70-, 50-, 30-Jährigen? Ist er auch für sie ein „Geburtshelfer“ einer kirchen- und religionskritischen Einstellung? Nehmen sie ihn als wichtigen Streitschriftsteller wahr? Welche Werke Deschners werden heute überhaupt noch gelesen?

Über unsere eigenen Social Media-Kanäle sowie über die säkularen Verbände forderten wir am 8. April, dem 10. Todestag Deschners, dazu auf, der MIZ kurze Statements zu schicken, die das eigene Verhältnis zu Deschners Arbeiten beschreiben. Aus den uns übersandten Zuschriften haben wir eine Collage zusammengestellt.

Natürlich kann unsere Umfrage schon aufgrund der überschaubaren Anzahl von Einsendungen keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben, nicht einmal für die säkulare Szene. Aber drei Annahmen wurden zumindest nicht widerlegt. Zum einen ist Deschners Wirkung in der Generation der vor 1960 Geborenen am intensivsten. Für Gerhard Engelmayer, den Vorsitzenden des Humanistischen Verbands Österreich ist Deschner eine „zentrale Figur meines Lebens“. Heinz Höver erinnert sich, dass die Lektüre von Mit Gott und den Faschisten auf ihn „wie ein Erdbeben“ gewirkt habe. Und Harald Reimann bekennt, dass „er meinen weiteren Lebensweg in vorbildlicher Weise sehr stark geprägt hat“.

Dass die Beziehung in dieser Gene­ration am persönlichsten empfunden wird, verwundert nicht. Denn erst mit 
der 68er-Bewegung fassten Emanzipa­tionsbewegungen so richtig Fuß in Deutschland. Und bis die Säkularisie­rung auch die ländlich geprägten Regionen erreicht hatte, dauerte es noch rund 20 Jahre. Aber spätestens mit dem sprung­haften Anstieg des Konfes­sions­losenanteils nach dem Zusammen­schluss der beiden deutschen Staaten führte ein Kirchenaustritt nur noch selten zu sozialer Ausgrenzung. Damit wurde das Verhältnis seiner Leser zu Deschner „unpersönlicher“. Er wurde nicht mehr gebraucht als Begleiter, der einen bestärkte, auf dem persönlichen Emanzipationsweg weiterzugehen. In der Generation der Unter-40-Jährigen ist Deschner einfach ein Sachbuchautor neben vielen anderen.

Zum zweiten waren es vornehmlich männliche Leser, die auf unsere Umfrage reagierten. Auch damit hatten wir gerechnet, da der Frauenanteil in der säkularen Szene über viele Jahre hinweg relativ gering war. Dass jedoch nur eine einzige Frau unter den Zuschriften war, hat uns dann doch ein bisschen verwundert. Denn Deschner spricht die Unterdrückung der Frau in der und durch die katholische Kirche in seinen Werken immer wieder an und hatte sich in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um beispielsweise den Schwangerschaftsabbruch klar positioniert.

Schließlich stand das Thema Kirchenkritik bei allen im Vordergrund. Martin Veith zeigte sich beeindruckt von der „detaillierten Forschung zu den Machtspielen, Manipulationen und Verbrechen der christlichen Kirchenoberen und einer unkritischen oder getäuschten Gefolgschaft“ wie sie Deschner in der Kriminalgeschichte des Christentums vorgelegt hatte. Angelika Wedekind empfand die Lektüre von Das Kreuz mit der Kirche als „befreiend, weil er das treffend formulierte, was ich nur unklar empfunden habe“. Und Hans Trutnau verdankt Abermals krähte der Hahn seine „endgültige Entkehrung“.

Dass die positiven Einschätzungen überwiegen würden, war durch die Tendenz unserer Umfrage bereits angelegt, trotzdem gab es auch kritische Töne. Markus J. Wenninger gestand Deschner zwar eine bedeutende Rolle zu hinsichtlich der „Sensibilisierung einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber der Rolle der Kirche in der Geschichte und Gesellschaft“. Mit Deschners historischer Forschung ist er hingegen weniger einverstanden: „Zu oft geht es Deschner nur um Kriminalisierung im heutigen Sinn, zu oft schüttet er das Kind mit dem Bad aus, zu oft (genauer: so gut wie immer) arbeitet er ahistorisch mit dem Blick und aus dem Bewusstsein des heutigen Menschen heraus und ohne die Gegebenheiten der jeweiligen Zeit in seine Untersuchungen miteinzubeziehen.“ Und Helmut Fink hat die Kriminalgeschichte vollständig im Bücherschrank stehen. Da könne nachgesehen werden, was in der Kirchengeschichte alles schief gelaufen sei – „wenn man das denn noch so genau wissen will. Denn andere Themen und andere Autoren bieten sich an, philosophische etwa, auch wissenschaftliche, wenn man vom Abbau des christlichen zum Aufbau des humanistischen Menschenbildes gelangen will.“

Völlig monothematisch wird Karl­heinz Deschner allerdings nicht wahrgenommen. Zwar fehlten Bezugnahmen auf sein literarisches und literaturkritisches Werk, doch gleich mehrere Antworten erwähnten, dass Deschner auch in der Frage der Tierethik als Vorbild zu sehen sei.

