Alle zwei Jahre schreibt der DA! einen Kunstpreis aus, der mit einem „Themenimpuls“ verbunden ist. 2022 ging es um die Macht des Mythos, zwei Jahre zuvor um Kraft und Wirkung trügerischer Überzeugungen und beim ersten Mal um die Parole „Wissen statt Glauben“. Für 2024 hatte sich die Organisationsgruppe das Thema „Check Your Dogma“ ausgedacht. Die Künstlerinnen und Künstler sollten sich „auf die Suche nach ihren eigenen rigiden Glaubenssätzen ... machen. Einerseits. Andererseits darf das Thema von den Künstlern:innen auch konfrontativ an das Publikum ‘weitergereicht’ werden, um auch dort Selbstreflexionen zu provozieren.“ Dem Aufruf folgten hunderte Kunstschaffende, in die engere Auswahl kamen 91 Kunstwerke, die ab dem 7. September im Stadtmuseum Düsseldorf ausgestellt wurden.
Allerdings nicht besonders lange. Noch vor der Vernissage intervenierte die Museumsleitung und forderte, zwei der Kunstwerke abzuhängen. Diesen Akt der Zensur rechtfertigte Susanna Anna mit ihrem „Hausrecht“ und mit der Behauptung, die Kunstwerke würden Antisemitsmus und Sexismus verbreiten sowie Hetze schüren. Der Düsseldorfer Aufklärungsdienst platzierte daraufhin anstelle der entfernten Kunstwerke leere Bilderrahmen mit einer Erklärung sowie einem QR-Code, der auf die Webseite des DA! Art Awards führte. Dass ihr Eingriff in die Kunstfreiheit auf diese Weise sichtbar gemacht wurde, gefiel Museumsleiterin Anna allerdings ebenfalls nicht – auch diese Exponate mussten weg.
Behördliche Hetze
Formal ist es sicherlich richtig, dass es zum Hausrecht eines Museums gehört, über die in seinen Räumen ausgestellten Kunstwerke zu entscheiden. Und selbstverständlich obliegt der Museumsleitung eine Sorgfaltspflicht zu prüfen, ob Ausstellungsstücke gegen Gesetze verstoßen. Wie diese Aufgabe erfüllt wird, entscheidet darüber, ob ein Museum seine gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt oder ob es Zensur ausübt. Im Fall des Düsseldorfer Stadtmuseums und seiner Leiterin Susanne Anna dürfte letzterer Fall vorliegen.
Ihr Vorgehen erinnert doch sehr stark an den Berliner Polizeipräsidenten Bernhard von Richthofen, der seit Mitte der 1880er Jahre die Berliner Theaterszene mit Verboten terrorisierte und von dem der Ausspruch stammt, die Aufführung (von Hermann Sudermanns Drama Sodoms Ende) werde untersagt, „weil es uns so passt“. So selbstherrlich diese Aussage wirken mag, sie erscheint in ihrer brüsken Ehrlichkeit geradezu sympathisch gegenüber dem, was Museumsleiterin Anna und die Düsseldorfer Stadtverwaltung inszenierten. Denn anders als zu Kaisers Zeiten sind Behörden heute bemüht, den Eindruck zu erwecken, dass sie nicht nur formal, sondern auch moralisch im Recht seien, wenn sie den Bürger:innen ihre Vorstellungen – hier: von Kunst – aufzwingen.
