Prisma | Veröffentlicht in MIZ 2/24 | Geschrieben von Gunnar Schedel

Mister Internationale Rundschau

Ein Nachruf auf Gerhard Rampp (1950–2024)

So weit hinten im Heft steht normalerweise kein Artikel mehr. Seit Jahrzehnten nicht. Wer die MIZ von hinten anblättert, ist gewohnt, auf die Kurzmeldungen zu stoßen. Seit 1981 war das so, über 40 Jahre lang. Doch in der gewohnten Form wird es die Internationale Rundschau nicht mehr geben, denn Gerhard Rampp, der diese Rubrik von Anfang an und mit nur einer kurzen Unterbrechung Ende der 1990er Jahre durchgehend betreute, ist Anfang Mai über­raschend gestorben.

Auch um zu veranschaulichen, was uns mit 
ihm fehlt, hat MIZ 2/24 acht Seiten weniger als üblich. Und statt 
den Nachrichten aus aller Welt beschließt diesmal eine Erinnerung an den „Mister Internationale Rundschau“ das Heft.

Bayern bringt einen besonderen Typ von Oppositionellen hervor, der bekannteste ist wahrscheinlich Oskar Maria Graf. (Ich will nicht behaupten, dass es diesen Typ nicht auch woanders gibt, aber in Bayern scheint er mir überproportional oft aufzutreten.) Diese Form von Oppositionellen würde ich mit zwei Begriffen beschreiben: widerständig und bodenständig. Und ein solcher widerständiger und bodenständiger Oppositioneller war auch Gerhard Rampp.

Eine solche Einschätzung mag all jene, die Gerhard nur oberflächlich kannten, verwundern. Dieser Gymnasiallehrer, der am liebsten über Zahlen dozierte, der meist bieder gekleidet war und schon in einem satirischen Seitenhieb auf den Ersten Atheistenkongress Fulda verspottet wurde (Gerhard Henschel, Das Blöken der Lämmer, 1994), der einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vorstand und einst auf die Frage, welchen Traum er sich denn noch erfüllen werde, wenn er endlich in Rente sei, strahlend „Seniorenschach“ antwortet – dieser offenbar knochentrockene Vernunftmensch ein widerborstiger Oppositioneller?
Gerhards Bedeutung für die säkulare Szene fndet sich im Nachruf von Michael Schmidt-Salomon, der im Huma­nistischen Pressedienst (hpd) erschienen ist. Der große Wert, den er der Selbst­bestimmung beimaß, schlug sich im langjährigen Engagement in der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) nieder. Den Bund für Geistes­freiheit (bfg), damals ziemlich überaltert, erneuerte er, zunächst in Regens­burg, später dann in Augsburg, und trug seinen Teil dazu bei, dass die früher stark weltanschauliche Ausrichtung um die Idee der Interessenvertretung für Konfessions­lose ergänzt wurde. Er war maßgeblich beteiligt, als Ende der 1980er Jahre im Internationalen Bund der Konfessions­losen und Atheisten (IBKA) die strategische Entscheidung getroffen wurde, die Kirchen künftig vor allem mit Blick auf ihre finanziellen Privilegien zu kritisieren – was nichts anderes bedeutete, als von der Kirchenkritik zur Kritik der politischen Verhältnisse überzugehen. Später gehörte er auch dem Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) an.
Auch einige seiner nicht im engeren Sinne politischen Eigenschaften beschreibt und illustriert Schmidt-Salomon sehr treffend: Gerhards „fast übermenschliche Merkfähigkeit gepaart mit hoher Intelligenz, einer ausgewiesenen Schalk­haftigkeit und einem nicht immer sozial angepassten Verhalten“.

Die erwähnten wider- und bodenständigen Oppositionellen hinterlassen Spuren. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass Gesellschaft sich verändert. Und trotzdem sind sie nach wenigen Jahrzehnten vollständig vergessen. Denn sie wirken nicht über ihre Publikationen, ihre Ideen werden verbreitet, ohne dass sie in Fußnoten genannt werden. Das Leben hat halt keine Fußnoten. Diese widerständigen und bodenständigen Oppositionellen finden den Zugang zu den Menschen, mit denen sie zu tun haben, direkt und beeinflussen deren Einstellungen nachhaltig.