Zitate

  • Der Band, der sich „mit Gott und den Faschisten“ und dem braunen Pius XII. befasst, hat auf mich gewirkt wie ein Erdbeben. Ich habe viel unter der katholischen Kirche gelitten und bin schon 1990 ausgetreten; der Tag war einer der schönsten meines ganzen Lebens. Als offen schwul lebender Standesbeamter habe ich in einer kleinen Voreifelgemeinde und der unglaublichen Hetze entspr. Geistlicher die Hölle durchlebt.
    Heinz A. Höver
  • Karlheinz Deschner war zwar nicht der „Geburtshelfer“ meiner persönlichen Religionskritik, ich nehme ihn aber als einen der wichtigsten Ideengeber und Autoren im deutschsprachigen Raum wahr.
    Armin Schreiner
  • Ich besuchte viele seiner Lesungen und später, als Chefredakteur der MIZ, hatte ich auch direkten Kontakt zu Deschner. Ich mochte seine ruhige, bescheidene Art. Er hat übrigens mehrmals in Interviews gesagt, wenn er noch einmal leben könnte, dann würde er seine Kraft einer noch hoffnungsloseren Thematik widmen als der Bekämpfung des Christentums — dem Tier. Auch da stimme ich mit ihm überein.
    Rolf Heinrich
  • Er ist der Aufklärer unserer Zeit schlechthin. Das erkennt man auch daran, dass alles unternommen wird, um ihn irgendwo verschwinden zu lassen. Ich würde es begrüßen, wenn es zur Aufnahmeprüfung zum Theologie-Studium gehörte, Deschner gelesen zu haben. Wer dann noch Theologie studiert, ist ein echter Apologet.
    Gerhard Engelmayer
  • Ein enttäuschter Moralist war Deschner, eigensinnig und einseitig, und er wusste es. Gerne denke ich zurück an den einzigen Besuch bei ihm in Haßfurt, damals zu seinem 75. Geburtstag, an den Doppelsinn der „Haßberge“, an seine Erwähnung, er sei zu Sabine Christiansen eingeladen ins Fernsehen, aber dafür habe er keine Zeit, denn er müsse schreiben.
    Helmut Fink
  • Es benötigte in meinem Fall nicht die 10 Bände der „Kriminalgeschichte des Christentums“ von Karlheinz Deschner. Sein Buch „Abermals krähte der Hahn“ und dessen Aussagen reichten bereits für meine endgültige Entkehrung. (
    Hans Trutnau
  • Ich hatte Deschner bei irgendeiner Frankfurter Buchmesse kennengelernt und um einen Interviewtermin gebeten. Das konnte er zunächst wegen zu vieler anderer Termine nicht zusagen, aber ich hatte „meinen Deschner“ damals wirklich gut drauf. Ich konnte ihm Stellen aus seinen Büchern zitieren, über die ich gerne mit ihm reden wollte, und Fragen zu bestimmten Erörterungen anschneiden, auf die er dann doch ansprang … und so wurde es dann nicht nur dieser Inaugurations-Kaffee, sondern an drei Tagen insgesamt an die vier Stunden Tonband- (nein, Diktaphon-) Interview daraus.
    Ernst Petz
  • 1951 geboren bin ich sehr fromm, buchstabengetreu katholisch sozialisiert, die Einheit von Elternhaus, Kirche und Schule sprach wortwörtlich die­selbe Sprache. (...) Ein diffuses Gefühl „Irgendetwas stimmt in diesem Geistesleben nicht!“ begleitete mich all diese Jahre, bis ich auf Deschners Bücher stieß.
    Gottfried Wurst
  • Ab da begann für mich so etwas wie Erlösung. Mir war danach klar: Ich kann glauben, aber ich glaube nicht an die vorgegebenen Bilder der Katholischen Glaubenslehre und Dogmen.
    Gottfried Wurst
  • Er hat mir die Augen geöffnet, wie unsagbar brutal das Christentum seine Missionierung durchgesetzt hat, unsagbar brutal! Das hat bis heute morphologische Auswirkungen!
    Wolfgang Rahlfs
  • Für mich sind die Bücher Deschners geschätzte Wegbegleiter im Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums in einer freien, solidarischen und säkularen Gesellschaft.
    Martin Veith