Dabei kommt es zu einer Täter-Opfer-Umkehr. Nicht die staatlichen Stellen, die dem Publikum zwei Kunstwerke vorenthalten, üben Zensur aus – die Künstlerin und der Künstler selbst haben zu verantworten, dass ihre Bilder abgehängt wurden. „Das Stadtmuseum ist der Wahrung eines respektvollen und diskriminierungsfreien Raums verpflichtet“, schrieb das Presseamt der Stadt Düsseldorf auf Anfrage des Humanistischen Pressedienstes. Die zensierten Werke hingegen enthalten angeblich Darstellungen, „die Mitglieder religiöser Gemeinschaften sowie andere gesellschaftliche Gruppen diskriminieren und verletzen“. Das Stadtmuseum, so heißt es weiter, trage die Verantwortung dafür, dass „keine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ geschürt werde. Nachdem der kommunikativen Rahmen nun aufgezogen ist, holt die Stadtverwaltung zum großen Schlag aus, um die Betroffenen grundlegend zu disqualifizieren: „Im vorliegenden Fall wurden die betreffenden Werke aufgrund von antisemitischen, sexistischen und hetzerischen Inhalten nicht in die Ausstellung integriert.“
Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus, Hetze – wer in solch geballter Form mit derartigen Vorwürfen belegt wird, wird aus der zivilisierten Gesellschaft ausgeschlossen und in den Dunstkreis extrem rechter Verfassungsfeinde gerückt. Es fällt jedoch auf, dass keinerlei Begründung angeführt wird, wie sich Antisemitismus, Sexismus usw. in den beiden abgehängten Kunstwerken denn äußern. Es bleibt der Eindruck, dass Museumsleitung und Stadtverwaltung offenbar ganz bewusst zum Mittel der Verleumdung der Kunstschaffenden greifen, um das eigene Handeln zu rechtfertigen.
Und so ist es genau umgekehrt: Nicht die Kunstwerke, sondern das Düsseldorfer Stadtmuseum und die Stadtverwaltung betreiben Hetze, indem sie mit schwerwiegendsten, aber unbelegten Unterstellungen arbeiten.
Extrem rechtes Kunstverständnis
Schon dies wäre skandalös genug. Doch mit Blick auf das Motto der Ausstellung – Check Your Dogma – wird die Angelegenheit zu einem Lehrstück, wie weit extrem rechte Vorstellungen über Kunst in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft vorgedrungen sind.
Es dürfte zu den wichtigsten Funktionen von Kunst gehören, neue Perspektiven zu eröffnen, Aussagen zur Diskussion zu stellen, die im politischen Diskurs nicht vorkommen oder sogar tabuisiert werden. Dies kann geschehen, indem das Publikum irritiert, vielleicht sogar verstört wird. Im Themenimpuls des DA! Art-Award 2024 hieß das: beim Publikum „Selbstreflexionen ... provozieren“.
Museumsleiterin Anna konterkariert dieses moderne Kunstverständnis und legt eine autoritäre Einstellung an den Tag, die an Selbstreflexion keinerlei Interesse zeigt. Nüchtern betrachtet verhält sie sich nicht anders als AfD-Kommunalpolitiker:innen, die vor allem in der ostdeutschen Bundesländern daran arbeiten, der Kultur das kritische Potential auszutreiben. Während diese die Kulturförderung an sich zusammenstreichen und das gesamte Angebot so austrocknen wollen, begnügt sich Museumsdirektorin Anna damit, einzelne Kunstwerke, die ihr nicht passen, aus der Ausstellung zu nehmen. Während die AfD Kulturpolitik darauf ausrichten möchte, eine „deutsche Identität [zu] verteidigen“, führt Dr. Anna die Abwehr von „Diskriminierung“ und „Antisemitismus“ ins Feld. Mit dem Vokabular wird jeweils die politische Klientel bedient, von der sich die AfD bzw. Dr. Anna Zustimmung erhoffen. Einen grundlegenden Unterschied im Kunstverständnis bedeutet dies aber nicht: Beide zielen darauf ab, in ihren Augen provokative Kunst zu unterbinden; beide sind ganz offensichtlich vereint in ihrer Vorstellung einer Kunst ohne Ecken und Kanten, die beim Publikum vor allem eins hervorruft: Wohlgefallen.
Dabei hätte es einfache Alternativen gegeben, die Ausstellung gerade mit ihren provokativen Kunstwerken im Sinne des Mottos „Check Your Dogma“ wirken zu lassen: Wenn Beschwerden geäußert worden wären, hätten die Künstler mit den konkreten Einwänden konfrontiert werden müssen. Und an alle, die Kritik vorbringen, hätte die Aufforderung ergehen müssen, diese nicht bei der Verwaltung, sondern öffentlich zu äußern. Und dann hätten alle Beteiligten zu einer Diskussionsveranstaltung einladen werden können, um gemeinsam über ihre „Dogmen“ zu sprechen. – Aber dafür hätte es bei Museumsleiterin Anna eines anderen, modernen Kunstverständnisses bedurft.