Gerhard schrieb jahrzehntelang für die wichtigsten Medien der säkularen Szene; er hielt seit den 1990ern Vorträge über „Kirche & Geld“ oder „Selbstbestimmtes Lebensende“ bei nahezu allen säkularen Vereinigungen, er schrieb zahlreiche Leserbriefe und hatte einige Medien­auftritte – trotzdem hat er seine politische Wirkung letztlich auf eine andere Weise entfaltet.
Gerhard hat mir immer wieder erzählt, dass er ehemalige Schüler oder Schülerinnen zufällig auf der Straße getroffen hat und diese ihm dann erzählten, dass sie mittlerweile aus der Kirche ausgetreten seien. Und oft erinnerte er sich an eine Diskussion aus dem Unterricht, an der genau dieser Schüler sich beteiligt hatte. Es war Gerhard gelungen, die Einstellung vieler seiner Schülerinnen und Schüler zu beeinflussen (und das, obwohl er ein verdammter Oberlehrer sein konnte).
Warum ist ihm das gelungen? Dass Schüler einem Lehrer zuhören, der eine Verhaltensänderung vielleicht nicht von ihnen fordert, aber ihnen doch zumindest nahelegt? In meinen Augen lag das nicht nur an seinen überzeugenden Argumenten, sondern an dieser Bodenständigkeit, die bewirkte, dass die Menschen ihm zuhörten. Auch dann, wenn er Positionen vertrat, denen sie im ersten Moment nicht so ohne weiteres zustimmen konnten oder wollten.
Aber es waren nicht nur Generationen von Schülerinnen und Schülern, die ihm zuhörten. Gerhard fand auch beim politisch-weltanschaulichen Gegner Gehör. Regelmäßig besuchte er Veranstaltungen evangelischer Akademien oder der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Fast immer 
meldete er sich zu Wort und brachte Positionen in die Diskussion ein, die diametral dem entgegenstanden, was das Publikum bis dahin in den Vor­trägen gehört hatte. Aber aufgrund seines Auftretens, seines Habitus, dieser „Boden­ständigkeit“ eben, wurde er nicht als „Störenfried“ wahrgenommen, sondern als jemand, dem man zuhören sollte. Und mehr als einmal erzählte er mir, dass er in den Kaffeepausen von CSU-Funktionsträger angesprochen wurde, die ihn beispielsweise zur demographischen Entwicklung und den Folgen für die Religionszugehörigkeit befragten.
Das ist nicht gewöhnlich. Denn bei aller Bodenständigkeit: Gerhard war Oppo­sition. Weltanschaulich und politisch. Niemand sollte sich von seinen Pullovern und weiteren Attributen konservativ wirkender Bürgerlichkeit täuschen lassen. Gerhard war über die WASG viele Jahre Mitglied der Partei Die Linke. Und wenn individuelle Freiheitsrechte, die Selbstbestimmung des Menschen verletzt wurden, leistete er Widerstand. Und das ist durchaus in dem Sinn zu verstehen, dass er sich darum bemühte, dass der Missstand aufhört. An diesem Punkt ging sein Engagement dann auch über die säkulare Szene hinaus.
Für die MIZ und den Verlag war er nicht nur „Mister Internationale Rund­schau“. Er war ein stetiger Ratgeber, der die Kämpfe der Generation vor uns mitausgefochten hatte (was nicht heißt, dass die Redaktion jeden Ratschlag angenommen hätte). Und er hat mehr als einmal geholfen, als es finanziell eng wurde.
Gerhard Rampp wird in vielerlei Hinsicht nicht zu ersetzen sein. Das gilt auch für seine redaktionelle Arbeit. Wir werden die Internationale Rundschau weiterführen, aber wir werden sie verändern, sodass deutlich wird, dass mit seinem Tod auch ein Abschnitt in der Geschichte unserer Zeitschrift abgeschlossen ist.